Gesellschaft

So peinlich, dass die Leute lachen würden – Albrecht Müller zum Framing-Manual der ARD

Albrecht Müller befasst sich als Publizist mit öffentlichen Meinungsbildungsprozessen. In der Politik hat er sich für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk eingesetzt. Im Interview mit RT Deutsch erklärt er, warum die "Framing-Beratung" nur schiefgehen konnte.
So peinlich, dass die Leute lachen würden – Albrecht Müller zum Framing-Manual der ARDQuelle: Reuters

Herr Müller, Sie befassen sich mit Meinungsbildung in den Medien. Das Framing-Manual und die Debatte darüber sind Ihnen bekannt – was überrascht Sie daran, und was überrascht Sie weniger?

Mich hat der Anspruch überrascht, einen moralisch herausgehobenen Sender zu vertreten. Das ist schon erstaunlich, und es hat überrascht. Die Überschrift des Ganzen heißt "Unser gemeinsamer freier Rundfunk ARD". Von einem gemeinsamen Rundfunk kann man gar nicht sprechen, und das ist auch gut, dass man davon nicht sprechen kann, weil eine so große Sendeanstalt wie die ARD vielfältig sein sollte. Das ist aber die ARD leider in weiten Teilen heute nicht. Ich muss hinzufügen, dass ich persönlich auch aus politischen Gründen ein großer Befürworter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bin und gegen die Privatisierung und Kommerzialisierung gekämpft habe, zusammen mit Bundeskanzler Helmut Schmidt. Aber das, was die ARD heute ausmacht, entspricht nicht dem, was wir unter einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk verstanden haben. Die ARD ist einseitig, sie ist interessenabhängig, ist NATO- und USA-abhängig und so weiter.

Der WDR hat sich ja zwischenzeitlich von diesem Manual distanziert, zumindest der Rundfunkrat und der Intendant. Hat Sie das überrascht?

Nein, das überrascht mich nicht. Dieses Framing-Manual ist ja teilweise so peinlich, dass ich als Intendant eigentlich gar nichts anderes machen kann, als mich davon zu distanzieren. Insofern habe ich großes Verständnis dafür. Aber die ARD muss unter sich klären, wie man eigentlich darauf kommen kann, einen solchen Auftrag zu erteilen. Das verstehe ich überhaupt nicht.

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Dazu kommen wir gleich. Zunächst möchte ich Sie fragen, ob Sie glauben, dass es derartige "Manuals" – vielleicht unveröffentlicht – auch bei anderen Sendern gibt?

Ja, das gibt es. Aber sicher nicht als ein Gutachten, das 120.000 Euro gekostet hat, soweit man hört. Aber es gibt selbstverständlich eine Art von Sprachregelung. Ich kann auch verstehen, dass der Bayerische Rundfunk oder der Hessische Rundfunk oder wer auch immer es nicht gern hat, wenn Mitarbeiter vom "Staatsfunk" sprechen. Das kann ich verstehen. Insofern wird es bestimmte Vorgaben geben. Aber das ist eigentlich so selbstverständlich, dass man das gar nicht aufschreiben muss. Aber hier wird etwas anderes gemacht. Hier wird ein hoher Anspruch in Bezug auf Ethik, Moral, die dahinter steckt, hinter dem Tun dieser Leute, hinter der Tätigkeit erhoben. Und es wird der Anspruch auf eine vorzügliche Leistung erhoben. Und beides stimmt nicht – und das ist ein ganz wichtiger Punkt, dass nämlich leider die ARD heute über weite Strecken Kampagnenjournalismus betreibt. Nehmen Sie zum Beispiel Anne Will. Das ist immerhin eine wichtige Sendung am Sonntagabend. Wenn Frau Wagenknecht eingeladen ist, wird es in der Regel so gemacht, 1 zu 4 oder 1 zu 3, also drei oder vier Gegner von Frau Wagenknecht werden eingeladen, so dass schon mal ein Disverhältnis, ein besonderes Missverhältnis, entsteht.

