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Palantir-Dossier: IT der Sicherheitsbehörden – US-Anbieter auf dem Vormarsch – Teil 3

Der Untersuchungsausschuss zu Palantir im hessischen Landtag tagte in vier Sitzungen zwischen Mitte September und Mitte Oktober – auch um Zeugen darüber zu befragen, wie es eigentlich zur Vergabe des Auftrages für das Analysesystem an Palantir gekommen ist.
Palantir-Dossier: IT der Sicherheitsbehörden – US-Anbieter auf dem Vormarsch – Teil 3Quelle: www.globallookpress.com

Das Portal Police-IT widmet sich ausführlich dem Themenkomplex Polizei und Informationssysteme, der für jede und jeden relevant ist, da es uns alle jederzeit und unmittelbar betreffen kann. Mit freundlicher Genehmigung der Herausgeberin und langjährigen Expertin für polizeiliche Informationssysteme, Annette Brückner, veröffentlicht RT Deutsch Teile des auf Police-IT erschienenen Dossiers zu Palantir.

Alle auf RT Deutsch erschienenen Teile des Palantir-Dossiers finden Sie hier.

Teil III Wie das Vergabeverfahren an Palantir abgelaufen ist die "Teststellung" 2016

In den vier Sitzungen im September und Oktober des Untersuchungsausschusses zu Palantir im hessischen Landtag ging es in Zeugenanhörungen um die Frage, wie es zur Vergabe des Auftrages für das Analysesystem an die US-Firma Palantir gekommen ist.

Liste der bisher gehörten Zeugen

Die bisher gehörten Zeugen waren:

  • der stellvertretende Inspekteur der hessischen Polizei aus dem Landespolizeipräsidium
  • der Technische Direktor der Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung (HZD), wo die Palantir-Server später installiert wurden
  • die Vize-Präsidentin des hessischen Landeskriminalamts
  • der Präsident des Polizeipräsidiums Frankfurt
  • drei Beamte aus dem Projektteam, das im Auftrag des Landespolizeipräsidiums die Beschaffung des Palantir-Systems vorbereitete und die Evaluierung begleitete: Der Projektleiter Koch, ein Analytiker sowie ein weiterer Mitarbeiter
  • die Justitiarin, die die rechtliche Seite der freihändigen Vergabe des Auftrags für das Testsystem an Palantir zu verantworten hatte und ein weiterer Mitarbeiter aus dem Präsidium für Technik, Logistik und Verwaltung (PTLV)
  • der Büroleiter des Innenministers

Und hier kommt die "Story" in Kurzform, die sich aus deren Aussagen und den Berichten darüber kondensieren lässt.

Die Situation im Sommer 2016 – terroristische und extremistische Anschläge in Deutschland mehren sich

Schon seit 2015 war die Bedrohung durch terroristische und extremistische Anschläge in Europa und auf touristische Ziele stark angewachsen. Die Politik reagierte mit abstrakten Konzepten, Forderungen nach Gesetzesverschärfungen und mehr Befugnissen für die Sicherheitsbehörden:

