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Geschlechter*innen-Wahn: Streit um Gesetzentwurf des Justizministeriums

In einem Gesetzentwurf des Justizministeriums findet sich durchgängig die weibliche Nominalform. Das Innenministerium widersprach dem Entwurf – er sei "höchstwahrscheinlich verfassungswidrig". Viele Stimmen meldeten sich zu Wort, auch aus der Sprachwissenschaft.
Geschlechter*innen-Wahn: Streit um Gesetzentwurf des JustizministeriumsQuelle: www.globallookpress.com © © Political Moments via www.imago-images.de

Das Justizministerium unter Führung von Christine Lambrecht (SPD) hat einen Gesetzentwurf verfasst, in dem durchgängig die weibliche Nominalform verwendet wird. Damit zog das Justizministerium den Unmut des Innenministeriums unter Horst Seehofer (CSU) auf sich. In einem Paragrafen der "Allgemeinen Empfehlungen für das Formulieren von Rechtsvorschriften" des "Handbuchs der Rechtsförmlichkeit" wird ein generisches Maskulinum für alle Fälle vorgeschrieben, in denen das Geschlecht nicht bekannt oder unwichtig sei. Diese Regelungen wurden ebenfalls vom Justizministerium herausgegeben.

Das Innenministerium wies den Gesetzentwurf zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechtes ("SanInsFoG") zurück – mit der Begründung, dass bei formaler Betrachtung die ausschließlich genutzte weibliche Form dazu führe, dass das Gesetz gegebenenfalls nur für Frauen gelte und damit höchstwahrscheinlich verfassungswidrig sei, wie ein Sprecher Seehofers am Montag mitgeteilt haben soll. Sprachwissenschaftlich anerkannt sei das generische Maskulinum, also die rein männliche Form, die für beide Geschlechter gelte, teilte der Sprecher weiterhin mit.

Ein Sprecher des Justizministeriums teilte mit, dass die Arbeiten rund um den Referentenentwurf noch nicht abgeschlossen seien, der Entwurf werde noch überarbeitet, bevor er dem Kabinett vorgelegt werde. Ein sogenannter Referentenentwurf bezeichnet das erste Stadium eines Gesetzestextes: Er wird zunächst an die anderen Ressorts zur Abstimmung weitergeleitet, bevor er als ein tatsächlicher Gesetzentwurf dem Bundestag zur Entscheidung vorgelegt wird.

Auf Twitter rief der Gesetzentwurf bereits eine Vielzahl an unterschiedlichen Meinungen hervor, manche Menschen zeigten sich belustigt:

Andere Stimmen machten darauf aufmerksam, dass durch die Verwendung des generischen Femininums der Text in die Länge gezogen werde:

Weitere Twitternutzer fordern gar den Rücktritt der Ministerin:

Anatol Stefanowitsch, Linguist an der Freien Universität Berlin, gab RBB-Kultur ein Interview zu dem Thema, in dem er sich dafür ausspricht, dass "diese Tradition des generischen Maskulinums (…) auf jeden Fall durchbrochen werden [muss]". Schließlich seien "Traditionen (…) dazu da, dass sie irgendwann mal durchbrochen werden". 

Als Möglichkeit, dies zu tun, erwägt Stefanowitsch beispielsweise das "Gendersternchen":

Man kann, aber so weit sind wir vielleicht noch nicht ganz, darüber nachdenken, wie man auch neue Formen der geschlechtsneutralen Rechtsschreibung – zum Beispiel das viel geliebte und viel gehasste Gendersternchen, den Doppelpunkt oder andere Lückenzeichen – für Gesetzestexte freigibt.

Damit stellt sich der Linguist gegen die gängige sprachwissenschaftliche Praxis, die das aktive Eingreifen in die Sprache für gewöhnlich ablehnt: In der modernen Linguistik wird unter dem Begriff der "Deskriptiven Linguistik" festgehalten, dass die Sprachwissenschaft im weitesten Sinne "beschreiben und nicht vorschreiben" soll. Einzelsprachen, Sprachsysteme, Sprachwandel und Sprachgebrauch sollen wertungsfrei beschrieben und analysiert werden und keine Normen oder Vorschriften aufstellen.

