Deutschland

"Piñera raus!" – Chilenen demonstrieren in Berlin gegen Polizeigewalt & neoliberale Regierung

Hunderte Chilenen haben sich am Montag in Berlin vor dem Brandenburger Tor versammelt, um singend und tanzend gegen die Verhängung des Ausnahmezustands, die Polizeigewalt sowie die sozialen Ungleichheiten in ihrem Heimatland zu protestieren. RT Deutsch war dabei.
"Piñera raus!" – Chilenen demonstrieren in Berlin gegen Polizeigewalt & neoliberale Regierung© Florian Warweg

von Florian Warweg

Ab 19 Uhr war das Brandenburger Tor am Montagabend fest in den Händen der in Berlin lebenden Chilenen. Auf zahlreichen selbstgebastelten Plakaten und Transparenten in spanischer, deutscher und englischer Sprache machten sie auf ihre Forderungen und die prekäre soziale Lage in ihrem Land aufmerksam, das im deutschen Mainstream oft als "lateinamerikanischer Musterknabe" idealisiert wird. 

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Im Gegensatz zu vorherigen Mobilisierungen zu Chile fällt an diesem Abend die Vielzahl an jungen Chilenen auf. Zuvor waren Proteste zur Lage im geografisch isolierten Andenland oft von der "alten Garde", den in den 1970er-Jahren in die DDR und BRD geflüchteten Chilenen, geprägt, und die Teilnehmer ließen sich an zwei Händen abzählen. Doch das Bild, das sich an diesem Montag bietet, ist anders. Die meisten Teilnehmer sind in ihren 20ern. Auch Nancy R., ein Mitglied der Kommunistischen Partei Chiles, die seit Ende der 70er-Jahre in Ostberlin lebt, zeigt sich auf Nachfrage von RT Deutsch überrascht: "Ich wusste gar nicht, dass so viele junge Chilenen derzeit in Berlin leben. Doch ich habe nachgefragt. Einige sind wegen ihres Studiums hier, die meisten jedoch sind hier mit zeitlich begrenzten Arbeitsvisa und arbeiten für ein Jahr in Deutschland."

Fragt man die anwesenden Chilenen, was sie bewegt hat, sich heute hier vor dem Brandenburger Tor zu versammeln, bekommt man fast immer die gleichen Antworten: die massive Privatisierung in fast allen Lebensbereichen. Der Bildungs- und Gesundheitssektor, die Altersversorgung, selbst der Zugang zu Trinkwasser seien de facto völlig privatisiert worden.

Pedro, der über ein Arbeitsvisum verfügt und sich eher mit prekären Putzarbeiten über Wasser hält, erklärt mir:

Es geht nicht nur um die Erhöhung von 30 Centavos, sondern um die Entwicklung in den letzten 30 Jahren. In Chile wird uns ein totales Konsummodell verkauft, das sich aber keiner wirklich leisten kann. Alle sind total verschuldet. Gleichzeitig leben viele Menschen trotz harter Arbeit am Existenzminimum. Und ja, selbst wenn deutsche Freunde das nicht verstehen, auch eine Fahrpreiserhöhung von umgerechnet 4 Cent tut weh.

Vania, eine Austauschstudentin aus der legendären Hafenstadt Valparaíso, mischt sich in das Gespräch ein und erklärt mit feurigen, vor Wut glühenden Augen:

Meine Oma hat ihr Leben lang gearbeitet, und weißt du, was sie jetzt als Rente bekommt? 120 Luca! [chilenische Umgangssprache für 120.000 Pesos]. Weniger als 150 Euro! Und damit ist sie nicht allein. 95 Prozent aller chilenischen Rentnerinnen bekommen sogar weniger [Untersuchungen der Universidad de Chile stützen ihre Aussage].

Doch dann wendet sich Vania wieder der Musik zu und singt lauthals eine der Hymnen des chilenischen Widerstands gegen die Pinochet-Diktatur mit. Ein Lied der legendären chilenischen Rockband "Los Prisioneros":

Die Gitarrenklänge und Gesänge werden immer wieder vom sogenannten Cacerolazo unterbrochen. Diese Form des zivilgesellschaftlichen Protestes, die aktuell auch in Katalonien Anwendung findet, ist eine lautstarke Form des Protests, bei dem mit Löffeln auf Töpfe und Pfannen geschlagen wird:

Der Name kommt von "Cacerola" (spanisch für "Topf") und wurde auch bereits in den 1980er-Jahren gegen die Pinochet-Diktatur eingesetzt. Der bisher wohl bekannteste und größte Cacerolazo fand Ende Dezember 2001 in Buenos Aires statt und führte zum Rücktritt des damaligen Staatspräsidenten Fernando de la Rúa. Doch zurück zum Brandenburger Tor. Bis in die späten Abendstunden sangen und tanzten die jungen Chilenen und skandierten einen der Klassiker des Widerstands gegen die Pinochet-Diktatur: "El pueblo unido jamás será vencido" ("Das vereinte Volk wird niemals besiegt werden") sowie "El que no salta es Piñera!" – eine Abwandlung eines Aktionsspruches aus den 1980er-Jahren gegen Pinochet: "Der, der nicht hüpft, ist Pinochet!"

Der Verfasser dieser Zeilen sitzt derweil am Rand des Brandenburger Tors und lässt (ganz unjournalistisch) seinen Tränen freien Lauf: 

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