Gesellschaft

Vater von Julian Assange: Es geht um die Unterdrückung unerwünschter Wahrheiten

Der Fall Julian Assange stehe beispielhaft für die Einschüchterung von Journalisten, so das Fazit einer Veranstaltung mit dessen Vater John Shipton in der Universität Köln. Shipton wirbt um Solidarität für seinen Sohn – im Mainstream stößt er damit jedoch auf taube Ohren.
Vater von Julian Assange: Es geht um die Unterdrückung unerwünschter WahrheitenQuelle: Reuters © Reuters/Henry Nicholls

von Felicitas Rabe

Seit April 2019 sitzt Julian Assange im Londoner Gefängnis Belmarsh in Isolationshaft. Der Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks wurde von der britischen Polizei unter dem Vorwand, gegen Kautionsauflagen verstoßen zu haben, aus der ecuadorianischen Botschaft geholt und in einem Schnellverfahren zu 50 Wochen Haft verurteilt. Die USA haben einen Auslieferungsantrag gestellt – Assange drohen in den USA 175 Jahre Haft oder gar die Todesstrafe.

Am Freitagabend fand an der Universität Köln im gut besuchten Hörsaal 1 eine Podiumsdiskussion mit John Shipton, dem Vater von Julian Assange, und der Abgeordneten der Linkspartei, Sevim Dağdelen, statt. Organisiert wurde die Veranstaltung von den linken Hochschulgruppen die Linke SDS Köln, dem Wendepunkt – Sozialisten an der Uni Köln, dem Kölner Friedensforum, Aufstehen – Ortsgruppe Köln, der evangelischen Lutherkirche Köln und dem DFG-VK. 

In seiner Begrüßung wies der Moderator Peter Förster (Uni Köln) darauf hin, dass Kölner Studenten im Jahr 2018 den Erhalt der Zivilklausel an ihrer Universität durchgesetzt haben. Dementsprechend habe sich die Wissenschaft für Nachhaltigkeit, Frieden und Demokratie einzusetzen und auch für Whistleblower wie Julian Assange, die zur Aufklärung von Kriegsverbrechen beitragen. 

In diesem Fall ging es aber neben der Freilassung des Journalisten Julian Assange, der ohne Anklage in Isolationshaft im britischen Gefängnis Belmarsh gefangen gehalten wird, auch um die Verwirklichung der Würde aller Menschen. Es ginge grundsätzlich um die Rechte von investigativem Journalismus, um das Recht auf Wahrheit und besonders um die Rechte der zivilen Kriegsopfer, die Assange mit den Veröffentlichungen auf WikiLeaks erst bekannt gemacht habe. 

In seiner ersten Frage an John Shipton wollte Förster wissen, worin die besondere Bedeutung von WikiLeaks bestehe. Um richtige Entscheidungen treffen zu können, bräuchten wir Informationen, die auf Fakten basieren, so Shipton. Erst anhand von wahrheitsgemäßen Fakten könnten wir analysieren und diskutieren, wie wir handeln wollen. WikiLeaks stelle auf Fakten geprüfte Dokumente zur Verfügung und schütze die Informanten. Aktuell könne man zum Beispiel mit den auf der Plattform veröffentlichten Dokumenten zu Bolivien nachvollziehen, wer in den Putsch involviert ist, welche Personen aus den USA Gelder investiert haben und wer an der Korruption beteiligt ist. Dies wären entscheidende Grundlagen für eine korrekte Analyse der Ereignisse in Bolivien. 

WikiLeaks habe einen grundsätzlichen Wandel im Journalismus herbeigeführt. Mittlerweile hätten alle bedeutenden Nachrichtenagenturen eine sichere Dropbox, wohin man anonym Dokumente schicken könne. Im Unterschied zu WikiLeaks würden diese Agenturen aber nur Bruchteile der eingesandten Dokumente veröffentlichen. So wären im Fall von Edward Snowden nur fünf Prozent der eingesandten Informationen veröffentlicht worden. 

