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Merkel wirbt in Griechenland für Austeritätskurs: Massive Proteste gegen EU, IMF, NATO und Merkel

Bundeskanzlerin Merkel weilt in Griechenland und wirbt für eine Fortführung der Austeritätspolitik. Doch der vermittelte Schein von Harmonie trügt. Über ein Dutzend Organisationen protestierten gegen den Besuch. In Athen kam es zu massiven Ausschreitungen.
Merkel wirbt in Griechenland für Austeritätskurs: Massive Proteste gegen EU, IMF, NATO und MerkelQuelle: Reuters

Bundeskanzlerin Angela Merkel weilt für einen zweitägigen Staatsbesuch in Griechenland. Es handelt sich um den ersten Besuch Merkels seit fünf Jahren und den ersten, seit Premierminister Alexis Tsipras die Amtsgeschäfte übernommen hat.

Möchte man dem hiesigen Medientenor Glauben schenken, haben die Griechen mittlerweile die Austeritätsmaßnahmen der Troika, bestehend aus EZB, EU-Kommission und IWF, als zwar schmerzhafte, aber alternativlose Maßnahme für ihr Land verinnerlicht. Vorbei also die Zeiten von Massenprotesten gegen die Kanzlerin, gegen den sozialen Kahlschlag, damit "die Märkte" wieder Vertrauen in das Land fassen.

Heute, 2019, scheint die Stimmung eine andere zu sein", heißt es etwa beim Morgenmagazin.

Gar von einem "Stimmungswechsel der Griechen gegenüber Merkel" ist die Rede. Tsipras hat der Bundeskanzlerin dementsprechend (nur) "frohe Botschaften" zu überbringen.

Merkel selbst hatte vor ihrer Abreise am Donnerstag versichert, dass Griechenland "weiterhin auf seine Partnerschaft und Freundschaft mit Deutschland zählen" könne. Haben die Griechen die Weisheit der Bundesregierung also endlich erkannt?

Die griechische Krise ist heute Abend vorbei", verkündete EU-Finanzkommissar Pierre Moscovici im Juni 2018. 

Insgesamt 289 Milliarden Euro wurden seit Beginn der griechischen Staatsschuldenkrise lockergemacht. Zwar hat Griechenland das EU-Hilfsprogramm im vergangenen Jahr verlassen, wird aber zumindest ein weiteres Jahrzehnt mit Sparhaushalten und Wirtschaftsreformen im Sinne der Troika zu kämpfen haben.

Tsipras betonte am Donnerstag angesichts des deutsch-griechischen Verhältnisses:

Die Stereotypen des faulen Griechen und des strengen Deutschen sind vorbei.

Also, alles in Butter? Es kommt darauf an, für wen. Seit dem Jahr 2010 hat Deutschland als führender Staat der Eurogruppe rund 2,9 Milliarden Euro an Zinsen erhalten. Frühere Vereinbarungen hatten noch vorgesehen, dass Griechenland bei Erfüllung aller Spar- und Reformauflagen die Zinsgewinne zurückerstattet werden.

Entgegen allen rechten Mythen hat Deutschland massiv von der Krise in Griechenland profitiert", konstatierte daher etwa der grüne Haushaltsexperte Sven-Christian Kindler.

Während die Bundeskanzlerin die griechische Regierung aufforderte, die harten Wirtschaftsreformen und eine strenge "Haushaltsdisziplin" voranzutreiben, zog es viele Griechen zu Protesten auf die Straße.

Ich weiß, dass die letzten Jahre für viele Menschen in Griechenland sehr schwierig waren", erklärte Merkel nun gegenüber der griechischen Zeitung Kathimerini und fügte hinzu, dass das Land nach drei Rettungsaktionen für die Eurozone und den Internationalen Währungsfonds (IWF) 'große Fortschritte' gemacht habe.

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Für viele Griechen klingen die Worte der Kanzlerin wohl eher wie blanker Zynismus. Angesichts der nach der Finanzkrise 2008 zerrütteten Wirtschaft des Landes schrumpfte das BIP um ein Drittel, jeder dritte Grieche ist von Armut bedroht und die Arbeitslosigkeit stieg auf 18,6 Prozent – die höchste in der Eurozone. Dem vermittelten Kuschelkurs wollen viele daher nicht folgen. Viele von ihnen zog es daher auf die Straße, um ihrer Frustration Luft zu machen. Daran konnte auch die verstärkte Polizeipräsenz von 2000 Polizisten in Athen nichts ändern. Auch nicht die Tatsache, dass Demonstrationen für den größten Teil des Zentrums und auf den Straßen der Hauptstadt verboten und die U-Bahn-Stationen aus Sicherheitsgründen geschlossen wurden.

Am Donnerstagabend brachen in der Athener Innenstadt massive Ausschreitungen aus, als Sicherheitskräfte Tränengas gegen Demonstranten einsetzten, die gegen Merkel, die NATO, die EU und den IWF protestierten. Zu diesen hatten 13 überwiegend linke und zivilgesellschaftliche Organisationen aufgerufen.