Und ich habe beobachtet, und das hat Frau Wagenknecht bestätigt, dass es eigentlich immer so geschieht: Wenn sie etwas gesagt hat, und es ist klar, jetzt kommt Applaus vom Publikum, weil es etwas Vernünftiges war, dann geht Frau Will sofort dazwischen und stoppt diesen Applaus, oder sie unterbricht sie schon vorher, damit ja kein Applaus aufkommen kann. Das ist so einseitig und so manipulativ, dass man für einen solchen Rundfunk eigentlich nicht werben kann. Und das ist das große Problem. Eigentlich sind diese öffentlich-rechtlichen Sender wichtig und bilden ein Gegengewicht zu den kommerziellen Sendern. Aber sie sind so verhunzt, so heruntergekommen – in der Summe. Da gibt es viele, viele gute Produkte, und das habe ich auch geschrieben. Aber in der Summe sind sie heruntergekommen, und sie sind eben ein Teil der Kampagne.

Nehmen Sie doch mal ein Beispiel, das ein Medium wie das Ihre, RT Deutsch, besonders betrifft. Sie haben standardgemäß bei ganz vielen Sendungen – ob nun beim Deutschlandfunk, der zur ARD gehört, oder bei der Tagesschau – immer das Bashing von Putin, mit dem bekannten Satz "... aber der Putin". Es wird irgendwas erzählt, wie "eigentlich sind die Russen ja ganz nett – aber der Putin" heißt es dann. Oder Freunde Russlands werden, wie etwa der syrische Präsident, nur "Machthaber" oder "Diktator" oder "Schlächter" genannt, und genauso Maduro. Während der amerikanische Präsident ein "Präsident" ist, ist schon der koreanische nicht der Präsident, sondern ein "Machthaber". Sie haben hier eine Sprache – ob die vorgegeben ist, weiß ich nicht. Da ist Ihre Frage berechtigt, ob es solche Sprachregelungen, solche "Manuals" auch sonst gibt. Wahrscheinlich gibt es das. Also, wenn ihr von dem koreanischen Präsidenten sprecht, dann nennt ihn bitte Machthaber, und wenn ihr vom amerikanischen Präsidenten sprecht, – auch wenn es da viel Kritik gibt – nennt ihn "Präsident" und so weiter. Das kann schon sein, dass es immer so ist, insofern gibt es diese Sprachregelungen.

Warum denken Sie, werden die vorgeschlagenen Formulierungen aus dem Manual, wie "gemeinsamer freier Rundfunk ARD", von kaum einem ARD-Mitarbeiter genutzt, obwohl das Manual bereits seit zwei Jahren in Umlauf ist?

Das habe ich nicht untersucht – haben Sie es untersucht oder gezählt? Sie haben mit hoher Wahrscheinlichkeit recht. Und ich kann das einfach mit drei Wörtern beantworten: Das wäre peinlich. Also, wenn ein Journalist des WDR oder des Bayerischen Rundfunks von einem "gemeinsamen freien Rundfunk" spräche, dann würden die Leute lachen. Und deshalb wird es nicht genutzt.

Das Framing-Manual sollte eine Kommunikationsstrategie sein, um auf die zunehmende Kritik an den öffentlich-rechtlichen Sendern zu reagieren und Begriffen wie "Staatsfunk" oder "Zwangsgebühren" eine positive Konnotation entgegenzusetzen. Was ist schiefgelaufen bei dieser Strategie?

Man kann keine Kommunikationsstrategie machen, wenn wichtige Elemente dieser Strategie falsch sind und durch die Tatsachen nicht gedeckt werden. Wenn Sie einen moralischen Anspruch erheben, dass Sie das Gute vertreten, und es ist gleichzeitig aber nachweisbar, dass dieser Sender vor allem finanzielle Interessen vertritt, wie etwa bei der Frage der Altersvorsorge oder der Demografie (s. auch dazu den Artikel von Albrecht Müller auf den NachDenkSeiten, Anm. der Redaktion), oder dass dieser Sender mitwirkt am Feindbildaufbau gegenüber Russland und damit den Frieden gefährdet, dann können sie nicht den Anspruch erheben, eine moralische Einrichtung zu sein. Und deshalb geht das schief, wenn man diesen Anspruch erhebt.

Das heißt, Sie trauen den ARD-Mitarbeitern, die sich von dem Manual distanzieren, eine bessere Analysefähigkeit als der Autorin zu?

