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Nach Seehofers Ansage: Sind Gamer die neuen Nazis?

Nach dem Terror-Anschlag in Halle (Saale), bei dem der Attentäter Menschen jüdischen Glaubens töten wollte, knöpft sich der Bundesinnenminister nun die Gamer-Szene vor. Die Simulationen der Computerspiele würden zum Vorbild für rechtsextremistische Taten.
Nach Seehofers Ansage: Sind Gamer die neuen Nazis?Quelle: RT

Stephan B., der Täter von Halle (Saale), wollte seinem Vorbild, dem Christchurch-Attentäter, nacheifern. Ein Blutbad in der Synagoge konnte er nicht anrichten. Er scheiterte an der verschlossenen Tür und der Fehlfunktion seiner selbstgebauten Waffen. Eine Passantin auf der Straße und ein junger Mann in einem Döner-Imbiss wurden zu seinen Opfern.

Seine Tat streamte der 27-Jährige live auf Twitch und hinterließ ein Manifest, in dem er seinen Hass auf Minderheiten festhielt sowie seine selbstgebauten Waffen und Bomben präsentierte. Unter den Twitch-Nutzern sind viele Videospieler. Auch in seinem Manifest gäbe es Formulierungen aus der Gamer-Szene. 

In Computerspielen könnten die Grenzen zwischen Computerspiel und Terror verschwimmen. Daher fordert Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU)  mehr Überwachung der Gamer-Foren: 

Viele von den Tätern oder den potenziellen Tätern kommen aus der Gamer-Szene. Manche nehmen sich Simulationen geradezu zum Vorbild. Man muss genau hinschauen, ob es noch ein Computerspiel ist, eine Simulation oder eine verdeckte Planung für einen Anschlag. Und deshalb müssen wir die Gamer-Szene stärker in den Blick nehmen. 

Schwer abzuschätzen bleibt, welche Foren-Nutzer zu rechtsextremen Taten fähig wären. Auf Seehofers Äußerungen hagelte es Kritik. Daraufhin sagte Seehofer: 

Wir sehen, dass Rechtsextremisten das Internet und auch Gaming-Plattformen als Bühne für ihre rechtswidrigen Inhalte missbrauchen. Ob analog oder digital: Wir wollen Rechtsextremisten überall dort bekämpfen, wo sie aktiv sind. 

FDP-Chef Christian Lindner sieht eine generelle Verurteilung der Spielerszene als falsch an und spricht von "Sinnlos-Debatten". Auch SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil kritisierte Seehofer: "Das Problem heißt Rechtsextremismus, nicht Gamer oder sonst was." Ein Sprecher des Innenministeriums bemühte sich um Schadensbegrenzung: Es sei keinesfalls beabsichtigt, "die gesamte Spielebranche oder Gamer-Szene in Misskredit zu bringen". Vielmehr gehe es um die Bekämpfung schwerster Straftaten in allen Bereichen. Der Youtuber Rezo schrieb: 

Wie kann man seinen Job immer und immer wieder so sehr verkacken? Er und seine Crew sind echt so krass inkompetent. 

Die Debatte erinnert an die Tat von Erfurt im Jahr 2002. Hier tötete der Attentäter 16 Menschen. Peter Smits, ein erfolgreicher Online-Spieler: 

Auch damals war es für die Politiker leichter, die Schuld den Videospielen zuzuschieben, statt an echten gesellschaftlichen Problemen zu arbeiten. Wie in dem jetzigen Fall beispielsweise Rechtsextremismus. Es ist eine Schande und unwürdig. 

Die Gamer sind derweil empört. Sie fühlen sich von Bundesinnenminister Horst Seehofer zu Unrecht an den Pranger gestellt. Stellvertretend wies Felix Falk, der Geschäftsführer des Branchenverbandes "game", die Aussagen von Seehofer zurück: "Die Games-Community unter einen Generalverdacht zu stellen, zeugt vor allem von Unkenntnis und Hilflosigkeit und lenkt von den wirklichen gesellschaftlichen und politischen Ursachen für solche Taten ab."

Tatsächlich spielen Millionen Menschen in Deutschland an der Konsole, am PC oder Smartphone oft stundenlang, ohne im Verdacht von rechtsextremen Umtrieben zu stehen. Fast jeder Zweite hierzulande spielt regelmäßig, darunter auch Seehofers Parteifreundin Dorothee Bär. Die Staatsministerin für Digitalisierung im Kanzleramt bezeichnet sich auf Instagram selbst als "Gamerin" und ist sauer auf Seehofer. Es werde viel für die Games-Förderung gemacht. Ohne Seehofer beim Namen zu nennen, sagte Bär, das lasse man sich nicht mit "einem Satz" kaputtmachen.

