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"Bundeswehr will nicht aus Fehlern lernen" – IPPNW-Expertin zu Gesundheitsgefahr nach Moorbrand

Nachdem die Bundeswehr den Sieg über den durch einen Raketentest ausgelösten Großbrand im Übungsgebiet verkündete, bleiben viele Fragen offen, auch zu möglichen gesundheitlichen Folgen. RT Deutsch sprach mit Dr. Angelika Claußen vom Ärzteverband IPPNW.
"Bundeswehr will nicht aus Fehlern lernen" – IPPNW-Expertin zu Gesundheitsgefahr nach Moorbrand© © WTD91/ Bundeswehr

Anfang September kam es nach Raketentests auf dem Übungsplatz der Bundeswehr im Emsland, der Wehrtechnischen Dienststelle für Waffen und Munition 91 (WTD 91), zu einem Großbrand. Rund 2.000 Helfer aus ganz Deutschland beteiligten sich an den Löscharbeiten.

Auf dem Gelände werden seit mehr als einhundert Jahren Waffen getestet, ein Altlastenverzeichnis gibt es laut lokalen Medien nicht. Die Bundeswehr hatte früh Entwarnung gegeben, sowohl was die Kontrolle über das Feuer angeht, als auch bezüglich der gesundheitlichen Belastung durch die immense Rauchentwicklung für Anwohner und Helfer. Doch das Krisenmanagement hinsichtlich des Feuers stellte sich ebenso wie die Messkompetenz der gesundheitlichen Belastung als äußerst bedenklich dar.

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Zuletzt sorgten Messungen einer möglichen Strahlenbelastung der Einsatzkräfte durch Altmunition für Unruhe, RT Deutsch berichtete. Die bis ins All sichtbare Rauchwolke sei aber ebenso unbedenklich wie die Strahlenbelastung, verkündete am Mittwoch die Leitende Regierungsdirektorin im Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr (BAIUDBw) in einem Pressestatement.

Angesichts der Verunsicherung und des öffentlichen Interesses an der Situation sprach RT Deutsch mit Dr. med. Angelika Claußen vom Ärzteverband IPPNWüber mögliche gesundheitliche Risiken.

Dr. Claußen ist niedergelassene Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und vertritt seit Jahren die Arbeit der deutschen IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e. V) zum Atomausstieg. Sie ist Expertin für die gesundheitlichen Gefahren von Niedrigstrahlung und engagiert sich in den Bereichen Friedenspolitik, Atomausstieg und Menschenrechte. 

Welche gesundheitliche Gefahren gehen Ihrer Meinung nach von einem derartigen Waffenübungsgebiet aus, auf dem nicht nur die Bundeswehr selbst, sondern auch NATO-Partner und private Rüstungskonzerne Waffen testen können, darunter scheinbar auch panzerbrechende Munition?

Das Schießübungsgebiet umfasst ein ausgedehntes Moorgelände, auf dem es in der Vergangenheit ebenfalls schon mehrfach zu ausgedehnten Moorbränden gekommen ist, zuletzt 2017. Es sieht so aus, als ob die Bundeswehr bzw. private Rüstungskonzerne offensichtlich aus ihren Fehlern in der Vergangenheit nicht lernen wollen.

Bisher ist nicht klar, wer genau die Aufsicht über die Schießübungen und die jeweils für die Übungen eingesetzte Munition hat und inwieweit Vorsichtsmaßnahmen zur Verhütung von mögliche gesundheitlichen Gefahren angewendet werden. Ohne Wissen und Transparenz über die Beschaffenheit der Munition ist das nicht möglich.

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Panzerbrechende Munition, seien es Geschosse aus abgereichertem Uran oder Wolfram, nutzen Schwermetalle, die allesamt giftig, also toxisch wirksam sind. Bei dem Prozess der Zündung wandelt sich das Geschoss durch die explosive Wirkung zu einem brennenden Feinstaub um. Die giftigen Partikel vermischen sich mit der Luft und können über die Atmung bzw. die Lungen in den menschlichen Körper gelangen. Daher dürften insbesondere die Helfer, aber unter Umständen auch die Zivilbevölkerung gefährdet gewesen sein. Entscheidend ist die Menge der aufgenommen toxischen Staubpartikel. Während Wolfram und Quecksilber toxisch wirksam sind, wirkt abgereichtertes Uran sowohl toxisch als auch radioaktiv.