Die "Präskriptive Lingustik" gilt heutzutage als "Pseudowissenschaft" und wird lediglich zur Unterhaltung der allgemeinen Bevölkerung eingesetzt, wie auch beispielsweise die bekannten Werke von Bastian Sick "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod".

Zum einen zählten Bemühungen sprachpflegerischer Vereine, den Sprachgebrauch hinsichtlich ihrer Ideologie umzuformen und zu bestimmen, in der Geschichte meist als "rechtskonservative" oder gar "nationalistische" Bestrebungen und wurden abgelehnt. Zum anderen lässt Stefanowitsch das in der Sprachwissenschaft allgemein bekannte Prinzip des Ökonomiestrebens der Sprache außer Acht. Dieses besagt, dass ähnlich dem Prinzip des "Weg des geringsten Widerstandes" aus der Physik (das den Weg des elektrischen Stroms durch den Leiter beschreibt) Sprecher auf natürlichem Wege die sparsamsten und einfachsten Sprachkonstruktionen wählen, um zu kommunizieren.

Auch die der Sprachwissenschaft zugrunde liegenden Konversationsmaxime, die Paul Grice herausarbeitete (Grundsätze eines rationalen Gespräches, von denen der Hörer unbewusst ausgeht, dass der Sprecher sie zwecks erfolgreicher Konversation befolgt), sprechen gegen die angedeutete sprachpflegerische Unternehmung.

Die Maxime der Relevanz besagt beispielsweise, dass die vorangegangene Kommunikation und das Vorwissen des Kommunikationspartners beachtet werden müssten. Die Maxime des Stils besagt, Mehrdeutigkeit und unnötige Weitschweifigkeit zu vermeiden, im Englischen passend erklärt durch den Zusatz "be brief" – "fasse dich kurz".

Die weiblichen Wortformen im Deutschen sind in der Regel länger als die männlichen Formen, sowohl im Singular als auch im Plural. Wie auch bereits durch findige Twitternutzer bemerkt, verlängert also das durchgängige Verwenden weiblicher Wortformen einen Text ungemein, was dem Ökonomiestreben sowie der Maxime, sich "kurz zu fassen", widerspricht.

Die sprachwissenschaftliche "Anerkennung des generischen Maskulinums", von der das Innenministerium spricht und die Stefanowitsch in Frage stellt, findet sich in dem zu beachtenden Vorwissen von Kommunikationspartnern wieder, das jedem Sprecher und jeder Sprecherin der deutschen Sprache zur Verfügung steht und durch das sich eine betroffene Person angesprochen fühlt: Es ist Teil des Vorwissens des (deutschsprachigen) Gesprächspartners, dass mit den männlichen Wortformen auch eine weibliche Person angesprochen wird. Umgekehrt ist dies nicht der Fall. Eine spontane und problemlose Umkehrung ist nicht möglich, wie auch der Gesetzentwurf und die Reaktionen darauf zeigen.

Aus ernsthafter sprachwissenschaftlicher Sicht kann der Vorstoß des Justizministeriums nur verwundern und auf Ablehnung stoßen. Sollte man aus einer feministischen Ideologie heraus argumentieren, ist mit Verweis auf die genannten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu erwähnen, dass sich die für solche Vorhaben genutzte (und verbrauchte) Energie sinnvoller und konstruktiver an anderer Stelle einsetzen lässt, wie beispielsweise bei den Themen Abtreibung, Gehältergerechtigkeit und sonstigen echten oder vermeintlichen Fällen von Sexismus.

Mehr zum Thema - Ablenkung von aktuellen Problemen: Linke-Politikerin zur Gender-Debatte bei der Bundeswehr

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