  • 07.01.2015, Paris: Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo und auf einen jüdischen Supermarkt, 17 Tote
  • 18.03.2015, Tunis: Überfall auf das Nationalmuseum von Bardo, 20 Tote
  • 26.06.2015, Sousse/Tunesien: Attentäter erschießen an einem Badestrand 38 Personen
  • 31.10.2015, Ägypten: Eine russische Passagiermaschine stürzt über dem Sinai ab; laut dem russischen Inlandsgeheimdienst war eine Bombe an Bord versteckt, 334 Tote
  • 13.11.2015, Paris: Anschläge auf Restaurants, Bars und Konzerthallen (Bataclan), 130 Tote, 352 Verletzte
  • 17.11.2015, Hannover: Das Fußball-Länderspiel zwischen Deutschland und Frankreich wird abgesagt; Bundesinnenminister De Maizière mutmaßt: "Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern."
  • 20.11.2015, Bamako, Mali: Überfall auf ein Luxushotel, 170 Geiseln, später mind. 27 Tote
  • 14./15.12.2015: Der Bundesvorstand der CDU veröffentlicht seine Karlsruher Erklärung zu Terror und Sicherheit, Flucht und Integration
  • 01.01.2016, München: Zum Silvesterfest gibt es eine Terrorwarnung von Geheimdiensten. Bundesinnenminister De Maizière erklärt: "Die Lage in Europa und auch in Deutschland bleibt im neuen Jahr ernst. Die Sicherheitsbehörden gehen weiterhin von einer hohen Gefährdung durch den internationalen Terrorismus aus."
  • 12.01.2016, Istanbul: Selbstmordattentat nahe der Hagia Sophia inmitten einer deutschen Reisegruppe, 12 Tote
  • 28.06.2016, Istanbul: Am Atatürk-Flughafen verüben drei Selbstmordattentäter einen Anschlag, die türkische Regierung spricht von 45 Toten
  • 14.07.2016, Nizza: Ein Attentäter fährt einen LKW in eine Menschenmenge, 87 Tote
  • 18.07.2016, Regionalzug bei Würzburg: Ein minderjähriger Flüchtling verletzt fünf Personen mit einer Axt und einem Messer und wird von der Polizei erschossen
  • 22.07.2016, München: Ein rechtsextremistisch motivierter Jugendlicher erschießt neun junge Leute und verletzt fünf weitere durch Schüsse, alle Opfer haben Migrationshintergrund, der Täter tötet sich selbst
  • 24.07.2016, Ansbach: Ein syrischer Flüchtling zündet bei einem Stadtfest eine Rucksackbombe und verletzt 15 Personen, der Attentäter kommt ums Leben
  • 11.08.2016: Bundesinnenminister De Maizière veröffentlicht ein Programm zu "geplanten Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit in Deutschland"
  • 19.08.2016: Die Innenminister und -senatoren von CDU und CSU veröffentlichen ihre "Berliner Erklärung zur Sicherheit und Zusammenhalt in Deutschland"
  • 11.10.2016: Die Innenminister verabschieden auf ihrer Herbstkonferenz neue "Leitlinien für ein zeitgemäßes Informationsmanagement der Polizeien des Bundes und der Länder"
  • 16.11.2016: BKA-Herbsttagung in Wiesbaden: Bundesinnenminister De Maizière stellt das neue IT-Konzept "Polizei 2020" vor

Die Situation und Stimmungslage im polizeilichen Staatsschutz – 2016

Man sieht deutlich, dass die Zahl der Anschläge zunahm und sie "näher" kamen aus deutscher Sicht. Die Politiker sprachen von einer "erhöhten Bedrohungslage" und davon, dass "jederzeit ein Anschlag passieren kann". Der polizeiliche Staatsschutz stand in der Pflicht, Anschläge, wenn möglich, schon im Vorfeld zu verhindern.

Das Fallbearbeitungssystem CRIME vor dem Aus

Mit der dafür notwendigen, leistungsfähigen IT-Ausstattung ließ die Politik den polizeilichen Staatsschutz allerdings im Regen stehen: CRIME, das in Hessen entwickelte und gemeinsam mit dem Partnerland Hamburg über Jahre gehätschelte Fallbearbeitungssystem, stand nach einem vernichtenden Gutachten über Zukunftsfähigkeit und Sicherheit vor der Ablösung.

Der Polizeiliche Informations- und Analyseverbund (PIAV) ist noch lange nicht funktionsfähig

Der lange angekündigte Polizeiliche Informations- und Analyseverbund (PIAV) war noch auf Jahre nicht funktional einsetzbar, um deliktübergreifend "Tat-Tat-" und "Tat-Täter-Zusammenhänge" zu erkennen, wie der BKA-Präsident Ziercke immer wieder versprochen hatte. Die Ausbaustufe für den Staatsschutz steht ganz hinten, sie soll erst lange nach 2020 kommen.

Und auch sonst gab es kein Werkzeug für die spezifischen Anforderungen für Fallbearbeitung, Ermittlungsunterstützung, Analyse und Auswertung im polizeilichen Staatsschutz. Jedenfalls keines, das zu den Plänen der Entscheider im hessischen Innenministerium passte bzw. denen genehm war.

