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"Lobbyland" Deutschland – Buch von MdB Marco Bülow mit Systemkritik und Alternativen

Kurz vor Wahlen auf Bundes- oder Landesebene veröffentlichen Politiker gern Bücher. Darin lassen sie beschreiben, warum sich nichts ändern darf oder alles ganz anders werden muss. Der Bundestagsabgeordnete Marco Bülow hat nun ein Buch vorgelegt, das mutig darüber hinausgeht – und dennoch manchmal beschränkt bleibt.
"Lobbyland" Deutschland – Buch von MdB Marco Bülow mit Systemkritik und AlternativenQuelle: RT © Tilo Gräser

von Tilo Gräser

Eine Mogelpackung – so lässt sich das Buch "Lobbyland – Wie die Wirtschaft unsere Demokratie kauft" des Bundestagsabgeordneten Marco Bülow durchaus bezeichnen. Der Grund: Der Autor nennt zwar mehrere Beispiele für die Herrschaft der Lobbyisten über die Politik, aber darum geht es in seinem Buch weniger. Bülow nennt zwar Einzelbeispiele, gibt aber keinen Überblick mit Zahlen, Fakten und Zusammenhängen darüber, wie konkret die Wirtschaft die Demokratie kauft.

Stattdessen beschreibt er relativ ausführlich, wie es um die parlamentarische Demokratie und die Parteien in dieser steht. Er weiß, wovon er schreibt, sitzt er doch seit 2002 im Bundestag, erst für die SPD und seit 2018 für "Die Partei". Den Wechsel nahm Bülow nach eigenen Worten vor, weil er die Verlogenheit der eigenen Partei nicht mehr aushielt. Und weil er grundlegende politische Veränderungen als notwendig ansieht, die mit dem etablierten Politsystem nicht zu erreichen sind.

Nun ließe sich das Buch des Abgeordneten in die Reihe der Publikationen von Politikern einordnen, die vor Wahlen erscheinen. Irgendjemand glaubt, mit solchen Werken die Wählenden beeindrucken zu können. Bülow tritt auch wieder bei der Bundestagswahl am 26. September dieses Jahres an, in seinem Stammwahlkreis in seiner Heimatstadt Dortmund. Dort wurde er als SPD-Kandidat mehrmals direkt gewählt. Ob ihm das diesmal für "Die Partei" wieder gelingt, bleibt abzuwarten.

Deutliche Abrechnung

Sein Buch ist aber mehr als diese klassische Wahlkampf-Propaganda-Literatur. Es ist eine deutliche Abrechnung mit dem System, das sich parlamentarische Demokratie nennt. Er bestätigt, was andere Autoren zuvor schon feststellten: Es handelt sich um eine "Lobbykratie" mit deutlichen Elementen der Oligarchie.

Das Buch des sozialen Demokraten ist ein Plädoyer für grundlegende Veränderungen statt kosmetischer Reformen. Das begründet er mit seinen Erlebnissen und Erfahrungen aus nun fast 19 Jahren Bundestag. Diese führen zu deutlichen Urteilen:

"Der Widerspruch zwischen Darstellung und Handlung in der herrschenden Politik wächst. Einige ihrer Regeln und Strukturen sind so absurd, dass es mich überrascht, wie der Schein der Normalität überhaupt so lange gewahrt werden konnte."

Er habe nach 18 Jahren im Parlament "zwar noch immer Respekt vor der Aufgabe", verliere aber zunehmend "die Achtung vor den Abläufen, den selbstgegebenen Regeln, den bestimmenden Personen". Mit zunehmender Zeit habe er immer mehr "Magengrummeln" bekommen, berichtet Bülow. Diese Bauchschmerzen kennen viele Ostdeutsche, die Funktionsträger der verschiedenen Art und Ebenen in der 1989 untergegangenen DDR waren. Auch, was der Abgeordnete von sich berichtet: "Aber nach außen hin bin ich folgsam."

Undemokratische Spielregeln

Seine Erlebnisse hatten bereits in den ersten Jahren im Bundestag Folgen: Da sei "mehr als ein Riss in meiner Vorstellung von Demokratie" gewesen. Doch es hat gedauert, bis dieser Riss endgültig aufbrach und zu einer nicht mehr zu kittenden Trennung von der SPD führte. Den Weg Bülows dahin können die Lesenden im Buch nachvollziehen.

