Gesellschaft

"Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken" - Zur Diskurskultur in Deutschland

Was hat ein Gastbeitrag Alexander Gaulands in der FAZ mit einem Gemälde des 1997 verstorbenen Künstlers Martin Kippenberger zu tun? Überraschend viel. Denn es fällt wieder einmal auf, wie schwierig es in Deutschland ist, eine offene Diskurskultur zu fördern.
"Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken" - Zur Diskurskultur in DeutschlandQuelle: Reuters © Axel Schmidt

von Timo Kirez

Der 1997 mit nur 44 Jahren verstorbene Künstler Martin Kippenberger war ein Großmeister der Provokation. Ein gekreuzigter Frosch als Skulptur, ein an den Kubismus angelehntes Gemälde mit dem Titel "Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken" sind nur zwei Beispiele aus dem Schaffen des 1953 in Dortmund geborenen Künstlers. Kritikern, die ihn auch schon mal als Rassisten, Chauvinisten oder Schwulenhasser bezeichneten, nahm er, humorvoll wie immer, mit der Installation "Martin, ab in die Ecke und schäm dich!" den Wind aus den Segeln. "Du kannst Dich benehmen wie 'n Arschloch, aber du sollst es auf keinen Fall sein", sagte Kippenberger mal.

Wenn jetzt die Überleitung zu Alexander Gauland erfolgt, bedeutet dies keineswegs, dass sich der Co-Fraktionsvorsitzende der AfD im Bundestag wie ein Arschloch benimmt, auch wenn viele diesen Satz vermutlich sofort unterschreiben würden. Es geht vielmehr um die Unfähigkeit in diesem Land, gewisse Diskurse ohne Stigmatisierungen zu führen. Der Auslöser der letzten medialen Empörungsorgie betrifft einen Gastbeitrag Alexander Gaulands für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). Unter dem Titel "Warum muss es Populismus sein?" erläutert Gauland in eher zurückhaltender Form, warum es seiner Ansicht nach eine Fundamentalopposition in Deutschland gebraucht habe, und warum diese nur "populistisch" sein konnte.

Zudem kritisiert Gauland, dass sich im Zuge der Gloablisierung mittlerweile eine neue urbane Elite gebildet habe, oder auch eine neue Klasse, die den Kontakt zu den anderen Teilen der Bevölkerung verloren habe. Laut Gauland gehören zu dieser Elite Menschen aus der Wirtschaft, der Politik, dem Unterhaltungs- und Kulturbetrieb. Und vor allem, so Gauland, eine neue Spezies der digitalen Informationsarbeiter. Diese neue Spezies lebe fast ausschließlich in Großstädten, spreche fließend Englisch und gebe überall den Ton an.

Nach dem Gastbeitrag Gaulands kam es zu zwei Wellen der Entrüstung. Die erste war relativ vorhersehbar und formuliert den altbekannten Vorwurf, wie man einem Mann wie Gauland überhaupt eine derart prominente Bühne bieten könne - die "Pfui-deibel-bäh-igitt-igitt"-Masche. Exemplarisch dafür ist ein Beitrag der Tageszeitung (taz), der zwar feststellt, dass Gastbeiträge in Zeitungen wichtig für die gesellschaftliche Debatte seien. Doch sie sollten Politikern keine Bühne bieten - erst Recht keinen Rassisten, so die taz. Die FAZ habe Gauland mit diesem Gastbeitrag "Legitimität" verliehen. Inwieweit ein gewählter Bundestagsabgeordneter noch "Legitimität" braucht sei einmal dahingestellt. Die Pointe des taz-Artikels liegt jedoch woanders begraben: in Berliner Restaurants.

Vor rund einem Jahr sorgte der CDU-Politiker Jens Spahn für bundesweite Empörung, als er in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung meinte, dass es ihm zunehmend auf den Zwirn gehe, dass in manchen Berliner Restaurants die Bedienung nur Englisch spricht. Auf so eine Schnapsidee käme in Paris sicher niemand, so Spahn in dem Interview. Nachdem es Kritik von allen Seiten hagelte, legte Spahn in einem Gastbeitrag für die Zeit noch einmal nach. Seine Beobachtung, dass in Cafés und Restaurants nur noch auf Englisch bedient werde, sei zu Unrecht kritisiert worden. "Wir erleben, wie sich elitäre Hipster gegenüber den Normalbürgern abschotten", so Spahn. Man muss kein Genie sein, um hier eine gewisse Nähe zu Gaulands Gedankengängen zu entdecken.

Und jetzt die Pointe: Im August dieses Jahres durfte genau dieser Jens Spahn einen Gastbeitrag in der taz schreiben, in dem er sich für eine mutigere und robustere Streitkultur ausspricht. Es werde zu schnell mit den großen Kalibern wie "Rassismus" aufgefahren, schreibt Spahn. Wie war das nochmal mit Gastbeiträgen und Politikern in der taz? Schwamm drüber. Einer der wenigen, der aus dem medialen Harmoniechor in Sachen Gauland und FAZ ausscherte, war Jacob Augstein in einem Kommentar im Spiegel. Es lohne sich, durch den sofort aufkommenden Empörungsnebel hindurch genau hinzusehen, schreibt Augstein. Denn Gauland habe einen klugen Text über die deutsche - und die westliche - Misere geschrieben.

