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Auf Drängen der USA: Deutschland nimmt ehemaligen Nazi-Kollaborateur und SS-Mann Jakiw Palij auf

Schon 14 Jahre lang wollten ihn die USA loswerden, doch Deutschland wollte nicht so recht. Nach einer Intervention Trumps willigte die Bundesregierung schließlich ein, einen früheren SS-Mann einreisen zu lassen. Aus "moralischen Gründen", nicht aus rechtlichen.
Auf Drängen der USA: Deutschland nimmt ehemaligen Nazi-Kollaborateur und SS-Mann Jakiw Palij aufQuelle: Reuters © U.S. Department of Justice

Aus Queens in New York in ein deutsches Pflegeheim: Nach jahrelangen Bemühungen haben die USA einen 95-jährigen früheren SS-Mann nach Deutschland abgeschoben. Es ist ein bisher einmaliger Fall: Die Bundesregierung genehmigte die Einreise, obwohl der ehemalige Wärter eines NS-Arbeitslagers kein deutscher Staatsbürger ist und auch keine Beweise vorliegen sollen, dass er an Nazi-Verbrechen beteiligt war. US-Präsident Donald Trump hatte sich persönlich für die Abschiebung eingesetzt. "Die Vereinigten Staaten werden niemanden tolerieren, der NS-Verbrechen und andere Menschenrechtsverstöße unterstützt hat, und diese Personen werden auf amerikanischem Boden keine Zuflucht finden", erklärte das Weiße Haus am Dienstag.

Ein Gerichtsverfahren gegen den Mann ist aus heutiger Sicht unwahrscheinlich, so der Tenor aus Deutschland. Das von der Staatsanwaltschaft Würzburg geführte Verfahren gegen ihn wegen Beihilfe zum Mord wurde Mitte 2016 aus Mangel an Beweisen eingestellt. Der frühere Nazi-Kollaborateur kommt nun erst einmal in einem Pflegeheim im nordrhein-westfälischen Ahlen unter.

Außenminister Heiko Maas begründete die Aufnahme des Mannes mit der deutschen Verantwortung für den Holocaust. "Historische Verantwortung kennt keinen Schlussstrich", sagte er mit dem ihm eigenen Pathos der Bild-Zeitung. Der Erinnerung an die Gräuel der Nazi-Zeit heute gerecht zu werden heiße, gegen Antisemitismus, Diskriminierung und Rassismus zu kämpfen. "Und es heißt, zu unserer moralischen Verpflichtung gegenüber den Opfern und nachfolgenden Generationen zu stehen." Die Schuld derer, die in deutschem Namen schlimmste Verbrechen begangen hätten, vergehe nicht. Maas hatte am Montag als erster deutscher Außenminister seit 26 Jahren die KZ-Gedenkstätte Auschwitz besucht und auch dort die deutsche Verantwortung für die Nazi-Gräueltaten betont.

Irritierend allerdings, wie Maas die "moralische Verantwortung" offenbar in Fällen der aktuellen Tagespolitik auslegt. So berichtete schon im April 2015 unter anderen die Südwestpresse darüber, dass im Bundeswehrkrankenhaus in Ulm unter den behandelten Soldaten aus der Ukraine auch neo-faschistische Kämpfer sein sollen. Es handelt sich dabei um Soldaten des so genannten Asow-Regiments. Das berüchtigte Regiment Asow gilt als rechtsextrem und neonazistisch. Das von dem Regiment als Erkennungszeichen verwendete Symbol ist eine blaue Wolfsangel auf gelbem Grund, wie es auch von der SS-Verfügungsdivision genutzt wurde.

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Zudem war auf dem ehemaligen Logo der Einheit, welches bis zum 11. August 2015 genutzt wurde, eine Schwarze Sonne zu sehen, ein in der rechten Szene weit verbreitetes Symbol. In einem Beitrag am 8. September 2014 in den ZDF heute Nachrichten konnte man zwei Angehörige der Einheit sehen, die an ihren Stahlhelmen nationalsozialistische Symbole wie das Hakenkreuz und die Siegrunen der SS trugen. Der Beitrag des ZDF veranlasste die Jüdische Allgemeine zu einem geharnischten Kommentar mit dem Titel "Mit Nazis gegen Putin". Passiert ist in dieser Angelegenheit bis heute noch nichts. Was die Vermutung zulässt, dass die die "moralische Verantwortung" bei Maas nur soweit trägt, wie es die politische Agenda zulässt.

