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Ausgedient: Nachfolgemodell des Pannengewehrs G36 soll auch bei Hitze verlässlich sein

Ein Ersatz für das "Pannengewehr" G36 soll her. Die Entscheidung über den Hersteller der neuen Ordonnanzwaffe soll bis zum 15. Februar fallen. Neben Heckler & Koch ist Haenel im Rennen, das der emiratischen Tawazun Holding (UAE) angehört.
Ausgedient: Nachfolgemodell des Pannengewehrs G36 soll auch bei Hitze verlässlich seinQuelle: Reuters © Fabian Bimmer

Im Jahr 2015 entschied Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), "dass das G36, so wie es heute konstruiert ist, keine Zukunft in der Bundeswehr hat". Nach achtmonatigen Verzögerungen bei der Suche nach einem Nachfolger läuft die Frist am 15. Februar aus.

Im Rennen sind ein Traditionslieferant Heckler und Koch sowie die kleinere Firma Haenel, aus aus Thüringen. Haenel (Suhl) ist Teil der Merkel Gruppe, die der Tawazun Holding (Vereinigte Arabische Emirate) angehört.

Das neue Gewehr muss einem Forderungskatalog der Bundeswehr zu Reichweite, Durchschlagskraft und Präzision entsprechen, bei denen auch Gefechtserfahrungen aus den Einsätzen wie vor allem Afghanistan als Grundlage dienen, denn diese waren beim Vorgängermodell nicht berücksichtigt worden. Dort hatte der Hersteller beim Material für des Gehäuse des gelieferten Gewehrs - anders als beim Musterexemplar - aus Gewichts- und Kostengründen auf den Kunststoff Polyethylen für das Gehäuse gesetzt. Der neigt allerdings bei Hitzeeinwirkung zu Verformung und birgt damit lebensgefährliche Risiken für die Soldaten auch oder gerade in Auslandseinsätzen.

Hinweise auf Pfusch und Vertuschung

Die Affäre um das G36 begann bereits im Jahr 2012 mit Hinweisen auf Probleme mit der Treffgenauigkeit, die späteren Untersuchungen zufolge nach langen Schussfolgen oder eben unter Hitzeeinwirkung auftreten.

Der Bundesrechnungshof warf dem Bundesverteidigungsministerium auch Vertuschung vor, hatte es doch, zunächst unter Leitung von Thomas de Maizière (CDU), entgegen seit 2011 wiederholter Mängelberichte immer wieder behauptet, das Gewehr funktioniere einwandfrei.

Erst im Jahr 2015 räumte das Ministerium erhebliche Probleme mit dem Standardgewehr ein. Bei Tests mit dem G36 hätten sich deutliche Abweichungen bei der Präzision gezeigt, wenn das Gewehr heißgeschossen oder durch klimatische Bedingungen stark erwärmt ist.

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In der bereits damals gut 20 Jahre umfassenden Historie von Beschaffung, Einsatz und Problematik des G36 sollte ab 2015 eine Kommission unter dem Vorsitz des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Winfried Nachtwei prüfen, ob durch Probleme des G36 bei besonderen Vorkommnissen in den Einsätzen in der Vergangenheit Soldatinnen und Soldaten zu Schaden gekommen sind.

Außerdem sollte damals parallel dazu ein Team von Sachverständigen unter Leitung des langjährigen Chefs der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, Klaus-Peter Müller, eine Organisationsstudie erstellen, die mit Blick auf das G36 der Frage nachgeht, ob es strukturelle Schwachstellen im Management der Großorganisation Bundeswehr gibt.

Es folgten Streit und Empörung über schlecht ausgerüstete Soldaten. Doch das Traditionsunternehmen Heckler & Koch wehrte sich öffentlich und juristisch gegen einen Imageschaden, mit Erfolg. Das Landgericht Koblenz bescheinigte dem Waffenhersteller, von 1996 an geliefert zu haben, was die Bundeswehr bestellt hatte: ein Sturmgewehr zur Landesverteidigung im mitteleuropäischen Klima.

Dass deutsche Soldaten unter der Hitze Afghanistans oder inzwischen auch Malis Patrouille fahren, hatte damals niemand auf dem Zettel.

Das Sturmgewehr war bei Weitem nicht der einzige Fall von teurem, aber nicht praxistauglichem Gerät. In Mali stand die Hälfte der dort eingesetzten Bundeswehrfahrzeuge wegen der Hitzeuntauglichkeit still. Auch für den Einsatz des Kampfhubschraubers "Tiger", der zuvor als einsatzbereit gemeldet werden sollte, benötigt die Bundeswehr vorerst eine Sonderfreigabe zum Flug unter hohen Temperaturen, da dieser zuvor nur bei bis zu maximal 43,26 Grad Celsius abheben durfte.

