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Der Niedergang der Berliner Printmedien – ist wirklich nur das Internet schuld?

In Berlin ist der stete Auflagenverlust einst mächtiger Tageszeitungen besonders deutlich zu spüren. RT Deutsch hat mit erfahrenen Experten der Branche gesprochen. Diese machen neben Fehlern im Umgang mit dem Internet auch Qualitätsverluste als Ursache aus.
Der Niedergang der Berliner Printmedien – ist wirklich nur das Internet schuld?Quelle: Reuters

von Mojra Bozic

Katzenjammer in den Chefetagen der Berliner Verlagshäuser. Die Auflagen ihrer Printmedien sind auf ein neues Allzeit-Tief gefallen. Woran liegt es, warum greifen immer weniger Hauptstädter zur Tageszeitung? Ist wirklich nur die "digitale Transformation", also die Konkurrenz durch das Internet, daran schuld? Oder gibt es auch andere Faktoren?

Die Zahlen der Auflagen-Verwalter von IVW (Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern) für das 3. Quartal 2017 sind verheerend:

Axel Springers BZ, einst stolzer Branchenprimus mit täglich 350.000 verkauften Exemplaren (1991), ist mittlerweile auf rund 76.000 abgestürzt. Die Boulevard-Konkurrenz vom Berliner Kurier (Verlag DuMont, Köln) setzt lediglich noch 56.000 Exemplare ab – gegenüber 1998 ein Rückgang von 76 Prozent.

Die Berliner Morgenpost, 2013 von Springer an die Essener Funke-Gruppe verkauft, bringt es im Einzelverkauf nur noch auf 7.707(!) Zeitungen, vor 20 Jahren waren es noch 109.000. Die Berliner Zeitung (ebenfalls DuMont) verlor im gleichen Zeitraum 60 Prozent und dümpelt nun bei 72.000 täglich verkauften Exemplaren vor sich hin.

Die Bild-Zeitung, die ihre Auflage nur für Berlin und Brandenburg gemeinsam meldet, verlor in 20 Jahren 67 Prozent (täglich 49.000 verkaufte Zeitungen). Lediglich der Tagesspiegel kann seine Auflage halten und ist auf niedrigem Niveau (92.000 verkaufte Exemplare) inzwischen die Nummer 1 in der Bundeshauptstadt.

Print ist nicht überall gleich tot

Verleger, selbsternannte Medienexperten und Gründer von Start-Ups, die Journalisten mit Softwarelösungen assistieren wollen, halten den Printjournalismus seit langem für tot.

Die Berliner Medienwissenschaftlerin Dr. Alexandra Kühte sieht das etwas differenzierter: "Journalistische Qualität ist sicherlich auch ein wichtiger Aspekt für den Auflagenrückgang", sagte sie in einem Interview mit dem Mediendienst kress.de.

Große regionale Unterschiede in der Entwicklung der Tageszeitungen sprechen für ihre These: In Bayern und Baden-Württemberg halten sich die Auflagen der Blätter - im Gegensatz zur Bundeshauptstadt - relativ stabil. In ihrem Buch "Printmedien und digitaler Wandel" stellt Alexandra Kühte zudem klar, dass der Negativtrend schon in den 1980er Jahren eingesetzt habe, lange vor dem Internet-Zeitalter. "Und die Digitalisierung hat eher zu einer Beschleunigung der bereits eingesetzten Entwicklung geführt", erklärt sie weiter gegenüber kress.de.

Peter Bartels, Chefredakteur der Bild-Zeitung in der Zeit von 1989 bis 1991 und Autor eines 2016 erschienenen Buches über das Blatt, lässt die These von der Konkurrenz durch kostenlose Online-Dienste nicht gelten:

Dummes Zeug", sagte er zu RT Deutsch. "Nicht mal heute sind viel mehr als 75 Prozent der Menschen von 9 bis 99 Jahren im Netz. Immer noch würden mindestens 25 Prozent lieber Papier als E-Paper lesen."

Diekmann hat Bild zur "Propagandamaschine der Machtelite" gemacht

Für das "Sterben von Bild" macht Bartels vor allem Ex-Chefredakteur Kai Diekmann verantwortlich: "Er ist der Totengräber." Diekmann habe nicht nur schwerste handwerkliche Fehler begangen - beispielsweise auf eine junge Zielgruppe gesetzt, obwohl Bild-Leser im Schnitt über 40 Jahre alt seien -, sondern das Blatt auch zu einer "Propagandamaschine der Machtelite" gemacht.

So habe er während der Flüchtingskrise 2015 vorbehaltlos die Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstützt, die Sorgen vieler Bild-Leser vor dem gewaltigen Zustrom hunderttausender Muslime dagegen nicht ernst genommen. 

Auch Matthias Bothe, 1990 einer der Gründer und später bis 1997 stellvertretender Chefredakteur des Berliner Kurier, glaubt nicht, dass das Internet für den Niedergang der Printmedien verantwortlich ist. Er spricht von "menschlichem Versagen".

Bothe:

Selbstverliebte Chefredakteure und unfähige Manager haben sich Lichtjahre von den Interessen der Menschen entfernt und so die Printmedienlandschaft nachhaltig ruiniert.

Berichterstattung der Berliner Presse zu drängenden Themen "jämmerlich"

Gerade bei brandaktuellen Berliner Themen wie Mietwucher und Wohnungsnot, Sozialabbau und prekären Jobs, Flüchtlingskrise und der offensichtlichen Mauschelei zwischen Staat und Lufthansa auf Kosten der Mitarbeiter der insolventen Fluglinie Air Berlin sei die Berichterstattung der Berliner Presse "jämmerlich" gewesen. "Das einzige, was den Verlagen einfällt, sind Preiserhöhungen und Entlassungen sowie Lohndumping bei den Mitarbeitern." So soll der Axel-Springer-Verlag gerade den Abbau von mehr als 100 Stellen in Berlin planen.

Die stellvertretende Bundesvorsitzende der Deutschen Journalistenunion (DJU) und ehemalige Betriebsratsvorsitzende von Berliner Zeitung und Berliner Kurier, Renate Gensch, hält Qualitätsabbau durch immer neue Sparrunden ebenfalls für eine wichtige Ursache des Niedergangs. Gensch:

Außerdem haben die Verlage die Entwicklung des Internets vor über 20 Jahren völlig falsch eingeschätzt. Zunächst nahmen sie es nicht zur Kenntnis. Dann stellten sie, in ihrer Angst, den Anschluss zu verlieren, alle Inhalte kostenlos ins Netz – um heute die 'Gratiskultur' des Internets zu bejammern.

Ex-Bild-Chef und Fußball-Fan Peter Bartels fasst es kurz und bündig zusammen:

Es nützen die besten Spieler der Welt nichts, wenn der Trainer auf der Bank eine Pfeife ist, der nicht mal die Spielregeln kennt...

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