Deutschland

Populismus und das Dilemma der AfD

Der AfD-Vorstand annullierte im Mai mehrheitlich Kalbitz' Parteimitgliedschaft. Derweil werden die Bruchlinien in der Partei immer sichtbarer. Es handelt sich bei diesem Konflikt nicht nur um einen Machtkampf oder gar um eine Abgrenzung zum "Rechtsextremismus".
Populismus und das Dilemma der AfDQuelle: Reuters

Von Seyed Alireza Mousavi

Der AfD-Bundesvorstand hatte die Parteimitgliedschaft von Andreas Kalbitz im Mai auf Antrag Meuthens mehrheitlich annulliert. Er gab als Grund an, dieser habe eine frühere Mitgliedschaft bei den Republikanern sowie seine Zugehörigkeit zur rechtsextremen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) verschwiegen. Kalbitz bestreitet die HDJ-Mitgliedschaft jedoch. Der Rauswurf von Brandenburgs früherem Landeschef Kalbitz wurde jüngst vom AfD-Bundesschiedsgericht entschieden. Doch Kalbitz geht nun gegen den Ausschluss vor und will Fraktionschef bleiben – was für Zwietracht in der Partei sorgt. Er stellte einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Landgericht Berlin.

Kalbitz war einer der Wortführer des offiziell aufgelösten Flügels in der Partei um den Thüringer AfD-Landes- und Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke. Das Bundesamt für Verfassungsschutz stufte im Mai die Strömung als "gesichert rechtsextremistische Bestrebung" und Höcke sowie Kalbitz als "rechtsextremistische Führungspersonen" ein.

AfD-Chef Jörg Meuthen äußerte nach dem bestätigten Rauswurf von Kalbitz aus der Partei die Hoffnung, bald wieder zu einer kooperativen Zusammenarbeit in der Parteispitze zurückkehren zu können. "Die Entscheidung über einen Verbleib von Andreas Kalbitz in der Fraktion oder gar im Fraktionsvorsitz, die würde ja die Einheit der Partei gefährden", so Meuthen. Er warnte anschließend davor, dass die Fraktion damit sagen würde, sie akzeptiere die Entscheidung des Bundesvorstands und des Bundesschiedsgerichts nicht, heißt es in der Saarbrücker Zeitung.

Der innerparteiliche Streit eskalierte insbesondere zu jenem Zeitpunkt, als Gauland sich gegen die Annullierung der Mitgliedschaft von Kalbitz ausgesprochen hatte. Gauland warnte vor einem Zerfall der AfD und ließ offen, ob er wieder für den Bundestag kandidieren werde. Der Rauswurf habe die Grabenkämpfe in der AfD verschärft. "Ich will nicht hoffen, dass daraus ein Zerfall der Partei wird", sagte Gauland der Welt am Sonntag. Er machte Parteichef Jörg Meuthen den Vorwurf, dass dieser die Partei spalten wolle.

Zum Interview Gaulands und in Bezug auf die mögliche Spaltung der Partei schrieb AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla:

Dabei ist erwähnenswert, dass Meuthen am 1. April in einem Interview mit dem Onlinemagazin Tichys Einblick dazu angeregt hatte, über die Spaltung der Partei nachzudenken. Dieser Vorstoß hatte ihm heftige Kritik aus der Partei über den völkischen Flügel hinweg eingebracht. Meuthen schlug offen eine Trennung zwischen dem vom Verfassungsschutz beobachteten "Flügel" und dem liberalen Teil der Partei vor:

An eine AfD ohne Flügel würde die Union scharenweise sich als konservativ verstehende Wähler verlieren, und für die beliebige und mutlose FDP, die sich ja nur noch mit der verschreckten AfD-Klientel über Wasser halten kann, wäre das wohl unmittelbar existenzbedrohend. Auf der anderen Seite würde ein in seinem sogenannten Sozialpatriotismus nicht mehr durch Freiheitliche wie mich eingeschränkter Flügel der Linkspartei im Osten vermutlich auch noch weitere Wähler abnehmen. Mit einem selbständigen Flügel könnte Björn Höcke Bodo Ramelow womöglich noch weit mehr in Bedrängnis bringen.

Uwe Junge, der Vorsitzende der AfD-Fraktion im rheinland-pfälzischen Landtag, schrieb jüngst in optimistischem Ton über die "Meuthen-AfD":

Die Bruchlinien innerhalb Partei werden immer sichtbarer. Anders als oft dargestellt handelt es sich bei diesem Konflikt nicht nur um einen Machtkampf oder gar um eine Abgrenzung zum "Rechtsextremismus", sondern wir erleben einen weltanschaulich-politischen Kampf zwischen dem "sozialpatriotischen" Flügel um Höcke und dem "marktradikal-konservativen" Flügel um Meuthen und Co. Bisher wurde die Partei noch durch einen Minimalkonsens, der auf einer Politik gegen Flüchtlinge und insbesondere gegen muslimische Migranten beruht, zusammengehalten.