Jakiw Palij war laut US-Behörden von der SS geschult worden und als bewaffneter Aufseher im NS-Zwangsarbeitslager Trawniki in dem von Nazi-Deutschland besetzten Polen tätig. Dort wurden im November 1943 den Angaben zufolge 6.000 Juden erschossen. Ob Palij daran beteiligt war, ist aber nicht erwiesen. Nach US-Angaben soll er aber während des Massakers vor Ort gewesen sein. "Wir wissen, dass er zu der Zeit dort war", sagte US-Botschafter Richard Grenell.

Ein Teil der aus dem Baltikum, Polen und der Ukraine stammenden sogenannten "Trawniki-Männer" war in den Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka im Rahmen der "Aktion Reinhardt" direkt an dem Holocaust beteiligt. In den drei Lagern wurden insgesamt 1,8 Millionen Juden ermordet, die meisten von ihnen kamen aus Polen. 

Der bekannteste der insgesamt zwischen 4.000 und 5.000 Trawniki-Männer war John Demjanjuk, der 2009 aus den USA nach Deutschland abgeschoben worden war. Drei Jahre später verurteilte ihn das Landgericht München wegen Beihilfe zum Mord an mehr als 28.000 Menschen zu fünfeinhalb Jahren.

Palij wurde nach US-Angaben in dem Teil des damaligen Polen geboren, der heute zur Ukraine gehört. 1949 sei er in die USA ausgewandert und habe 1957 die US-Staatsbürgerschaft angenommen. Er habe den USA damals seine Nazi-Vergangenheit verheimlicht und angegeben, auf einem Bauernhof und in einer Fabrik gearbeitet zu haben. Ein US-Gericht hatte Palij daraufhin bereits 2003 die Staatsbürgerschaft entzogen. 2004 wurde seine Abschiebung erstmals angeordnet - zunächst ohne Erfolg.

Der Grund dafür war, dass Palij seit 2003 staatenlos war - also kein deutscher Staatsbürger. Zudem fehlten die Beweise gegen ihn, um ein Strafverfahren zu eröffnen. Deswegen war Deutschland nicht dazu verpflichtet, eine Einreisegenehmigung zu erteilen. Andererseits hätte aber die Möglichkeit bestanden, den Paragrafen 22 des Aufenthaltsgesetzes zu nutzen. Dort heißt es, das Bundesinnenministerium könne "zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland die Aufnahme" anordnen. So geschehen jüngst bei der umstrittenen Aufnahme der sogenannten syrischen "Weißhelme". Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erteilte die Aufenthaltsgenehmigung für die Mitglieder (und deren Angehörige) dieser Organisation. Der Paragraf 22 des Aufenthaltsgesetzes erlaubt eine Aufnahme aus dem Ausland auch aus "aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen".

Und auch bei Palij war es wieder Innenminister Horst Seehofer (CSU) der sich für eine Aufnahme Palijs entschieden hat. "Die Bundesregierung setzt mit der Aufnahme Palijs ein klares Zeichen der historischen und moralischen Verantwortung Deutschlands", erklärte sein Ministerium. Ausschlaggebend seien zunehmende Bitten von Vertretern der jüdischen Gemeinden und Opferverbände, der US-Regierung, Senatoren und Kongressabgeordneten gewesen.

Der Fall war Trump offenbar ein persönliches Anliegen. Palij lebte in Queens, dem New Yorker Stadtteil, in dem der US-Präsident geboren wurde. Als Trump im Mai Grenell als Botschafter nach Deutschland entsandte, beauftragte er ihn damit, sich mit höchster Priorität für die Abschiebung des Nazi-Kollaborateurs einzusetzen. Grenell sprach das Thema gleich bei seinem Antrittsbesuch bei Maas an. Danach ging es sehr schnell.

"Für uns ist das ein Fall von moralischer Verpflichtung, weil diese Person im Namen der früheren deutschen Regierung gehandelt hat. Darüber waren sich beide Seiten absolut einig", sagte Grenell. Er lobte auch ausdrücklich die Zusammenarbeit mit Seehofer und Maas. Vor allem Seehofer habe "eine kreative Sichtweise auf die Sache" entwickelt. "Es scheint in der neuen Regierung eine neue Energie entstanden zu sein", sagte Grenell.