Auch im Internet ergoss sich Hohn über Seehofers Ankündigung:

Auf Twitter wurden aber auch Stimmen laut, die einen kritischen Blick auf die Szene einforderten. "Alle, die so tun, als gäbe es im Gaming-Bereich kein vermehrtes Problem mit Rassismus, Rechtsradikalismus und vor allem Frauenfeindlichkeit, sollen mal fröhlich in Gaming-Subreddits oder bei Steam rumschauen", schrieb die Autorin und Radio-Moderatorin Sophie Passmann. Subreddits sind Untergruppen auf der Plattform Reddit, auf der registrierte Benutzer Inhalte einstellen können.

Experten weisen seit Monaten darauf hin, dass insbesondere auf der Gaming-Plattform Steam viele zweifelhafte Inhalte zu finden sind. Dort posten Anwender Beiträge, die sich selbst nach bekannten Rechtsterroristen benennen oder Hakenkreuze als Symbole verwenden. Bei Steam werden nicht nur Computerspiele verkauft, sondern der Community ein umfangreicher Bereich zum Meinungsaustausch bereitgestellt. Als Verkaufsplattform fällt Steam nicht unter das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), das eine schnelle Löschung von Hassinhalten vorschreibt.

Es geht den Innenpolitikern der Großen Koalition aber nicht nur darum, Steam & Co. stärker in die Pflicht zu nehmen. Sie sind sich angesichts der neuen Dynamik im rechtsextremistischen Bereich im Prinzip darüber einig, dass die Sicherheitsbehörden im Internet mehr Zugriffsmöglichkeiten brauchen. Dies gelte für "das gesamte Internet" und damit auch für Plattformen, auf denen sich die Gamer-Szene austauscht, sagt Uli Grötsch, Vertreter der SPD im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags. Fragt man Abgeordnete von Union und SPD, die sich vorrangig um Justiz und Netzpolitik kümmern, mehren sich dagegen die kritischen Stimmen von denjenigen, die vor zu großen Eingriffen in die Privatsphäre der Bürger warnen.

Ein Blick zurück: Die ehemalige Justizministerin Katarina Barley (SPD) hatte den Entwurf des Innenressorts für ein Gesetz zur "Modernisierung des Bundesamtes für Verfassungsschutz" ohne inhaltliche Prüfung zurückgewiesen. Aus dem Justizressort hieß es damals nur, man wünsche sich parallel zu der im Koalitionsvertrag vorgesehenen moderaten Ausweitung der Befugnisse eine Stärkung der Kontrollmöglichkeiten durch das Parlament. Im Innenressort beschloss man daraufhin, die Sache bis zum Amtsantritt der nächsten Justizministerin ruhen zu lassen. Das erste Gespräch mit Christine Lambrecht (SPD) dazu sei gut verlaufen; Details müssten aber noch geklärt werden, hieß es hinterher aus dem Innenministerium.

Eine Bekämpfung des Rechtsextremismus im Netz erweist sich aber nicht nur für die Berliner Politik als komplexe Aufgabe. Außerhalb des Wirkungsbereichs der deutschen Justiz gibt es im Netz unzählige Foren wie 8chan und sogenannte Imageboards, in denen Rechtsextremisten sich mit ihren Gewaltfantasien austoben können, um alles wenig später nur als Witz zu bezeichnen. Die Hetzer und Trolle werden gedeckt, auch weil die Betreiber dieser Plattformen sich für das Recht auf die radikale Variante der freien Meinungsäußerung ohne jede Grenzen einsetzen. Und selbst wenn man die Foren alle intensiv überwachen würde, wären perfide Provokationen nur schwer von echtem Terror zu unterscheiden.

Als der Attentäter von Christchurch seinen Anschlag in dem Online-Forum 8Chan ankündigte, seien sich viele Nutzer – darunter einige seiner Online-Freunde – nicht sicher gewesen, ob er es wirklich ernst meinte, erklärte die Extremismus-Forscherin Julia Ebner von der Londoner Denkfabrik Institute for Strategic Dialogue. "Selbst als er seinen Live-Stream auf Facebook startete, schienen die Kommentatoren auf 8Chan nicht einschätzen zu können, ob der Angriff einen Streich oder ein echtes Ereignis darstellte."

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(rt deutsch/dpa)

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