Wie alles begann mit dem "Palantir"-Projekt in Hessen

Der Minister und der Landespolizeipräsident reisen ins Silicon Valley

Alles begann mit einer Dienstreise ins Silicon Valley im Mai 2016 unter der Führung von Ministerpräsident Volker Bouffier. Zur 70-köpfigen Delegation gehörten auch der Innenminister Peter Beuth sowie der Landespolizeipräsident Münch: Denn das Thema Cybersicherheit sollte beim Abstecher ins Silicon Valley den Schwerpunkt bilden. In Palo Alto, dem Herzen des Silicon Valley, hat die Firma Palantir ihren Sitz. Was genau dort geschah und was man den Herrschaften aus dem hessischen Innenministerium dort erzählte und zeigte, das wissen wir nicht.

Es wäre allerdings verwunderlich, wenn Beuth und Münch beim Besuch im Palantir Headquarter NICHT einen der beiden "Frankfurter" getroffen hätten, also Dr. Alex Karp und/oder Peter Thiel. Allein schon aus sprachlichen Gründen, sozusagen von Hesse zu Hesse. Doch dann würde ja die Aussage vom Büroleiter des Innenministers im Ausschuss vom 15.10.2018 nicht stimmen: Der gesagt hat, dass sich Peter Beuth und Dr. Alex Karp erst im Juni 2017 in einem Wiesbadener Hotel zu einem "Kennenlerngespräch" getroffen haben, an dem er selbst auch teilgenommen hat.

Prüfauftrag vom Landespolizeipräsidenten und eine Dienstreise nach Amsterdam

Nach der Rückkehr, im Juni 2016, standen die Zeichen im Landespolizeipräsidium (LPP) auf – Go Palantir!
Präsident Münch erteilte den Auftrag, zu prüfen, ob Palantir "geeignet" sei. Das berichtete am 18.09.2018 der Ltd. Kriminaldirektor Röhrig im Untersuchungsausschuss. Der ist stellvertretender Inspekteur der hessischen Polizei und im Landespolizeipräsidium zuständig für die strategische Ausrichtung im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung.

Röhrig erzählte weiter: Da Palantir weder im Präsidium noch im LKA bekannt war, hörte man sich um. Und – siehe da: In Amsterdam bei der Staatspolizei war das System bereits im Einsatz: Mitarbeiter unternahmen also eine Dienstreise und ließen sich informieren. Der Einsatz-ZWECK für Palantir war nach wie vor nicht klar definiert. Gestartet hatte die Marktsichtung via Dienstreisen in die USA ja mit dem Fokus auf Cybersicherheit. Aus Amsterdam kamen die Experten zurück mit der Erkenntnis, dass "die Mitarbeiter dort einen hohen Einsatzwert festgestellt" haben. Offen blieb allerdings, für WELCHEN Einsatz-ZWECK eigentlich …

Für den Ltd. KD Röhrig war vor dem Untersuchungsausschuss vollkommen klar: Palantir sei vollumfänglich geeignet, Terrorismus und Kriminalität (sic!) wirksam zu bekämpfen, weil es in nur wenigen Schritten ein komplettes Bild vom Verdächtigen oder Terroristen liefert und damit die Arbeit der Ermittlungsbehörden immens erleichtert. Als ich das las, musste ich an den Pilzsucher denken, der in den Wald geht und mit Heidelbeeren nach Hause kommt.

Entscheidung für den Einsatz im Staatsschutz

Nach der Rückkehr von der Dienstreise ins Silicon Valley und nach der Besichtigung von Palantir im praktischen Einsatz beim Staatsschutz in Amsterdam war man im Landespolizeipräsidium "intrigued", wie die neuen amerikanischen Freunde sagen würden. Und es geschahen dann drei merkwürdige Dinge.

Das Projektteam "Plattform Staatsschutz"