"Die Spielregeln sind unfair und undemokratisch", schreibt er, nachdem er versuchte, sie zu nutzen, und von erfahrenen Abgeordneten als Alternativen erklärt bekam: Anpassen oder raus. Ebenso beschreibt er, wie abgehoben und weit entfernt die Profipolitiker in Parlament und Regierung vom Leben der normalen Bundesbürger sind. Der Kontakt zur Bevölkerung sei auch gar nicht gewünscht, da er nur die gewohnten Abläufe stören würde.

Die Interessen der breiten Bevölkerung kommen laut Bülow bei den Profipolitkern zu kurz, "sie haben ihre Lobby bei uns längst verloren". Das widerspricht auch dem Auftrag der Parlamentarier und Parteien, wie er im Grundgesetz festgeschrieben ist, weist der Abgeordnete nach. Seine Erfahrungen stützen das, was die Politikwissenschaft als "Demokratiekrise" beschreibt.

Fehlende Debatten

Eine Debatte über den tatsächlichen Zustand der parlamentarischen Demokratie findet nicht statt, beklagt Bülow. Sie fehle auch zu den Strukturen und zur Rolle des Profilobbyismus im Politikbetrieb der Bundesrepublik. Der Abgeordnete stellt Lobbyismus nicht grundsätzlich in Frage, da auch Bürgerinitiativen, Nichtregierungsorganisationen und andere nicht profitorientierte Gruppen gegenüber der Politik auf ihre Interessen und Anliegen aufmerksam machen. Doch diese hätten kaum eine Chance.

Das liegt laut Bülow nicht nur an der ungleichen Ressourcenverteilung zwischen der gesellschaftlichen und der wirtschaftlichen Lobby, der Profitlobby, wie er sie nennt. Es liege auch daran, dass Letztere die Profipolitiker längst auf ihrer Seite habe. Es gelte im Bundestag:

"Wer Karriere machen, sein Mandat fortsetzen oder möglichst unbehelligt seiner Arbeit nachgehen möchte, weicht nicht ab."

Eine solche Person folge der Linie, die Partei- und Fraktionsspitzen vorgeben, abgestimmt mit dem einflussreichsten Lobbygruppen.

Diese sind vor allem in den Bereichen "Auto, bei der Energie, im Agrarbereich, bei der Pharmaindustrie" sowie in der Finanzwirtschaft und im Rüstungsbereich zu finden. Sie haben längst auch die SPD und deren Abgeordnete fest im Griff, schreibt Bülow seiner früheren Partei ins Stammbuch.

Lobbymeisterin Merkel

Bülow zeigt die Mechanismen und deren Folgen vor allem im Energie- und im Finanzsektor sowie bei Militär und Rüstung auf, auch, welchen Einfluss das auf die Haushaltsplanung hat. Kanzlerin Angela Merkel sieht er als Meisterin der Lobbykratie, die das von ihrem Vorgänger Gerhard Schröder übernommene System perfektioniert hat: Politiker werden erst in einflussreiche Ämter gehievt, um dann in einflussreiche Positionen bei Unternehmen zu wechseln.

Leider geht er nicht weiter darauf ein, welche Rolle die mehrmals als einflussreich genannte Pharmalobby derzeit spielt: bei dem, was die Gesellschaft als "Corona-Krise" um das freie Atmen bringt und zum Maskentragen sowie Impfen zwingt. Immerhin macht Bülow darauf aufmerksam, dass die Bundesregierung bei ihrer Corona-Politik selbst das Parlament "seines Grundrechtes beraubt", entsprechende weitreichende Entscheidungen zu treffen. Dazu gehöre aber auch eine "Selbstentmachtung des Parlaments".

"Parlamentsrechte zu beschneiden, ist meist unnötig, undemokratisch und sollte höchstens im absoluten Notfall geschehen", stellt er fest und fügt hinzu:

"Solche nicht notwendigen, gegenwehrlosen Selbsteinschränkungen des Parlaments werden wir in Zukunft sicherlich noch häufiger erleben."

Ein aktuelles Beispiel lieferte eine Bundestagsmehrheit am 25. August, als sie wie von der Regierung wider alle Daten und Fakten die "epidemische Lage von nationaler Tragweite" ein weiteres Mal verlängerte.

Deutliche Selbstbeschränkung

Leider geht Bülow auch nicht weiter darauf ein, wie durch die Corona-Politik einige Grundrechte der Bundesbürger nun schon seit anderthalb Jahren massiv eingeschränkt werden. Dagegen ist auch aus dem Bundestag kaum Widerspruch zu vernehmen, bis auf Ausnahmen wie Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP).