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Im Herbst 2015 zeigte sich, dass das Verteidigungsministerium weitaus mehr Zeit und Geld für die Beschaffung eines Nachfolgers veranschlagte. Laut einer internen Vorlage für die damalige Rüstungsstaatssekretärin Katrin Suder, auf die sich der Spiegel berief, sollte sich der Prozess bis zur Ablösung des Pannengewehrs bis weit ins kommende Jahrzehnt hinziehen und mindestens 630 Millionen Euro kosten.

Höhere Anforderungen nach der teuren Blamage

Auch ohne den Streit um die Präzision wäre das G36 inzwischen am Ende der Nutzungszeit angekommen, rechtfertigte sich Ministerin von der Leyen. Als Nachfolger für das G36 fordert die Bundeswehr nun ein Gewehr, das für alle Klimazonen geeignet ist. Von der Feuerkraft her muss es den Feind vorübergehend niederhalten können, also in die Deckung zwingen. In einer solchen Situation kann die Präzision hinter die Feuerkraft zurücktreten. Das Ziel muss aber bald darauf wieder mit hoher Wahrscheinlichkeit getroffen werden.

Es gilt, sogenannte Kollateralschäden bei Einsätzen zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung zu vermeiden – bei Auslandseinsätzen sollen nicht etwa Unbeteiligte wegen des hitzesensiblen Querschlägers zu Opfer werden. Nicht zu vergessen die Forderung nach "Wirkungsüberlegenheit" gegenüber Waffen möglicher Gegner, die mit Feuerkraft und größerer Reichweite erreicht werden kann.

Aus zeitlichen Gründen hat sich die Bundeswehr gegen eine Neukonstruktion für die 120.000 zum Kauf anstehenden Waffen entschieden und setzt auf die Anpassung "marktverfügbarer Waffen". Der Hersteller Sig Sauer hatte sich im November 2017 aus dem Vergabeverfahren zurückgezogen, kurz darauf auch Rheinmetall/Steyr-Mannlicher. Sig Sauer (Eckernförde) hat in den letzten Jahren seine Position als Lieferant von Dienstwaffen für deutsche Polizeibehörden und den Verfassungsschutz massiv ausgebaut.

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Als deutsch-amerikanische Bietergemeinschaft hatte es sich mit dem Gewehr MCX am vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb beteiligt, dann aber Ungleichbehandlung kritisiert. Sig Sauer hat ein Schwesterunternehmen in den USA und warf dem Verteidigungsministerium eine pauschale Diskriminierung von US-Bietern vor. Eine Bedingung war, dass das neue Gewehr nicht dem US-Regelwerk für Waffenhandel (ITAR) unterliegt. Dies und die Munitionsfrage seien als Vorentscheidung für Heckler & Koch zu verstehen, so Sig Sauer.

Mangelnde Treffgenauigkeit des deutschen Traditionsunternehmens auch von Polizei beklagt

Die Waffenschmiede aus Baden-Württemberg ist einer der bekanntesten Handfeuerwaffen-Hersteller der Welt und beliefert seit Jahrzehnten die Bundeswehr und andere Armeen. Zuletzt hatte das Unternehmen auch Kundenkritik bekommen. Die Berliner Polizei beklagte 2018 zum zweiten Mal mangelnde Treffgenauigkeit von Pistolen und mahnte Nachbesserung an. Die Firma wies die Vorwürfe aber zurück.

Heckler & Koch befindet sich in schwierigem Fahrwasser, in den ersten drei Quartalen 2018 fuhr das Unternehmen einen Verlust ein von vier Millionen Euro, wie aus einem Zwischenbericht der Firma hervorgeht. Für eine 800-Mitarbeiter-Firma mit einem Umsatz von rund 164 Millionen Euro in dem Zeitraum ist das kein Pappenstiel. Eine Niederlage bei der G36-Nachfolge wäre gefährlich.

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In der Rüstungsindustrie ist das Problem des Oligopols, der Marktbeherrschung durch wenige hochspezialisierte Fachunternehmen, immer präsent. Deswegen muss man umso akribischer vorweg prüfen und verhandeln, um einen guten Vertrag zu haben", sagt die Ministerin dazu der Deutschen Presse-Agentur.

Ziel sei das bestmögliche Gewehr für die Soldaten zu einem vernünftigen Preis.

Solche Prozesse sind traditionell vor 20, 30 Jahren anders gelaufen, als die Rüstungsindustrie noch enger mit den staatlichen Stellen gekoppelt war. Die Probleme kamen dann meist hinterher. Heute muss der Staat seine Interessen genauso nachdrücklich wahrnehmen wie private Marktteilnehmer.

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