  1. Ein Projektteam „Plattform Staatsschutz“ wurde eingerichtet und erhielt einen Platz im Landespolizeipräsidium.
    Apropos Landespolizeipräsidium: So heißt in Hessen die Polizei-Abteilung im Innenministerium. An der Spitze steht der Landespolizeipräsident, er heißt damals und heißt noch immer Udo Münch. Der Präsident und die Mitarbeiter in seinem Präsidium steuern mit Erlassen, das sind schriftliche Anweisungen, was in der Polizei in Hessen zu geschehen hat bzw. zu unterlassen ist. [Das ist in den anderen Bundesländern allerdings ganz genauso.] Das Landespolizeipräsidium ist also der oberste Dienstherr über allen Polizeipräsidien, dem Landeskriminalamt (LKA) und dem Präsidium für Technik, Logistik und Verwaltung (PTLV). Entsprechend schwierig bis unmöglich ist es, eine abweichende Meinung GEGEN die Vorstellungen bzw. Anweisungen aus dem Landespolizeipräsidium durchzusetzen. Das sollte sich für das LKA noch zum großen Problem in diesem Beschaffungsverfahren auswachsen, denn polizeilicher Staatsschutz, das war und ist EIGENTLICH die ureigenste Aufgabe der Abteilung 5 im hessischen LKA.
  2. Der ursprüngliche Einsatzzweck – Cybercrime –, weshalb man ja auch ins Silicon Valley gereist war, wurde nicht länger verfolgt. Kriminaloberrat (KOR) Koch, bisher der Referent für OK und Cybercrime im Landespolizeipräsidium, bekam eine neue Aufgabe: Er wurde zum Projektleiter für das neue Projektteam "Plattform Staatsschutz".
  3. Eine anfangs möglicherweise offene Herangehensweise bei der Suche nach geeigneten Werkzeugen wurde nach den Dienstreisen ins Silicon Valley und nach Amsterdam fallen gelassen. Ab da ging es offenbar nur noch darum, dass und wie man dieses Wundersystem Palantir "Gotham" beschaffen könnte.

Kriminaloberrat Bodo Koch als Projektleiter

Der Projektleiter, KOR Koch, ist kein "Ministerialer", sondern Polizist von der Pike auf: Nach mehrjähriger Verwendung im Polizeidienst und Studium an der Deutschen Polizeihochschule in Münster hatte Koch beim Polizeipräsidium Nordhessen in Kassel die Leitung der Zentralen Kriminalinspektion übernommen. Die war zuständig für Staatsschutz, Banden- und organisierte Kriminalität, Wirtschaftskriminalität und Internet-Kriminalität. Ab Februar 2014 leitete Koch dann die regionale Kriminalpolizeiinspektion (RKI) in Marburg. 2016 dann wurde er ins Landespolizeipräsidium nach Wiesbaden berufen, wo er zunächst als Referent für Organisierte Kriminalität und Cybercrime zuständig war.

Dass als fachliches Einsatzgebiet für das Palantir-System dann doch der Staatsschutz ausgeguckt wurde, ist durchaus nachvollziehbar. Mit jedem weiteren Anschlag, der sich in Deutschland ereignete, man denke nur an Würzburg, Ansbach, München, wuchs der Druck auf Politik und den polizeilichen Staatsschutz. Selbst Kritiker hätten keine Argumente vorbringen können GEGEN die Anschaffung eines zeitnah einsatzfertigen Werkzeugs, das die Ermittlungsarbeit im Staatsschutz effektiver macht, die Erkenntnislage verbessert und zur Verhinderung von Anschlägen beiträgt. Und das war es ja genau, was die amerikanischen Marketing-Profis von Palantir ihren hessischen Besuchern versprochen haben dürften.

Der Konflikt zwischen Landespolizeipräsidium und Landeskriminalamt

Diese Bewunderer, unter ihnen der Innenminister Beuth, der Landespolizeipräsident Münch und der Leiter des neuen Projektteams, Bodo Koch, gehörten zum Landespolizeipräsidium, also Innenministerium.

Die Praktiker für polizeilichen Staatsschutz allerdings saßen in der Abteilung 5 des Landeskriminalamts. Sie waren die "Bedarfsträger", also diejenigen, die für ihre Arbeit ein Werkzeug zur Ermittlungsunterstützung, Analyse und Auswertung benötigten. Denn genau das ist die Aufgabe eines der fünf Hauptsachgebiete der Abteilung 5: Dort ist die "Zentralstelle für das Land Hessen angesiedelt für die Sammlung von Erkenntnissen aus Ermittlungsverfahren aus den Bereichen der politisch motivierten Kriminalität (links, rechts, Ausländer) und deren Analyse und Auswertung".

Der Konflikt zwischen den Palantir-Befürwortern im LPP und den fachlichen Bedarfsträgern im LKA war damit vorprogrammiert. Verständlich, wie ich finde, denn natürlich will DIE Fachlichkeit beteiligt werden und Mitsprache haben, wenn es um die Beschaffung von Werkzeugen für ihr Arbeitsgebiet geht. Dazu kam es offenbar nicht. Vielmehr gewinnt man aus den Aussagen einiger Zeugen im Untersuchungsausschuss den Eindruck, dass hier ein Krieg zwischen LKA/Staatsschutz und LPP/Innenministerium seinen Anfang nahm, der nicht nach außen dringen soll und der möglicherweise immer noch nicht ausgestanden ist.