Nun scheinen aber jene Konflikte ausgebrochen zu sein, die seit dem Aufstieg der Partei im Zuge der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 heruntergespielt wurden.

Die Spaltung, die nun innerhalb der AfD sichtbar wird, war bereits in der Vergangenheit bei den sogenannten "Neuen Rechten" nachweisbar. Die Trennung des Kubitschek-Kreises von der Wochenzeitung Junge Freiheit (JF) war vor knapp einem Jahrzehnt der Ausgangspunkt der Spaltungsgeschichte in der neurechten Szene. Die JF war jahrelang das Leitorgan der Rechten, in dem viele der Protagonisten der Neuen Rechten in Erscheinung getreten sind. Das Milieu taumelte damals zwischen völkischem Nationalismus und liberalem Konservatismus. Während JF-Chefredakteur Dieter Stein stets den Anschluss an die Altparteien sucht und auf "Realpolitik" drängt, steht der Kubitschek-Kreis bis heute für einen grundlegenden politischen Wandel und eine "Kulturrevolution von rechts" – und zwar die Überwindung der "linksliberalen Kultur" der 68er-Bewegung, die er als Kulturverfall brandmarkt. Kubitschek selbst war einer der Autoren der "Erfurter Resolution", mit der Bernd Lucke im Jahr 2015 aus der Partei gedrängt und der Flügel um Bjorn Höcke etabliert wurde.

Die Funktionäre in der Partei schwanken insofern zwischen der volksgemeinschaftlichen und der marktzentrierten Strömung. Der marktradikale Flügel um Jörg Meuthen und Alice Weidel profiliert sich mit der Forderung nach weitgehender Privatisierung der sozialen Absicherung. Hier glauben die AfDler an die Fehlerlosigkeit des Marktes, und in dieser Vorstellung erzeugt der Kapitalismus selbst keine Ungerechtigkeit. Denn Märkte trennen die Starken von den Schwachen. Aus dieser Perspektive gehören Flüchtlinge und Arbeitslose zu der schwachen Klasse.

Im Umfeld von Björn Höcke dominieren hingegen ganz andere Töne. Dieses Lager pflegt einen antikapitalistischen Kurs. Dort beruft sich die völkische Strömung in Abgrenzung zu Wirtschaftsliberalen auf einen Sozialpatriotismus, und sie versucht die AfD als neue Arbeiterpartei in Stellung zu bringen. In dieser Weltvorstellung steht das homogene Volk im Mittelpunkt, und die völkischen Nationalisten beklagen die Ökonomisierung der Gesellschaft durch die "Globalisten", die in der Migration ein revolutionäres Potential für kosmopolitische Ambitionen auf Kosten des "Identitätsverlustes der Völker" sehen.

Die beiden Lager der AfD haben sich in der Regel auf die Innenpolitik fokussiert, und zwar auf die "innere Sicherheit". In der Außen- und Verteidigungspolitik steht die Partei mehrheitlich für einen transatlantischen Kurs. Die AfDler gehen der Richtlinie der Transatlantiker der CDU und Grünen nach. Hier fiel die Partei zwar gelegentlich durch plakative russlandfreundliche Äußerungen in beiden Lagern auf, allerdings ohne jemals den außenpolitischen Grundsatz der BRD ernsthaft zu hinterfragen. Die AfD ist seit ihrem Einzug in den Bundestag ein Ableger der CDU – abgesehen von der Migrationspolitik, wobei sie auch gelegentlich die Altparteien in den strategischen Themen der BRD wie Israels Sicherheit und Russlandfeindlichkeit zu übertreffen versucht.

Mit anderen Worten: Die AfD befindet sich in der Tat in einem Dilemma. Die Partei will zur Sicherheit Deutschlandnämlich nur so wenig wie möglich Flüchtlingsaufnahme betreiben, insbesondere aus muslimischen Ländern. Sie hat für diesen Plan jedoch nicht nur keine Alternative zur deutschen Außenpolitik im Nahen Osten, sondern sie überbietet sich zuweilen an den Grundprinzipien deutscher Außenpolitik im Sachgebiet der transatlantischen Partnerschaft – einer Partnerschaft, die im Grunde größtenteils für das Chaos in dieser Region verantwortlich ist.

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