Deutschland

Wenn die Lobby fehlt: Bundesregierung verweigert Corona-Zuschüsse für Arme

Keine Coronazulage für Grundsicherungsbezieher: Bundestag stimmt gegen Anträge von Linken und Grünen, Bundesrat verschiebt das Problem auf die sprichwörtliche lange Bank. Wieder zeigt sich: Die Ärmsten haben in Deutschland keinerlei Lobby.
Wenn die Lobby fehlt: Bundesregierung verweigert Corona-Zuschüsse für ArmeQuelle: www.globallookpress.com

von Susan Bonath

Zwei Anträge der Linken und Grünen auf eine Notzulage für Bezieher von Grundsicherung lehnten im Bundestag die Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD – einvernehmlich mit der AfD – geschlossen ab, bei Enthaltung der FDP. Auch der Bundesrat überwies nun eine entsprechende Initiative des Landes Berlin in seine Ausschüsse – und damit auf die lange Bank. Trotz teilweise geschlossener Tafeln, fehlender Hilfsangebote, gestiegener Preise und Homeschooling gehen Arme weitgehend leer aus.

Bildung und Teilhabe sichern

Die Linksfraktion fordert für die Dauer der Wirtschaftskrise einen Aufschlag von monatlich 200 Euro pro Person auf existenzsichernde Grundleistungen. Zudem beantragte sie eine Einmalzahlung von 500 Euro über das Bildungs- und Teilhabepaket. Damit soll armen Kindern der Zugang zum Fernunterricht über das Internet gewährt werden.

Die Grünen verlangen ein Plus von 100 Euro für Erwachsene und 60 Euro für Kinder. Das Land Berlin unternahm unterdessen einen Vorstoß im Bundesrat. In seinem Entschließungsantrag hält der Berliner Senat die Zahlung eines krisenbedingten Mehrbedarfs von 100 Euro an Hartz-IV-Beziehende für notwendig. Ähnliche Forderungen hatten zuvor mehrere Sozialverbände formuliert, darunter der Paritätische Wohlfahrtsverband und das Deutsche Kinderhilfswerk.

 "Eltern können Essen abholen"

In der Bundestagsdebatte ging der SPD-Politiker Bernd Rützel überhaupt nicht auf die Oppositionsanträge ein. Seine Fraktionskollegin Daniela Kolbe wies darauf hin, dass die Sozialbehörden weiterhin den Zuschlag für das Mittagessen in Schulen und Kitas übernehmen, falls die Eltern dort das Essen für die Kinder abholen können. Beide lobten "den starken Sozialstaat", der nun die Erhöhung des Kurzarbeitergeldes ab dem vierten Monat von 60 auf 80 Prozent ermögliche.

Peter Weiß (CDU) betitelte die Anträge der Linken und Grünen als "Rückschritt ins Mittelalter". Denn beide wollten damit "nur Geld als Hilfe in der Krise verteilen", was "Almosen" gleichkomme. Dies widerspreche dem Leistungsgedanken, so Weiß. Dass Millionen der Abstieg in die Arbeitslosigkeit droht, verschwieg er.

AfD gegen jede Umverteilung von oben nach unten

Der AfD-Mann Martin Sichert wetterte gegen "jede Umverteilung" von oben nach unten. Mit dem ganzen Sozialpaket werde Geld verschleudert, so Sichert, etwa "zugunsten einzelner Berufsgruppen" oder für einen angeblichen "Ökowahn". Außerdem wollten "Linke und Grüne von Deutschen zu Ausländern und Langzeitarbeitslosen" umverteilen. So bekämen diese am Ende "mehr als Mindestlöhner".

Sicherts Anwürfe waren bereits inhaltlich falsch. Denn Beschäftigte mit geringen Einkommen, ob in Kurzarbeit oder nicht, können beim Jobcenter eine Aufstockung beantragen. Mit der Höhe ihrer sonstigen Einkünfte wächst auch der Freibetrag, den sie über den Hartz-lV-Satz hinaus behalten dürfen.

Ein Beispiel: Einer alleinerziehenden Mutter (mit zwei Kindern von fünf und zwölf Jahren) stehen bei einer Warmmiete von 600 Euro und zuzüglich Kindergeld insgesamt 1.590 Euro zu. Zusätzlich erhält sie einen Mehrbedarfszuschlag von 208 Euro. Wenn sie kein Erwerbseinkommen hat, muss sie mit 1.798 Euro monatlich wirtschaften. Abzüglich der Miete bleiben ihr mit ihren Kindern monatlich 1.198 Euro zum Leben. Als Vergleich: Eine Asylbewerberin mit gleichaltrigen Kindern bekommt insgesamt 842 Euro zum Leben. Hinzu kommt ebenfalls eine einfache Unterkunft.

Bekommt die Mutter im Hartz-IV-Bezug nun ein Kurzarbeitergeld oder Erwerbseinkommen von 1.000 Euro, steht ihr ein Freibetrag auf diese Einnahmen von insgesamt 280 Euro zu. Von den 1.798 Euro, die ihr nach dem Regelsatz zustehen, rechnet das Jobcenter nur 720 Euro an. Das heißt: Zu den 1.000 Euro Einkommen bekäme sie noch 1.078 Euro vom Amt überwiesen und hätte insgesamt 2.078 Euro zur Verfügung.

Unsoziale Zugeständnisse der SPD an die Union

Der Grünen-Abgeordnete Sven Lehmann kritisierte im Gespräch mit der Autorin die Regierungsfraktionen. Die SPD habe unsoziale Zugeständnisse an ihre Koalitionspartner CDU und CSU gemacht, monierte er. Anfangs habe Bundesarbeitsminister Heil noch versprochen, zumindest armen Familien mehr zu helfen, resümierte Lehmann.

"Im Sozialausschuss, als das Paket beraten wurde, haben sie dann kein Wort mehr darüber verloren", so der Politiker. Entstanden sei "eine unglaubliche Leerstelle im Gesetz". "Das ist armutspolitisch blind", mahnte Lehmann und erinnerte an die Milliarden-Hilfen für Großkonzerne.

Linke: Zulage hätte Binnenkaufkraft gestärkt

Linke-Chefin Katja Kipping bezeichnete den Gesetzentwurf in der Debatte als "armutspolitische Täuschung". Die Bundesregierung lasse die am stärksten von der Krise Betroffenen auf steigenden Lebenshaltungskosten sitzen. Dabei, mahnte Kipping, "würde eine Erhöhung der Regelsätze auch die Binnenkaufkraft stärken". Somit  sei die Absage auch ein wirtschaftspolitisches Desaster. Kipping warnte vor kommenden "knallharten Verteilungskämpfen".

Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Die Linke) gab sich auf Nachfrage der jungen Welt enttäuscht. Den Antrag auf eine Corona-Zulage ihres Senats habe der Bundesrat "versenkt", kritisierte sie. Und sie betonte: "Die Bedürftigen befinden sich jetzt in finanzieller Not und brauchen sofort Hilfe."

Zu leiden haben unter dieser Entscheidung nicht nur "die Ausländer und Langzeitarbeitslosen", wie der AfD-Abgeordnete Sichert sie "den Deutschen" gegenüberstellte. Auch die mehr als zehn Millionen Kurzarbeiter und die bisher mehr als 300.000 Entlassenen – Tendenz steigend – erhalten im Notfall geringere Aufstockung ihrer Minihilfen. Abgesehen davon, dass weniger kaufen kann, wer weniger hat.

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