  1. Auffällig ist – erstens – bereits die Wahl des Leiters des Projektteams "Plattform Staatsschutz". Das LPP hält an seinem zeitlich befristet aus Marburg ins LPP abgeordneten Referenten für Cyberkriminalität, Bodo Koch, fest, der schon früh eine deutliche Präferenz für die Beschaffung des Palantir-Systems erkennen ließ. Wäre es nicht plausibler gewesen, wenn ein leitender Mitarbeiter aus dem polizeilichen Staatsschutz im LKA zum Leiter der "Plattform Staatsschutz" gemacht worden wäre? Aus fachlicher Sicht sicherlich. Für das LPP wäre daraus allerdings das Risiko entstanden, dass die Fachlichkeit, also der LKA/Staatsschutz, eine ganz andere Entscheidung wünscht und begründen kann, als sie vom LPP favorisiert wurde.
  2. Bemerkenswert ist – zweitens – die Erklärung der Vizepräsidentin des Hessischen LKA, Vera Lindenthal-Gold, vor dem Untersuchungsausschuss. Sie formuliert vorsichtig, "an der NOTWENDIGKEIT einer solchen Software gibt es keinen Zweifel". Sie sagte weiter, dass das LKA "zunächst" auch vom LPP mit der Prüfung und dem Testbetrieb beauftragt worden sei.
  3. Doch bei genauer Betrachtung sieht man: Dieser Auftrag an das LKA zur Unterstützung beim Test war – drittens – eine Vorfestlegung durch das LPP. Das LKA wurde gar nicht mehr nach seinen Bedürfnissen und Notwendigkeiten gefragt, sondern sollte lediglich noch prüfen und testen dürfen, was das LPP ihm vorsetzt: Nämlich das Palantir-System!
  4. Dafür habe aber nicht genügend personelle Kapazität zur Verfügung gestanden, sagte die Vize-LKA-Präsidentin vor dem Ausschuss. Was man auch auffassen kann: Dafür hat sich der polizeiliche Staatsschutz im LKA offenbar nicht hergeben wollen.

Weitere Fokussierung auf Palantir

Was sich genau abspielte bis zum Spätherbst 2016 liegt auch nach den vier Ausschusssitzungen noch im Dunkeln.

Die nicht berücksichtigte Bedarfsbeschreibung aus dem LKA

Offensichtlich hat das LKA eine eigene Bedarfsbeschreibung für eine Analysesoftware für das LKA erstellt. Doch die spielte für die spätere Beschaffung des Palantir-Systems offenbar dann auch keine Rolle mehr.

Dabei wäre es doch nur naheliegend, wenn man diese Bedarfsbeschreibung der Fachlichkeit abgleicht mit den Leistungsmerkmalen des dann beschafften Palantir-Systems. Das Ergebnis würde die Frage beantworten, ob die Palantir-Befürworter wirklich Recht haben mit ihrer Behauptung, dass "nur Palantir alle Leistungserfordernisse abbilden" konnte.

Projektleiter Koch fokussiert sich auf Palantir

Während das LKA noch an seiner Bedarfsanalsyse arbeitete, stand Projektleiter Koch längst im intensiven Schriftwechsel mit einer Mitarbeiterin von Palantir. Vergleichbare Kontakte zu anderen Unternehmen sind dagegen nicht dokumentiert.

Die Leistungsbeschreibungen zur Beschaffung des Testsystems

Offensichtlich entstanden im Verlauf des Jahres 2016 zwei Leistungsbeschreibungen:

  1. Zum einen die schon erwähnte Bedarfsbeschreibung einer entsprechenden Analysesoftware durch das LKA. Die spielte bei der Vergabe an Palantir allerdings keine Rolle.
  2. Und zum anderen die vom Projektteam unter der Leitung von Koch erstellte. Die entstand in der Zeit, als Koch wiederholt mit der "Mitarbeiterin von Palantir" kommunizierte. Darin sollen die Wünsche des hessischen Innenministeriums an ein Werkzeug für Analyse und Auswertung im polizeilichen Staatsschutz beschrieben worden sein.