Ja, denn vor allem kennen sie die Realität besser. Ich habe am 20. Februar dazu etwas geschrieben, und ich höre aus internen Kreisen des NDR, dass man dort meine Kritik sehr ernst genommen hat, weil die Mitarbeiter wissen, dass ich in weiten Teilen recht habe mit meiner Kritik an diesem Papier, dem Framing-Manual. Das heißt, dort gibt es Leute, die durchaus wach sind und die durchaus gut sind und durchaus auch – wenn man so will – mit Recht einen moralischen Anspruch erheben, nämlich nicht zu fälschen und nicht etwas Falsches zu behaupten. Diese Leute wissen, dass die Kritik an diesem Manual sehr berechtigt ist und distanzieren sich deshalb davon.

Auch unabhängig von diesem ARD-Framing-Manual: Was glauben Sie passiert mit Werten und Begriffen wie Freiheit, Demokratie, Authentizität, die einfach positiv klingen sollen, aber in Zusammenhängen genutzt werden, die nicht entsprechend positiv sind?

Wenn diejenigen, die sie benutzen, so mächtig sind und viel Unterstützung erhalten von Leuten, von denen man so etwas eigentlich nicht annehmen müsste, weil sie eigentlich nachdenken, dann wird sich so etwas halten lassen. Dann wird es möglich sein, weiter von "unserer freien demokratischen Welt" zu sprechen, obwohl die USA alles andere als demokratisch sind und obwohl bei uns die Medienkonzentration und die Ausweitung der Public Relations so deutlich sichtbar sind, dass man bei uns auch nicht von demokratischen Verhältnissen sprechen kann. Aber wenn die publizistische Macht derer, die diese Begriffe gebrauchen, halt so groß ist, dass man dagegen nicht ankommt, dann gewinnen die eben auch diese Schlacht – das ist das Dilemma und das Schreckliche daran.

Und wir arbeiten natürlich daran, dass ein Stück Aufklärung immer noch möglich ist, so dass man den Leuten sagt, wo ist denn eigentlich Demokratie, wenn die Versicherungswirtschaft allein bestimmt, wie die Altersvorsorge aussehen soll, oder wenn sie direkten Einfluss auf die Politik haben, weil sie von den Medien unterstützt werden. Das werden wir immer versuchen, aber es ist natürlich eine offene Frage, wer das Rennen gewinnt – gewinnt die Aufklärung das Rennen oder gewinnt die Macht der Manipulation. Und das Manual soll eigentlich dazu dienen, die Macht der Manipulation zu erhöhen und zu stabilisieren. Deshalb ist es gut, wenn Sie etwas darüber schreiben, und wir jetzt darüber diskutieren, um zu beschreiben, wie fragwürdig dieses Manual ist. Das sind wichtige Aufklärungselemente, und daran muss man aus verschiedenen Ecken arbeiten.

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Verlieren Begriffe wie "Freiheit" und "Demokratie" ihre ursprüngliche Bedeutung, indem sie ausgehöhlt und vielleicht anders belegt werden?

Ja, natürlich haben sie ihre Bedeutung verloren. Nehmen wir das Beispiel Venezuela: Wenn jetzt die USA dort einen Putsch organisieren und unterstützen, dann hat das mit Freiheit des venezolanischen Volkes nichts zu tun. Wenn die USA langfristig versuchen, auch in Kuba die dortige Regierung zu stürzen, hat das mit der Freiheit des kubanischen Volkes nichts zu tun. Und während die USA, die ihren Einfluss auf die deutsche Regierung so ausüben können, wie es heute sichtbar wird, indem nämlich der deutsche Außenminister und die deutsche Bundeskanzlerin und damit dann auch die EU in Sachen Venezuela so einseitig zugunsten eines Putsch-Präsidenten eintreten, dann hat es mit der Freiheit in Deutschland nichts zu tun.

Und das ist ja unser großes Problem – wir sind in der Rolle einer Kolonie, nur wollen das die Leute und die Journalisten nicht wahrhaben, weil es natürlich sehr traurig ist, wenn man überlegt, dass man in ganz wichtigen Fragen – ich nenne noch mal das Verhältnis Deutschlands zu Russland – nicht frei ist, sondern dass einem die außenpolitische Linie von Washington und der NATO aus vorgeschrieben wird. Das ist schon traurig, aber es hilft nichts, man kann da nicht mehr von Freiheit und nicht mehr von Demokratie sprechen.

Vielen Dank für das Interview!

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