Woher die ungewöhnlich harte Verfolgung von Assange komme, wollte Förster dann wissen. Laut Shipton resultiere diese aus der Bloßstellung des US-Militärs und dessen illegalen Kriegshandlungen. Im Jahr 2010 veröffentlichte WikiLeaks ein Video, das zeigte, wie US-Militärs im Irakkrieg aus Hubschraubern zwölf Zivilisten erschossen, einschließlich zweier Journalisten von Reuters.

Waren zivile Opfer bisher als sogenannte Kollateralschäden bezeichnet worden, wurde in diesem Video die gezielte Tötung von Zivilisten belegt. Die Veröffentlichung schadete dem US-Militär außerordentlich. Noch im Jahr 2010 änderte die EU im Rahmen der "War on Terror"-Doktrin ihre Auslieferungsgesetze. Auf diesen Gesetzen basiere der aktuelle US-Auslieferungsantrag für Julian Assange an Großbritannien. 

John Shipton: Journalisten sollen eingeschüchtert werden 

Die Ziele der Verfolgung von Julian Assange gingen aber auch nach Ansicht von John Shipton weit über dessen Fall hinaus. Es ginge darum, Journalisten und Verlage einzuschüchtern, und überhaupt jeden zu warnen, der sich an der Aufklärung von unerwünschten Wahrheiten beteiligen würde. 

In Bezug auf Assanges Auslieferungsverfahren nach Schweden stellte Shipton fest, dass sein Sohn immer bereit war, in Schweden am Gerichtsverfahren teilzunehmen. Er wäre unter der Bedingung, dass die schwedische Regierung ihn nicht an die USA ausliefern würde, jederzeit nach Schweden gereist. Aber Schweden war nicht bereit, dies zuzusichern und beide Verfahren voneinander zu trennen. Besonders tragisch daran sei, dass die Durchsetzung von Frauenrechten damit verbunden und davon abhängig gemacht worden sei, andere Partikularinteressen zu verfolgen. Was für den nachrangigen Stellenwert von Fraueninteressen bezeichnend sei. 

Nach neun Jahren der Verfolgung und der isolierten und menschenunwürdigen Situation in der ecuadorianischen Botschaft hat Schweden schließlich die Anklage wegen Vergewaltigung sang- und klanglos fallen gelassen. 

Der UN-Sonderbeauftragte für Folter, Nils Melzer, habe festgestellt, dass die Verweigerung von medizinischer Behandlung und die ständige Überwachung, einschließlich der Installation eines Mikrofons in einer Botschaftstoilette, gegen geltende internationale Menschenrechte verstieß. Die UN-Arbeitsgruppe zu Folter habe zudem festgestellt, dass die anschließende Inhaftierung durch die britische Justiz willkürlich und illegal war. Laut ihrem Bericht und gemäß internationalem Recht müsse Assange sofort freigelassen werden und das Recht auf Asyl erhalten. 

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Auch diese Willkür verletze wiederum nicht nur Julian Assange. Sie würde belegen, dass wir uns alle nicht auf die von unseren Regierungen ratifizierten Menschenrechtskonventionen, die zu unserem Schutz vereinbart wurden, verlassen könnten und dass die Rechtsstaatlichkeit insgesamt auf dem Spiel stehe. 

Die Bundestagsabgeordnete der Linken, Sevim Dağdelen, setzt sich seit Jahren für die Freilassung von Julian Assange ein. Zuletzt hat sie ihn im Dezember 2018 in der ecuadorianischen Botschaft besucht. 

Förster wollte von ihr wissen, aus welchem Grund die Bundesregierung sich im Fall der Menschenrechtsverletzung gegenüber Assange so zögerlich verhält. Laut Dağdelen sei es kein Zögern, sondern eine bewusste Entscheidung der Bundesregierung, sich nicht für den Whistleblower einzusetzen. Politik würde allgemein nicht aufgrund von Sachverhalten entschieden, sondern entsprechend des politischen Willens. Vielfach würden eingeladene Experten in politischen Ausschüssen Sachverhalte darstellen, die dann von den Abgeordneten ignoriert würden, weil der politische Wille vorrangig sei. 