Jenes Dokument war ein Volltreffer, sagte dann auch der Frankfurter Polizeipräsident Bereswill am 8.10.2018 im Untersuchungsausschuss: Denn nur das von Palantir angebotene System habe alle von Hessen geforderten Leistungskriterien erfüllt.

Man kann diese Aussage logisch auch in eine andere Reihenfolge bringen: Die in Hessen verfertigte Beschreibung der Leistungsanforderungen war abgestimmt mit den Leistungsmerkmalen des Palantir-Systems. So wird ein Schuh draus!

Exkurs: Wie Leistungsanforderungen passend gemacht werden können zum Angebot des Wunschanbieters

Nun gut: Wir waren alle nicht dabei und selbst im Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags kennt man anscheinend nicht die Einzelheiten dieser sogenannten Leistungsbeschreibung.

Ich hatte in meinem Berufsleben allerdings wiederholt das Vergnügen der Teilnahme an vergleichbaren Vergabeverfahren, so zum Beispiel für das Fallbearbeitungssystem CASA in Berlin. Dort konnte man lernen, dass es für den Auftraggeber ein Leichtes ist, einen Katalog von Leistungsanforderungen so zu formulieren und zu priorisieren, dass unausweichlich nur noch der Wunschauftragnehmer eine Chance auf den Zuschlag hat.

Das geht recht einfach, indem

  • in einem ersten Schritt die Inhalte aus den Produktbeschreibungen des Wunschherstellers übernommen und in das geeignete, behördlich-formell unverdächtig daherkommende Layout eines möglichst arbeitsaufwändig aussehenden Anforderungskatalogs übertragen werden.
  • Im zweiten Schritt erfolgt dann die Steuerung, indem Wunschanbieter-spezifische Alleinstellungsmerkmale zum KO-Kriterium erhoben werden. Dieses Vorgehen garantiert, dass nur noch der Wunschanbieter den Zuschlag erhalten kann, selbst wenn andere Bewerber funktional völlig gleichwertige Produkte anbieten.

Eine solche steuernde Unterstützung durch den Auftraggeber könnte auch im Fall der Leistungsbeschreibung für das Testsystem von Palantir für den polizeilichen Staatsschutz in Hessen geschehen sein. Dass diese Vermutung nicht unwahrscheinlich ist, lässt sich aus der Begründung zur freihändigen Auftragsvergabe an Palantir für das Produktivsystem ein Jahr später ablesen. Sie wurde im Februar 2018 auf der Webseite für Vergabeverfahren der Europäischen Kommission veröffentlicht und lautet:

Keine KOSTENLOSE Teststellung

Die Firma Palantir soll in den Vereinigten Staaten schon Kunden aus staatlichen Sicherheitsbehörden Testsysteme ganz kostenlos oder zu sehr günstigen Konditionen überlassen haben. Das macht ja auch Sinn für einen neuen Marktteilnehmer! Mit so einem Angebot bekommt ein neuer Anbieter den Fuß in die Tür. Möglich, dass man auch in Hessen auf ein solches Angebot spekuliert und entsprechend sondiert hat. Doch es gab wohl kein solches Angebot.

Im letzten Quartal 2016 war dem Projektteam vielmehr klar: Selbst die Überlassung eines zeitlich befristeten Testsystems bei Palantir würde Geld kosten, und daher ein Vergabeverfahren notwendig machen. Zumal die Kosten ganz offensichtlich erheblich über dem Schwellenwert lagen und daher ein offenes Vergabeverfahren notwendig gemacht hätten. Die innenpolitischen Sprecher von SPD und FDP, Nancy Faeser und Wolfgang Greilich, hatten vor der Einsetzung des Ausschusses die (überhaupt vorhandenen) Vergabedokumente einsehen können und sprachen danach von Kosten "in Millionenhöhe". Dennoch: In Hessen war beschlossene Sache, dass ein transparentes, offenes Verfahren vermieden werden soll. Weil ein solches Verfahren für die anstehende Beschaffung aus mehreren Gründen unangenehm ist. Zum einen deshalb, weil – eigentlich in Europa – das offene Vergabeverfahren auch vom Gesetzgeber favorisiert wird. Was bedeutet, dass eine Marktanalyse durchgeführt werden muss, alternative Angebote gefunden werden und ebenfalls evaluiert werden müssen, usw. Alles Dinge, die unangenehm sind, wenn man sich doch, wie die Truppe "Plattform Staatsschutz", schon so vollkommen sicher ist, dass das Angebot der Firma Palantir für die eigenen Zwecke das ideal geeignete ist. Zum anderen aber, weil hier offensichtlich eine neue Art der Öffentlich-Privaten Partnerschaft zwischen Polizei und privatem Auftragnehmer realisiert werden sollte: Der BETRIEB einer Analyseplattform. Und das sollte nicht ZU VIEL Aufmerksamkeit auf sich ziehen, bis alles – einschließlich (siehe oben) der notwendigen Erweiterung des Polizeiaufgabengesetzes durch §25a – in trockenen Tüchern war.