Nach US-Angaben hat es seit 2005 acht Fälle gegeben, in denen eine Abschiebung nicht gelungen sei. Die Betroffenen seien dann in den USA gestorben. Die Person Palij ist nun der letzte Fall eines Nazis bzw. Nazi-Kollaborateurs, in dem die USA eine Abschiebung betrieben haben. Der Fernsehsender ABC zeigte am Dienstag Bilder, die Palijs Abtransport aus seinem Haus in Queens auf einer Trage zeigen. Sollten sich keine neuen Beweise ergeben, bleibe der 95-Jährige ein "nicht mehr Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren in Deutschland", sagte der Leitende Oberstaatsanwalt der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, Jens Rommel, in Ludwigsburg. Eine Einstellung solcher Verfahren sei aber "nichts für die Ewigkeit", sollten sich neue Beweise ergeben.

Die Zentrale Stelle in Ludwigsburg gibt laut Rommel nach ihren Vorermittlungen Jahr für Jahr rund 30 Fälle an die zuständigen Staatsanwaltschaften weiter. In den meisten Fällen komme es nicht zu einer Anklage, weil die mutmaßlichen Täter inzwischen alle jenseits der 90 Jahre und nicht mehr verhandlungsfähig seien. Dennoch gebe es auch aktuell vier Anklagen gegen ehemalige KZ-Aufseher, zwei in Münster, eine in Frankfurt am Main und eine in Mannheim.

Palij ist vorerst in einem Pflegeheim in Ahlen im Münsterland untergebracht worden. Das bestätigte der zuständige Kreis Warendorf am Dienstag. Das Pflegeheim sei von Bund und Land ausgesucht worden - weshalb die Wahl auf Ahlen gefallen sei, wisse er nicht, sagte Landrat Olaf Gericke. Man habe die Ankunft des 95-Jährigen seit dem 7. August vorbereitet und mit der Polizei über eventuell nötige Schutzmaßnahmen für Palij und das Pflegeheim gesprochen, sagte ein Sprecher.

Der Historiker uns Publizist Michael Wolffsohn, der vor wenigen Tagen die linke Sammlungsbewegung von Sahra Wagenknecht in der BILD-Zeitung mit der Nationalsozialistischen Bewegung verglich, hält wenig von einem Gerichtsverfahren gegen den 95 Jahre alten früheren KZ-Aufseher Jakiw Palij. "Der Tatbestand des Mordes ist offensichtlich eindeutig", sagte Wolffsohn gegenüber der Passauer Neue Presse. Doch würde ein Gerichtsverfahren aus dem alten Mann einen Märtyrer machen. Eine gelinde gesagt irritierende Argumentation - wenn es in der Rechtssprechung nur noch darum ginge, "Märtyrer" zu verhindern, könnte man de facto unter anderem alle Verfahren gegen islamistisch motivierte Terroristen sofort einstellen.

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Der als "letzter Nazi-Jäger" bekannt gewordene israelische Historiker Efraim Zuroff hat die Abschiebung Palijs aus den USA nach Deutschland hingegen gelobt. "Die US-Behörden verdienen viel Anerkennung für die Ausdauer und die Entschlossenheit, mit der sie 14 Jahre lang versucht haben, ihn aus den Vereinigten Staaten zu bekommen", sagte Zuroff, Leiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem, am Dienstag. "Endlich wird Jakiw Palij das Privileg verwehrt, in den USA zu leben." 

"Ich würde mir wünschen, dass sie einen Weg finden könnten, ihn vor Gericht zu bringen", sagte Zuroff. Er verwies auf die Entwicklung der vergangenen Jahre, wonach die deutsche Justiz auch gegen NS-Verbrecher vorgegangen sei, die nicht nur in ausschließlichen Todeslagern tätig gewesen waren.

Zuroff verwies auf die Verurteilung des Sobibor-Wachmanns John Demjanjuk. Das Urteil gegen Demjanjuk sei von grundlegender Bedeutung gewesen, weil erstmals in Deutschland ein NS-Täter verurteilt worden sei, ohne dass es einen individuellen Schuldnachweis gegeben habe.

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