Deutschland

Die Gewerkschafts-Exorzisten: Wenn deutsche Unternehmer "Rot" sehen

Sie hetzen Detektive gegen Betriebsräte oder schnüffeln Pausenräume und Toiletten aus: Zu solch dreisten Tricks greifen mittlerweile manche Unternehmer in Deutschland, um ihre Beschäftigten davon abzuhalten, ihre Rechte in Anspruch zu nehmen.
Die Gewerkschafts-Exorzisten: Wenn deutsche Unternehmer "Rot" sehenQuelle: www.globallookpress.com © imago stock&people/Rene Achenbach/Hotspot-Foto

RT Deutsch sprach mit dem renommierten Aktivisten für Beschäftigtenrechte und Publizisten Werner Rügemer über die Zunahme rechtlich äußerst fragwürdiger Verfahren seitens Unternehmen in Deutschland gegen Betriebsrats- und Gewerkschaftsaktivisten. Das Gespräch führte Hasan Posdnjakow.

Was bedeutet der Begriff 'Union Busting' und woher stammt er?

Der Begriff wurde in den USA geprägt und bezeichnet die Methoden, mit denen seit Ende des 19. Jahrhunderts Gewerkschaften und betriebliche Arbeitsvertretungen bekämpft werden. Dafür beauftragen die Unternehmer bezahlte Profis. Das waren zunächst z.B. Agenturen, die Streikbrecher bereitstellten und mit bewaffneten Trupps Demonstrationen niederschlugen. Die Pinkerton Detective Agency war die bekannteste Agentur. Heute überwiegen die Profis, die rechtlich, medial und psychologisch vorgehen. 'Busting' heißt übrigens zerschlagen, kaputt machen.

Das Recht von Beschäftigten, sich gewerkschaftlich zu organisieren und Betriebsräte zu gründen, ist in Deutschland gesetzlich festgeschrieben. Wieso kommt es trotzdem dazu, dass Unternehmen immer wieder versuchen, diese Rechte zu untergraben?

Der gesetzliche Schutz von Gewerkschaften und Betriebsräten – auch etwa des 8-Stunden-Tages und der 40-Stunden-Woche – war in Deutschland nach der Novemberrevolution 1918 und nach dem Ende des Faschismus 1945 immer nur ein erzwungenes Zugeständnis der Unternehmer. Nach einiger Zeit haben sie und unternehmerfreundliche Regierungen diesen Kompromiss schrittweise aufgekündigt. In Deutschland begann das mit dem Zusammenbruch der DDR. Mit der Agenda 2010 der SPD-Grünen Regierung, mit den vier Hartz-Gesetzen und mit dem beschleunigten Aufkauf von Unternehmen durch US-Investoren bekamen Union Busting-Praktiken einen neuen Schub.

Welche Methoden setzen Unternehmen beim Union Busting ein?

Detektive werden als kurzzeitig Beschäftigte eingeschleust und spionieren z.B. einen unliebsamen Betriebsrat aus, auch in der Freizeit. Andere Detektive installieren Überwachungssoftware in Computern oder Überwachungsgeräte in Pausenräumen und Toiletten. So werden Gründe gefunden oder inszeniert, um Betriebsräten zu kündigen, die sich einer Schicht-, Überstunden- oder Leiharbeitsregelung widersetzen. Oder Aktivisten werden hinausgedrängt, die einen Betriebsrat gründen wollen. Arbeitsrechts-Anwälte formulieren dann eine Kündigung, selbst wenn sie wissen, dass die beim Arbeitsgericht nicht durchkommt. Und wenn der Gekündigte widerspricht und nach drei Monaten das Arbeitsgericht die Kündigung für unwirksam erklärt, hat er schon die nächste Kündigung bekommen, gegen die er wieder vors Arbeitsgericht gehen kann, bis er nach dieser Methode der Kettenkündigung nach dem fünften Mal und nach anderthalb Jahren zermürbt aufgibt und sich freut, wenn er wenigstens noch eine Abfindung erhält. Unternehmens-Stiftungen entwerfen Arbeitsgesetze. „Gelbe“, christliche Gewerkschaften stimmen niedrigen Tarifen zu. PR-Agenturen und Medienkanzleien begleiten im Unternehmerauftrag Konflikte und Gerichtsverhandlungen.

Nach Betriebsverfassungs-Gesetz kann die Be- und Verhinderung von Betriebsräten bestraft werden. Warum werden solche Straftaten so wenig verfolgt?

Die Justiz scheut sich, Unternehmer anzuklagen. Und betroffene Beschäftigte haben Angst, dass sie durch eine Strafanzeige noch schneller aus dem Betrieb fliegen.

Wie weit verbreitet ist Union Busting in Deutschland? Welche Unternehmen setzen Union Busting besonders häufig ein?

Das weiß bisher niemand. Es gibt keine staatliche oder wissenschaftliche Erfassung. Nach unserer Kenntnis sind Mittelstandsfirmen, die nicht so in der Öffentlichkeit stehen, besonders aktiv, etwa wenn sie von Private Equity-Investoren („Heuschrecken“) aufgekauft werden. Auch Einzelhandels-, Gastronomie- und Klinikketten, Digitalkonzerne wie Amazon und Apple und Fluggesellschaften wie Ryan Air sind Gewerkschafts- und Betriebsratsfeinde.

Welche Taktiken können Gewerkschaften und Beschäftigte anwenden, um sich effektiv gegen Union Busting zu wehren?

Das Wichtigste ist, sich nicht in die Opferrolle drängen zu lassen, sondern sich Bündnispartner zu suchen, innerhalb des Betriebs und außerhalb, auch eine eigene Öffentlichkeit herzustellen.

Welche Gesetzesreformen wären nötig, um Union Busting zu unterbinden?

Das Wichtigste sind nicht neue Gesetze, sondern dass Regierung und Staat das ungeheure Vollzugsdefizit bei der Umsetzung der bestehenden Arbeitsgesetze beenden. Also Straftaten nach Betriebsverfassungsgesetz konsequent zur Anklage bringen, genauso wie etwa die Nichtzahlung des gesetzlichen Mindestlohns verfolgen!

Mehr Informationen zu dem Thema Union Busting finden sich im Buch von Werner Rügemer und Elmar Wigand: "Die Fertigmacher: Arbeitsunrecht und professionelle Bekämpfung von Gewerkschaften".

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