Inzwischen war es November 2016 geworden und die Situation etwas festgefahren. Der Projektleiter Koch und sein Team arbeiteten auf eine zeitlich befristete Teststellung hin, der Koch positive Seiten abzugewinnen suchte in einer E-Mail, in der er schrieb: "Die aus diesem (Test-) Betrieb gewonnenen Erfahrungen könnten für eine spätere offene Ausschreibung einer 'Big Data'-Anwendung herangezogen werden."

Wenn ein Terroranschlag unerwartet positive Wirkungen entfaltet

Ein Schicksalsschlag für viele Menschen entfaltete in dieser Situation für das Projektteam "Plattform Staatsschutz" eine unerwartete, positive Wirkung: Am 19. Dezember 2016 verübte Anis Amri den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz in Berlin, bei dem dreizehn Menschen ums Leben kamen und 55 weitere zum Teil schwer verletzt wurden.

Danach blieben noch sieben Arbeitstage, in denen es im hessischen Innenministerium – jedenfalls für Behördenverhältnisse – rasend schnell ging: Man entdeckte nämlich, dass die Voraussetzungen für eine freihändige Vergabe des Auftrages für die zeitlich befristete Teststellung der Software für ein Jahr jetzt endlich gegeben sei: Und zwar wegen der Dringlichkeit aufgrund der terroristischen Bedrohungslage – durch den Anschlag in Berlin. Die zuständige Vergaberechtsspezialistin aus der hessischen Zentrale für Datenverarbeitung (HZD) erklärte dem Untersuchungsausschuss dazu in seiner Sitzung vom 18.10.2018: Man konnte sich nun auf den "gesetzlichen Ausnahmefall" berufen, "weil Umstände vorlagen, die der Auftraggeber nicht vorhersehen konnte und die ihm nicht zuzurechnen seien".

Anmerkung zur angeblichen Nichtvorhersehbarkeit

Die hier behauptete "Nicht-Vorhersehbarkeit" eines terroristischen Anschlages im Dezember 2016 ist eine gewagte These: Nicht nur gab es in 2016 diverse Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte. Sondern auch die ohne Zweifel von politischer Seite dem islamistischen Terror zugeordneten Anschläge auf Bundespolizisten durch Safia S., den Anschlag auf den Sikh-Tempel in Essen, die Anschläge in der Regionalbahn bei Würzburg, den "Amoklauf" in München und den Anschlag des Rucksackbombers auf den Markt in Ansbach. Der Bundesinnenminister und das BKA hatten ständig gewarnt vor einer erhöhten Terrorgefahr. Dann im Dezember 2016 und nach einem tatsächlich erfolgten Terroranschlag von "Nicht-Vorhersehbarkeit" zu sprechen, spricht für bemerkenswerten Opportunismus oder für schnoddrigen Zynismus!

Art und Umfang des erteilten Auftrags für das Testsystem sind unbekannt

Im Dezember 2016 wurde also noch der Auftrag erteilt für eine einjährige Teststellung der Palantir-Software. Über den Umfang und die Kosten dieses Auftrages ist ansonsten überhaupt nichts veröffentlicht und bisher auch nichts Belastbares bekannt. Man weiß nur, dass anschließend (ein Jahr lang) getestet und evaluiert wurde. Doch zunächst einmal musste das System ja überhaupt geliefert und installiert werden…

Diesen Artikel finden Sie im Original auf POLICE-IT.

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Fortsetzung: Teil IV – Wie das Vergabeverfahren an Palantir abgelaufen ist – die endgültige Auftragsvergabe

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