Was der ehemalige SPD-Abgeordnete Bülow zum Umgang mit "Abweichlern" von den etablierten Spielregeln beschreibt, erleben auch jene, die sich kritisch zur regierenden Corona-Politik äußern. Die Mechanismen des bürgerfernen und das Gemeinwohl ignorierenden Politikbetriebes, die er benennt, wirken in zugespitzter Weise auch in der COVID-19-Pandemie. Leider zeigt er nicht, wie hier Pharma- und Finanzlobby die Politik beeinflussen, bis hin zur Impfkampagne. Manche Äußerung im Buch lässt vermuten, dass Bülow die offizielle Erzählung vom alle bedrohenden Virus SARS-CoV-2 glaubt.

An solchen Stellen lassen sich seine Vorstellungen und kritischen Aussagen als naiv bezeichnen, auch wenn er schreibt, was Demokratie für ihn ist: "Die Demokratie mag den Menschen. Sie ist ein Vertrauensbeweis. Sie schenkt uns die Freiheit zur Selbstbestimmung." Sie sei den Bürgern geschenkt worden und sie anregen, sich zu beteiligen, "die Freiheit zu genießen und zu nutzen". Und: "Sie kann der Garant für ein gutes Leben sein."

Überschrittene Grenzen

Immerhin geht er bei seiner Kritik an dem Zustand der bundesdeutschen Demokratie über die Grenzen des Systems hinaus. Das funktioniere nur "auf Kosten der Allgemeinheit" und habe nichts mehr mit freier Marktwirtschaft zu tun. So schreibt er, dass "wir uns ein wirtschaftliches und politisches System aufgebaut und verinnerlicht" haben, "in dem Menschen hauptsächlich noch Arbeitskräfte und Konsumenten sind". Sie seien nur noch ein Energielieferant, "ansonsten aber nutzlos", so Bülow in Anlehnung an den Film "Matrix".

Auch bei der Suche nach Alternativen geht er weit:

"Ohne das Aufbrechen der jetzt verkrusteten marktkonformen politischen Strukturen wird nicht viel passieren. Auch ein erfolgreicher Marsch durch die Institutionen – ohne den Substanzverlust mit einzurechnen – würde viel zu spät kommen."

Bülow beschreibt in seinem Buch eine konkrete Alternative, für die er sich einsetzt und nun erneut als Kandidat für den Bundestag antritt. Auch auf der Webseite lobbyland.de ist mehr dazu zu erfahren. Es ist das Gegenmodell "DEMO":

"Abgeordnete, die einem Verhaltens-Kodex folgen und – wie es das Grundgesetz vorsieht – nur ihrem Gewissen gegenüber verantwortlich sind. Dazu Bürgerinnenräte, Volksinitiativen und vielfältige Beteiligungen. Es entstehen neue Formen von Mitmachparteien und es kommt zu einem Neuaufbau von Resonanz und Teilhabe. Die Bevölkerung wird zur Chefin. Zukunftslust wird zum Motto für eine Demokratische Moderne, die das Gemeinwohl, den Menschen und seine Lebensgrundlage in den Mittelpunkt stellt."

Ausgelassene Fragen

Damit ist noch keine Antwort auf die Frage nach den grundlegenden Eigentums- und Machtverhältnissen als Grundlage für das Kritisierte gegeben. Diese Frage stellt Bülow in seinem Buch nicht, wenngleich er mehrmals deutlich auf diese Verhältnisse hinweist.

Im Buch macht der Abgeordnete "dreimal sieben Vorschläge", wie eine "Demokratische Moderne" aussehen und gestaltet werden könnte: "Meine Grundlage ist die Resonanz. Resonanz ist eine Beziehung, ein Austausch, eine offene Kommunikation, bei der gegenseitige Schwingungen erzeugt werden."

Davon gebe es derzeit in Gesellschaft und Politik zu wenig, stellt er fest – und blendet dabei manchen Bereich leider aus. Apropos "Mogelpackung": Wahrscheinlich hat nur der Verlag beim Titel mehr ans Marketing als an den zu vermeidenden Widerspruch zum Inhalt gedacht. Leider fand der Autor keine Zeit, RT DE das zu erklären.

Marco Bülow: "Lobbyland – Wie die Wirtschaft unsere Demokratie kauft"
Verlag Das Neue Berlin 2021. 208 Seiten; ISBN 978-3-360-01378-1; 15 Euro

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