Gesellschaft

Mann? Frau? Intersexuell? Scharfe Kritik am CAS-Urteil zum Fall Caster Semenya

Zutiefst sexistisch, furchtbar unfair, enttäuschend, prinzipiell falsch, rassistisch, klischeehaft: Die Wogen der Kritik schlagen nach dem CAS-Urteil im Fall Caster Semenya hoch. Schon am Freitagabend wird die Südafrikanerin überraschend in Doha starten.
Mann? Frau? Intersexuell? Scharfe Kritik am CAS-Urteil zum Fall Caster Semenya© Toby Melville

Mit einem wegweisenden Urteil hatte der Internationale Sportgerichtshof (Court of Arbitration for Sport: CAS) am Mittwoch in einem Streit um Testosteron-Grenzwerte für Frauen den Einspruch der 800-Meter-Olympiasiegerin von 2012 und 2016 abgelehnt. Damit kann die entsprechende IAAF-Regel, in der Testosteron-Obergrenzen für Mittelstreckenläuferinnen mit intersexuellen Anlagen festgesetzt werden, am 8. Mai in Kraft treten.

Wut und Enttäuschung, eine Prise Sarkasmus und heftige Kritik von allen Seiten: Das CAS-Urteil im Fall von 800-Meter-Olympiasiegerin Caster Semenya hat viele Beobachter geschockt und eine Welle der Solidarität mit der Weltklasse-Leichtathletin aus Südafrika ausgelöst. Der südafrikanische Verband prüft einen Einspruch gegen das Urteil – wie viele andere beklagte er eine "Diskriminierung" Semenyas. Es gab aber auch Zustimmung zu der neuen Testosteron-Regel des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF.

"Mich würde wirklich interessieren, was Usain Bolt sagen würde, wenn man ihm Hormone gäbe, damit seine Beine schrumpfen. Nichts anderes verlangt man von Semenya", sagte Balian Buschbaum, der als Yvonne Buschbaum vor seiner Geschlechtsangleichung mehrfach deutscher Stabhochsprungmeister war, der Deutschen Presse-Agentur. "Schade, dass Caster Semenyas Anliegen von jemand be- und verurteilt wurde, der nie in ihren Schuhen gelaufen ist. Schade, dass Gerichte über Verstand und nicht mit Empathie entscheiden", meinte der 38-Jährige.

Fünf Tage vor dem Inkrafttreten der neuen Regelung wird Semenya überraschend noch beim Diamond-League-Auftaktmeeting in Doha starten. Die Südafrikanerin hat sich erst am Donnerstag für das 800-Meter-Rennen am Freitagabend nachgemeldet. In Top-Form hatte sie im Vorjahr sogar den Uralt-Weltrekord der Tschechin Jarmila Kratochvilova (1:53,28 Minuten) aus dem Jahr 1983 angegriffen. Ende Juni 2018 kam Semenya in Paris dieser Bestmarke mit 1:54,25 Minuten am nächsten.

"Frauen mit intersexuellen Anlagen haben das gleiche Recht zur Würde und Kontrolle über ihren Körper wie andere Frauen", meinte Liesl Gerntholtz, stellvertretende Generaldirektorin von Human Rights Watch. Es sei "zutiefst enttäuschend zu sehen, wie der CAS Regeln aufrecht erhält, die den Standards internationaler Menschenrechte direkt zuwiderlaufen". Die Bestimmungen der IAAF seien "klischeehaft, stigmatisieren und diskriminieren" alle Frauen, betonte Gerntholtz.

"Furchtbar unfair" und "prinzipiell falsch" findet Tennislegende Martina Navratilova das Verdikt der drei Sportrichter. Semenya habe "nichts Falsches getan, und es ist schrecklich, dass sie nun Medikamente nehmen muss, damit sie an Wettkämpfen teilnehmen kann", beklagte die 62-Jährige. "Allgemeine Regeln sollten nicht aus ungewöhnlichen Fällen abgeleitet werden, und die Frage von intersexuellen Athleten bleibt ungelöst", sagte die Amerikanerin. Das südafrikanische Frauen-Ministerium fand noch drastischere Worte. Das Urteil habe einen "Beigeschmack von Sexismus und Rassismus", hieß es in einem Statement.

"Das Urteil des CAS wird der Realität menschlicher Diversität nicht gerecht", betonte Britta Dassler, sportpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, und forderte: "Der internationale Hochleistungssport darf sich vor Fragen von sexueller und geschlechtlicher Identität nicht verschließen."

Man sei "völlig geschockt darüber, wie eine Institution mit so hohem Ansehen wie der CAS eine Diskriminierung gutheißen kann, ohne mit der Wimper zu zucken", teilte der südafrikanische Verband (ASA) mit. Man werde "in Kürze" entscheiden, ob das Urteil angefochten wird oder nicht. Ein Einspruch gegen CAS-Urteile ist innerhalb von 30 Tagen vor dem Schweizer Bundesgericht möglich. Dabei wurde schon 2009 bekannt, dass der südafrikanische Leichtathletik-Verband (ASA) bereits vor den Weltmeisterschaften im selben Jahr bei Semenya einen Geschlechtstest angeordnet hatte, um die Startberechtigung für Frauenrennen zu prüfen. Daraufhin stand der damalige Verbandspräsident Leonard Chuene in der Kritik, da er gemeinsam mit Politikern Tests stets bestritten und die IAAF für die Behandlung des Semenya-Falles kritisiert hatte.

Marathon-Weltrekordlerin Paula Radcliffe aus Großbritannien verteidigte dagegen das CAS-Urteil, "weil es festschreibt, dass der Frauensport Regeln benötigt, um ihn zu schützen". Semenya muss nun ihren natürlichen Testosteron-Wert durch Medikamente senken, damit sie an der Leichtathletik-WM in Doha/Katar (27. September bis 6. Oktober) als Frau teilnehmen kann. Die neue Regelung umfasst Frauenrennen zwischen 400 Metern und einer Meile (1.609 Meter). Semenya könnte auf längere Strecken ausweichen, kürzlich siegte sie bei den südafrikanischen Meisterschaften über die 5.000 Meter.

Spekulationen über ein vorzeitiges Karriere-Ende gab es in dem endlosen Streit über ihren Fall ebenfalls schon. Doch Aufgeben sei keine Option für die dreimalige Weltmeisterin. "Die Entscheidung des CAS wird mich nicht aufhalten", versicherte sie nach dem Urteil, schickte am Donnerstag via Twitter aber einen Sinnspruch hinterher: "Weisheit ist es zu wissen, wann es Zeit ist aufzugeben. Das tun zu können, ist mutig. Mit erhobenem Haupt aufgeben ist würdevoll." Auf dem dazu gestellten Foto berührt eine Frauenhand Stacheldraht.

Der südafrikanische Daily Maverick betonte: Das Urteil sei "nicht nur eine Beleidigung Semenyas und ihrer harten Arbeit für das, was sie in ihre Erfolge investiert hat, sondern auch zutiefst sexistisch und widersprüchlich". Alles deutet darauf hin, dass in dieser Geschichte das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.

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(rt deutsch/dpa)

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