Der Weg zum Frieden: Nordirische Politiklegende Martin McGuinness gestorben

Martin McGuinness aus dem nordirischen Derry erlangte wahrscheinlich an dem Tag seine spätere politische Rolle, als der Nordirland-Konflikt wieder voll ausbrach. Am 30. Januar 1972 protestierten in Derry Tausende Menschen gegen die Anwesenheit britischer Militär in Nordirland. Seit einem halben Jahr hatte die britische Regierung begonnen, die irisch-katholische Bevölkerung in Nordirland willkürlich zu internieren.
Als Bürgerrechtsgruppen im Januar 1972 dagegen protestieren wollten, war die Stimmung in Nordirland bereits sehr angespannt. Regelmäßig kam es zu Übergriffen und Schießereien zwischen der irisch-katholischen Bevölkerung und britischen Militärs sowie den Loyalisten der Krone. An diesem Sonntag eröffnete eine Gruppe von britischen Fallschirmjägern plötzlich das Feuer auf die Demonstranten. Zurück blieben 14 Tote und mindestens 13 Schwerverletzte.
Der Tag ging in die Geschichte ein als blutiger Sonntag, der Bloody Sunday. Einer der damals militärisch Verantwortlichen der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) in Derry hieß Martin McGuinness. Mit erst 22 Jahren gehörte er bereits zur regionalen Führung der militanten irischen Nationalisten. Und die schossen ab diesem Bloody Sunday mit allen Mitteln zurück. Nur ein Jahr später verhafteten ihn britische Spezialeinheiten mit 113 Kilogramm Sprengstoff und 5.000 Schuss Munition in seinem Auto.

Martin McGuinness verschwand zunächst im Gefängnis, um später zum Stabschef, dem höchsten militärischen Verantwortlichen der IRA aufzusteigen. Das behaupten zumindest britische Geheimdienste und Medien. Was auch immer seine genaue Funktion im Untergrund-Krieg zwischen Iren und britischer Besatzungsmacht war: Kaum jemand bezweifelt, dass Martin McGuinness entscheidenden Einfluss auf die Politik der nordirischen Republikaner ausübte.
Schon im Jahr 1982 wählte die irisch-katholische Bevölkerung in Nordirland den verurteilten Terroristen ins Parlament. Seitdem stand Martin McGuinness für beides, für die Partei Sinn Féin und den parlamentarischen Kampf um die Rechte der irischen Katholiken in Nordirland. Aber auch für den bewaffneten Kampf der IRA. Besonders in Großbritannien galt jedoch bis lange nach dem Waffenstillstand in den 1990er Jahren: Einmal IRA, immer IRA.
Selbst als Martin McGuinness für Sinn Féin ins britische Unterhaus gewählt wurde, weigerten sich britische Journalisten noch, mit ihm Interviews zu führen und Ton- oder Bildaufnahmen zu machen. Zu dieser Zeit spielte der ehemalige IRA-Mann längst eine wichtige Rolle in den Friedensverhandlungen, die schließlich im Jahr 1998 den längsten und blutigsten internen Konflikt in Westeuropa beendeten.

McGuinness hatte als Chef-Unterhändler von Sinn Féin maßgeblich das Karfreitagsabkommen im Jahr 1998 ausgehandelt und damit auch die militanteren Republikaner in Nordirland überzeugt, die Waffen niederzulegen. Inzwischen ist Sinn Féin seit langem die stärkste katholische Partei in Nordirland. Selbst in der Republik Irland stehen die linken Nationalisten kurz davor, die Wahlen zu gewinnen.
Martin McGuinness gehörte als Bildungsminister der ersten Allparteien-Regierung in Nordirland an. Gerade erst im Januar legte er seinen Posten aus Protest gegen Ineffizienz und Korruption nieder. Bekannt wurde er auch dafür, dass er sich - selten für Irland - unermüdlich dafür einsetzte, die Banken stärker zu regulieren. Schon kurz nach seinem Rücktritt veröffentlichte die irische Presse, dass Martin McGuinness an einer unheilbaren Krankheit leidet.
Heute ist der ehemalige Kommandant der Irish Republican Army, der spätere Friedensstifter und stellvertretende Chefminister in Nordirland im Alter von nur 66 Jahren in einem Krankenhaus seines Geburtsortes Derry gestorben. Inzwischen würdigen ihn jedoch Freunde wie Gegner als einen Friedensstifter. Selbst die britische Königin reichte ihm mittlerweile die Hand. Es war eines der symbolkräftigsten Bilder des nordirischen Friedensprozesses.

In seinem letzten Lebensjahr konnte Martin McGuinness noch erleben, dass sein Fernziel, die Vereinigung mit der Republik Irland im Süden, als Folge des Brexit für viele plötzlich in den Bereich des Möglichen rückt. Und auch die durch seinen Rücktritt ausgelösten Regierungskrise erweis sich als ein letzter kluger Schachzug: Sinn Féin gewann Anfang März in Nordirland überraschend deutlich die Wahlen.
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