Dass die Griechen in großer Zahl keineswegs bereit sind, sich mit dem bereits engen Gürtel ins eigene Fleisch zu schneiden, wird auch in aktuellen Meinungsumfragen deutlich, bei denen der griechische Premierminister Alexis Tsipras für seinen Kurs abgestraft wurde. Prompt versprach dieser, einige der unpopulären Reformen wieder rückgängig zu machen. Es ist zweifelhaft, ob der Besuch Merkels seine Popularität wird steigern können. Einer Umfrage der Zeitung Kathimerini vom vergangenen Oktober zufolge bewerten nur 29 Prozent der Befragten das Ansehen der Chefin der "schwarzen Null-Regierung" unter allen wichtigen internationalen Spitzenpolitikern als positiv.

Neben Schmeicheleien hatte die Kanzlerin auch Forderungen im Gepäck. So verlangte sie eine konsequentere Umsetzung des 2016 geschlossenen EU-Türkei-Flüchtlingspakts von Griechenland.

Angesichts des Griechenland-Besuchs der Kanzlerin richteten "Ärzte ohne Grenzen" einen dringenden Appell an Merkel. Sie möchte doch die griechischen Inseln Lesbos, Samos oder Chios besuchen und sich ein Bild über die EU-Flüchtlingspolitik machen.

Täglich sieht unser medizinisches Team mehr als 100 Kinder, zum Beispiel mit Atemwegsinfektionen, Durchfall, Hautkrankheiten und psychischen Problemen – viele dieser Beschwerden wurden durch die schrecklichen Lebensbedingungen verursacht und werden durch diese noch verschlimmert", empörte sich diemedizinische Leiterin für die Projekte von 'Ärzte ohne Grenzen' auf Lesbos, Cordula Häffner.

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Noch funktioniere die Rückführung der Flüchtlinge in die Türkei nicht ausreichend. Man wolle daran arbeiten, "dass dieser Teil des Abkommens auch noch besser umgesetzt werden kann", erklärte Merkel. Deutschland sei bereit, bei der Verbesserung der Lage auf den Inseln zu helfen.

Die Situation auf den Inseln ist immer noch sehr, sehr herausfordernd," so die Bundeskanzlerin.

Darüber hinaus rief die Kanzlerin die griechische Politik dazu auf, das Abkommen Athens mit Skopje zur Überwindung des Namensstreits mit Mazedonien zu billigen.

Ich mische mich aber nicht in die inneren Angelegenheiten des Landes", sagte sie zugleich.

Die Überwindung des Streits werde allen Seiten nutzen, zeigte sich Merkel überzeugt. Skopje und Athen hatten im vergangenen Juni vereinbart, dass die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien sich in Nord-Mazedonien umbenennt. Athen würde dann nicht mehr den Beitritt seines nördlichen Nachbarn in die NATO und künftig auch in die EU blockieren.

Doch da möchte der Koalitionspartner von Tsipras Syriza-Partei, die Unabhängigen Griechen, nicht mitmachen. Man drohte zuletzt damit, die Regierung zu verlassen, wenn der Mazedonien-Deal im Parlament zustande kommt. Viele Griechen bestehen darauf, dass der nördliche Nachbar des Landes "Mazedonien" aus seinem Namen streicht, da sie der Ansicht sind, dass sich daraus ein territorialer Anspruch auf eine gleichnamige nordgriechische Provinz ableiten lassen könnte.

Am Freitag wird Merkel mit Kyriakos Mitsotakis, dem Vorsitzenden der konservativen Partei "Nea Dimokratia" (ND), zusammentreffen, also der Partei, die bei den jüngsten Meinungsumfragen weit vor Tsipras Syriza-Partei liegt und ebenfalls das Abkommen mit Mazedonien ablehnt.

Nach Ansicht von Beobachtern wird auch die Frage der Reparationen für griechische Opfer der Nazi-Okkupation und die Rückzahlung eines Darlehens, das Griechenland Deutschland damals gewähren musste, während des zweitägigen Besuchs von Merkel auf der Agenda stehen.

Der Begriff Austerität selbst stammt aus dem Griechischen und wird mit Herbheit, Ernst oder Strenge übersetzt. Die mit der entsprechenden Politik einhergehenden "Budget-Konsolidierungsmaßnahmen" sind international keineswegs unumstritten. Diverse Studien wie die des "Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche" verweisen auf die Fragwürdigkeit der vermeintlichen "Alternativlosigkeit" der Austerität.

Die ökonometrischen Daten über den Zusammenhang zwischen dem kumulativen realen BIP-Wachstum und den Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung deuten auf eine stark negative Assoziation hin, da die Tiefe der Wirtschaftskrise im Zeitraum 2011 bis 2013 in den Volkswirtschaften des Euroraums eng mit der Härte der fiskalischen Sparsamkeit verbunden ist", heißt es unter anderem in dem Papier.

Zu den Skeptikern gesellte sich auch der ehemalige IWF-Chefvolkswirt Olivier Blanchard. Dieser warnte in einem Arbeitspapier des IWF im Jahr 2013 davor, die negativen Effekte der Austeritätsmaßnahmen zu unterschätzen.

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