Welche möglichen gesundheitlichen Spätfolgen kennen Sie als Ärztin für die in Medienberichten erwähnten Waffentests, darunter quecksilberhaltige Sprengkörper, uranhaltige Munition oder Wuchtmunition mit anderen Schwermetallen?

Vorab ist festzuhalten, dass das Militär weltweit sowohl ein großer Ressourcenverschwender als auch ein großer Umweltverschmutzer ist. Diese Tatsache wird gerne von allen Regierungen und vom Militär selbst unter den Teppich gekehrt.

Boden- und Wasserkontaminationen auf Waffenübungsplätzen dürften eher kleinräumig als großräumig sein. Um diese nachzuweisen, müssten ausgedehnte Boden- und Wasserproben entnommen werden und diese auf die unterschiedlichen giftigen Schwermetalle untersucht werden. Da die gesundheitliche Spätfolgen von der aufgenommenen Menge der Gifte abhängen und die Luft bzw. der Staub über dem brennenden Moor nicht auf Schwermetalle untersucht wurde, bleibt jetzt noch die Möglichkeit von Screening-Untersuchungen bei den Helfern, wo im Urin nach Spuren von Blei, DU und Wolfram gefahndet würde.

Die Inhalation großer Mengen von Quecksilberdampf schädigt zunächst die Lunge. Als kritisch gelten Konzentrationen von mehr als ein Milligramm Quecksilber pro Kubikmeter Luft. Sie können zu Husten, Atemnot und schwersten Entzündungen von Bronchien und Lunge führen.

Uranhaltige Munition, die von 20 Ländern genutzt wird, darunter die USA, Großbritannien, Russland und China, kann – durch seine radiotoxische Wirkung Schädigungen der DNA bewirken, und dadurch zu Missbildungen und Krebs führen. Infolge der chemotoxischen Wirkung wirkt es als Zellgift, es kann Nieren und Nervenzellen schädigen.

In den Medienberichten war von Wolfram-Munition die Rede. Zunächst glaubte man, dass Wolfram-Munition keine Schäden zur Folge hätte. Deshalb wird von der Bundeswehr, aber auch von der US-Armee Wolfram-Munition verwendet. Neuere Studien in den USA  wiesen nach, dass Wolfram im Tierversuch zu aggressiven Krebserkrankungen führte.

Ein Feuerwehrmann verwies darauf, dass Einsatzkräfte momentan zu dem Moorbrand nichts sagen dürften, gab aber an, dass statt klarer Aussagen der Bundeswehr eher eine gesundheitliche Untersuchung der Feuerwehr-Unfallkasse erwartet werde. Letzteres bestätigte der Landesfeuerwehrverband Niedersachsen. Können Sie etwas zur Gesundheitsbelastung der Helfer sagen?

Generelle Aussagen lassen sich nicht treffen. Es kommt darauf an, ob sie durch entsprechende Masken bei der Arbeit geschützt waren. Das waren sie meines Wissens nicht. Daher sollten Gesundheitschecks bei den Helfern durchgeführt werden, in denen neben allgemeinmedizinischen Untersuchungen der Urin der Betroffenen nach Spuren von Schwermetallen untersucht werden sollte.

Dazu muss den Behörden eine komplette Liste der verschossenen Munition vorliegen. Transparenz statt Vertuschen ist angesagt bei der Bundeswehr und bei den privaten Rüstungsfirmen, die den Waffenübungsplatz benutzt haben.

Haben Sie persönlich zu den Sorgen der Einsatzkräfte und der Bewohner weitere Anmerkungen?

Aufklärung im Bereich von Umweltvergehen durch das Militär und durch Rüstungsfirmen gibt es meines Erachtens immer nur, wenn die betroffenen Bürger diese politisch einfordern. Nutzen Sie die Möglichkeiten unserer Demokratie. Gehen sie zu den Bundestagsabgeordneten der SPD und der CDU im Landkreis und fordern Sie entsprechende Untersuchungen ein!

Vielen Dank für das Interview

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