Fall Assange sei beispielhaft für neuen Krieg gegen Journalisten 

Julian Assange, dessen physische und psychische Gesundheit durch die jahrelange Überwachung und Inhaftierung schwer angeschlagen sei, sagte laut Dağdelen, dass "sein Leben nun in den Händen der Europäischen Union" liege. 

An ihm werde ein Exempel für die exterritoriale US-Verfolgung von Journalisten geschaffen, die sich der Wahrheit verpflichtet fühlen, so die Linken-Politikerin. Es handele sich um einen neuen Krieg gegen Journalisten. Wie könne es sein, dass ein Mensch, der weder US-Bürger ist, noch sich jemals in den Vereinigten Staaten aufgehalten hat, von US-Behörden in die USA geholt werden kann, um dort nach US-Recht verurteilt zu werden? An dieser Stelle fragte Dağdelen ganz direkt: 

Wo bleibt denn hier die Solidarität der Journalisten, – glauben sie, sie würden zukünftig von exterritorialer Verfolgung verschont? Julian erwarten 175 Jahre Gefängnis oder die Todesstrafe in den USA, meinen sie, das könnte ihnen nicht passieren?

Auch die Journalisten der New York Times, des Guardian, von Le Monde, El País und vom Spiegel würden sich nicht für den Journalisten einsetzen. Dabei hätten sie die umstrittenen Dokumente über Kriegsverbrechen aufgrund einer verspäteten Freischaltung noch vor WikiLeaks veröffentlicht. Trotz ihrer anfänglich engen Zusammenarbeit mit der Enthüllungsplattform distanzierten sie sich jetzt komplett von Assange. 

Dazu passend wurde aus dem Publikum ergänzt, dass die öffentliche Anhörung für die Freilassung von Julian Assange am vergangenen Mittwoch in Berlin nur von RT Deutsch und der russischen Videoagentur Ruptly per Livestream übertragen wurde. 

Ein weiterer Zuschauer konnte nicht verstehen, warum ein Menschenhändler und Sexualverbrecher wie Jeffrey Epstein während seines Gefängnisaufenthaltes zwölf Stunden Freigang genossen hätte, während Julian Assange, der sich für die Opfer von Kriegsverbrechen einsetze, 22 Stunden am Tag in Isolationshaft verbringen müsse. 

Spontan bedankte sich ein Zuschauer aus Afghanistan ausdrücklich beim Vater von Julian Assange dafür, dass er sich als betroffener Vater mit soviel Kraft und Geduld für seinen Sohn einsetzen würde. Er wolle sich stellvertretend für die Menschen in Afghanistan bei ihm und bei seinem Sohn Julian bedanken. Assange hätte die Kriegsverbrechen in seinem Land aufgedeckt und veröffentlicht, was den afghanischen Menschen von den westlichen Militärs im Namen der sogenannten Demokratie angetan wurde. Er hätte den Menschen in seinem Land mit seinen Leaks eine Stimme gegeben. 

Am Ende der Veranstaltung wurden Vorschläge für Aktionen und Handlungsoptionen diskutiert: Für die Unterstützung und Freilassung von Julian Assange sollten Verbündete in der Politik, bei zivilgesellschaftlichen Organisationen und bei den Kirchen gesucht werden. Dies sei schließlich in unser aller Interesse. Zuletzt hatten sich 60 Ärzte aus acht Ländern an das britische Innenministerium gewandt und mit ihrer Forderung nach einer sofortigen Freilassung von Assange aus gesundheitlichen Gründen eine große Öffentlichkeit erzeugt. 

Nach der bewegenden Veranstaltung schlossen sich einige Veranstaltungsbesucher zu einer spontanen Solidaritätsbekundung mit Kerzen und Gesang vor der Kölner Universität zusammen.

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