Zwar ziehe Gauland aus seiner Analyse kolossal falsche Schlüsse, doch nichtsdestotrotz müsse man ihm zugestehen, dass er die Schwerkräfte richtig beschrieben habe, die an den westlichen Gesellschaften zerrten. Augsteins kurzer Kommentar ist ein Paradebeispiel für Diskurskultur. Zwar kritisiert er die AfD, doch weder pauschalisiert, noch stigmatisiert er. Das macht den Text umso wirksamer. Doch kaum war die erste Empörungswelle über Gaulands Text abgeebbt, folgte auch schon die zweite. Und nun wurde, um Jens Spahns Metapher weiterzuführen, das in Deutschland größtmögliche Kaliber ausgepackt: Adolf Hitler.

Der Berliner Tagesspiegel zitierte am Mittwoch Historiker, die erklärten, Gaulands Text in der FAZ erinnere in Duktus und Argumentation stark an eine Rede, die Adolf Hitler 1933 vor Arbeitern gehalten hatte. Der Historiker Michael Wolffsohn sagte der Zeitung, wer die Hitler-Rede nicht kenne, dem juble Gauland "Adolf Hitler light" unter. Der NS-Forscher Wolfgang Benz sagte dem Tagesspiegel, der Text sei "ganz offensichtlich eng an den Hitlers geschmiegt". Ein Vorwurf, der es sogar über die bundesdeutschen Grenzen hinaus bis in die ehrwürdige französische Zeitung Le Monde schaffte.

Gaulands Berater Michael Klonovsky sagte, er habe mit Gauland vorab über den Beitrag gesprochen. Der AfD-Vorsitzende habe diesen jedoch selbst verfasst. Weder er noch Gauland hätten den Wortlaut der Rede gekannt, in der Hitler eine "Frühform der Globalisierung mit antisemitischen Konnotationen" beschrieben habe. Klonovsky erklärte: "Ich sehe keine Parallelen außerhalb der reinen Tatsachenbeschreibung." Mit dem Vorwurf, Gauland habe sich an Hilter "angeschmiegt" wird eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Gaulands Text endgültig verunmöglicht. Das ist bedauerlich, denn es gäbe genug Ansatzpunkte, um die Argumentation des AfD-Politiker aus den Angeln zu heben.

Nur ein Beispiel sei hier genannt. Gauland schreibt in seinem Beitrag:

Der globalistischen Klasse gegenüber stehen zwei heterogene Gruppen, die in der AfD eine Allianz eingegangen sind: zum einen die bürgerliche Mittelschicht, zu der auch der wirtschaftliche Mittelstand gehört, der nicht einfach seine Unternehmen nach Indien verlagern kann, um dort besonders billig zu produzieren; zum anderen viele sogenannte einfache Menschen, deren Jobs oft miserabel bezahlt werden oder nicht mehr existieren, die ein Leben lang den Buckel krumm gemacht haben und heute von einer schäbigen Rente leben müssen. 

Es sei nur daran erinnert, dass neben Alice Weidel auch Beatrix von Storch und Peter Boehringer, der bei der letzten Bundestagswahl auf dem zweiten Platz der bayerischen Landesliste kandidierte, in der berüchtigten Hayek Gesellschaft organisiert sind. Die neoliberale Schlagseite der AfD zeigt sich klar in ihrem Programm. Dort geht es unter anderem um "Verschlankung des Staates", "Abbau von Subventionen", "Vereinfachung des Steuersystems" und "Staatsquote senken".

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Der AfD-Co-Vorsitzende Jörg Meuthen möchte gar die gesetzliche Rentenversicherung abschaffen. Es solle eine Abkehr vom "zwangsfinanzierten Umlagesystem" der gesetzlichen Rentenversicherung, hin zu einer "regelhaften privaten Vorsorge" geben. Größtmögliche Eigenverantwortung müsse mit einem Umbruch im Steuersystem einhergehen. Wer sich mit derartigen Positionen als Partei für "einfache Menschen" geriert, betreibt einen fulminanten Etikettenschwindel. Doch warum über Inhalte reden - es genügt mit Adolf Hitler zu wedeln. 

Dass es genau diese Art von Verunglimpfungen sind, die der AfD und ihrer selbsternannten "Opfer-Rolle" entgegenkommen und sie somit noch stärken - geschenkt. Zu dieser irrsinnigen Diskurskultur passt eigentlich nur noch der Titel einer weiteren Kippenberger-Installation: "Jetzt geh ich in den Birkenwald, denn meine Pillen wirken bald".

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