Deutschland

Gibt es eine Renaissance der Volksparteien?

Die Altparteien schauen nach vorn – und bewegen sich gleichzeitig in die Vergangenheit. Beide haben in den vergangenen Tagen intensiv an einer Neuausrichtung gearbeitet. Beide widmen sich den Themen, die sie am meisten Stimmen gekostet haben.
Gibt es eine Renaissance der Volksparteien?Quelle: Reuters © Hannibal Hanschke

Es zeugt von einer gewissen Harmonie, dass beide Parteien, die mehr oder weniger noch als Volksparteien eingeordnet werden können, sich gerade jetzt an die Aufarbeitung ihrer größten Misserfolge machen. Beide treibt die nackte Not. Beide suchen ihre Identität, nachdem sie mit umstrittenen Entscheidungen ihre Wählerschaft dramatisch verkleinert haben.  

Neuer Wein in alten Schläuchen

Die SPD hat einen langen Leidensweg hinter sich. Die Agenda 2010, darunter die Hartz IV-Reformen, entfaltete im Gegensatz zur Migrationskrise 2015 ihr Gift langsam, aber nachhaltig. Die Wähler wandten sich ab, der linke Flügel fusionierte unter Oskar Lafontaine mit der PDS zur Linkspartei.

Von den 40 Prozent, die die SPD bei der Bundestagswahl 1998 einfahren konnte, ist sie heute Lichtjahre entfernt. Bei der Landtagswahl in Bayern konnte die Partei nur noch viertstärkste Kraft werden und hat über die Hälfte ihrer Stimmen eingebüßt.

Ihr jetziger "Linksruck" ist überfällig, wenn nicht sogar zu spät. Dabei sind die Änderungen substantiell. Das Arbeitslosengeld I wird spürbar verlängert. Beim Übergang in Hartz IV erfolgt der Zugriff auf Vermögen und Immobilien viel später.

Das Problem, dass die SPD mit großer Euphorie zu verstecken versucht, ist ihr Personal. Dies stand einer Änderung des Systems seit Jahren im Weg. Olaf Scholz sagte noch vor einem Jahr, am Prinzip des Hartz-IV-Systems nichts ändern zu wollen. Nahles sang noch 2015 ein Loblied auf die Agenda 2010. In ihren vier Jahren als Ministerin für Arbeit und Soziales war sie für zahlreiche Maßnahmen verantwortlich, die Leistungsempfängern das Leben sehr schwer gemacht haben. So hat sie sich zum Beispiel lange dagegen gewehrt, dass Menschen mit Behinderung den vollen Hartz-IV-Satz bekommen, wenn sie von Familienangehörigen gepflegt werden. Sie wollte Alleinerziehenden das Sozialgeld zusammenstreichen, wenn das Kind auch nur einen Tag beim anderen Elternteil verbringt.

Bye bye, Angela!

Die CDU muss jetzt innerparteiliche Gräben zuschütten, die seit 2015 tiefer und tiefer wurden. Das eine Umkehr alternativlos war, zeigte sich an den dramatischen Verlusten in den Landtagswahlen 2018. Auch als Angela Merkel den Parteivorsitz freimachte, blieb der erhoffte Aufbruch in den Startlöchern stecken. Die denkbar knappe Stichwahl zwischen Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz machte sichtbar, wie sehr die Partei, die nach außen hin immer geschlossen auftrat, entzweit war.

Merkels Entscheidung in der Flüchtlingskrise kostete die Partei viele konservative Wählerstimmen, die damals zur AfD abwanderten. Die Quittung an den Wahlurnen war ähnlich heftig wie bei der SPD, doch im Gegensatz zur Rivalin erkannte die Partei frühzeitig, was ihr Merkels Kurs eingebrockt hatte. Nicht ganz zufällig fehlte Angela Merkel bei den Werkstattgesprächen.

Die Ergebnisse ihrer Werkstattgespräche lesen sich wie das, was die Schwesterparteien im Sommer an den Rand der Spaltung gebracht hatte. Asylzentren an der EU-Außengrenze und Zurückweisungen an der bundesdeutschen Grenze sind jetzt auf dem Tisch, ferner Vereinfachung des Asylverfahrens und Verringerung der Sozialleistungen. Die CSU ist zufrieden. Horst Seehofer fühlt sich im Nachhinein bestätigt, den Streit im Sommer 2018 zurecht entfacht zu haben.

Schwierig könnte es jetzt für die kleineren Parteien AfD und Die Linke werden, die gewissermaßen die radikaleren Positionen der CDU und der SPD geerbt haben. Bisher hat ein Trick immer ganz gut funktionert, um die eigenen Relevanz zu unterstreichen: Wann immer die "großen" Parteien Beschlüsse gefasst haben, die ihrem früheren Profil entsprachen, konnten die kleinen behaupten, jetzt würden die großen Parteien endlich das umsetzen, was sie jahrelang gefordert hatten. Mit den "Neuaufbrüchen" der Volksparteien wäre das zunehmend schwieriger. Sie müssen jetzt um ihr Alleinstellungsmerkmal bangen, die "wahren Werte" der CDU bzw. SPD zu vertreten.

Alles nur Schaukampf?

Beide Parteien beeilen sich jetzt, als erste der Öffentlichkeit als "wiedergeboren" zu erscheinen. Denn die Zeit drängt: Am 26. Mai sind nicht nur die Wahlen zum Europäischen Parlament, sondern auch Bürgerschaftswahl in Bremen und Kommunalwahlen in neun Ländern.

Die jetzt angekündigten Neuausrichtungen sind richtig und wichtig, sie betreffen Felder, in denen eine Reform längst überfällig war oder die aufgrund von Tabuisierung nicht angetastet werden durften. Doch sollte man genau hinsehen, was von den wunderbaren Vorschlägen letztendlich umgesetzt wird und was als "agenda setting" die mediale Öffentlichkeit beherrschen soll. Die Rückkehr zu alten politischen Grabenkämpfen der 70er und 80er soll dem Wähler vorgespielt werden. Die Rückkehr zu den vertrauten Verhältnissen, dass die Union wieder konservativ und die SPD wieder sozial ist, soll dem Bürger wieder einen klaren politischen Rahmen vermitteln. Doch wie diese Rivalität aussehen soll, solange beide in einer Großen Koalition zusammenarbeiten sollen, kann keiner beantworten. Wenn überhaupt werden es nur Schaukämpfe sein, die beide nutzen werden, um ihr Profil zu schärfen und Wähler von den Rändern zurückzugewinnen. Eine echte Renaissance sieht anders aus.

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