Gesellschaft

Belastete Empfehlung: Maßnahmengegner ab nach Madagaskar

Der Soziologie-Professor Dr. Heinz Bude formulierte im Rahmen eines Podcasts-Interviews eine historisch belastete Empfehlung. Die Sprache gegenüber Maßnahmenkritikern nimmt erneut an Schärfe zu. Ein Blick zurück und in die Zukunft.
Belastete Empfehlung: Maßnahmengegner ab nach MadagaskarQuelle: www.globallookpress.com © Fotostand / Andre Havergo via ww

Von Bernhard Loyen

Der Soziologie-Professor Dr. Heinz Bude gab dem News Podcast von Gabor Steingart am 7. Dezember 2021 ein Interview. Bei dem Gespräch ging es um das momentane Gesellschaftsthema Nummer 1: Wie sollen Politik und Bürger mit den Mitmenschen umgehen, die weiterhin mit ihrem individuellen Blick und daraus resultierenden Konsequenzen den Corona-Maßnahmen und den entsprechenden Verordnungen seitens der Politik entgegentreten? Argumentativ im Privaten, wie auch auf der Straße, bei entsprechenden Demonstrationen.

Schon die Überschrift des Podcasts lässt erahnen, wie sich die rote Linie des Gesprächs darstellen könnte: "Impfgegner müssen fühlbare Nachteile haben. Der Soziologe Prof. Heinz Bude über die Impfpflicht-Diskussion und die Sturheit von Impfgegnern." Bevor ich den entscheidenden Satz zitiere, eine kurze Darlegung der momentanen verbalen Ereignisse in unserem Land.

Die Pauschalvorverurteilung eines kritischen, also hinterfragenden Bürgers, mit den inzwischen selbstverständlichen "Stempel-Begriffen" Impfgegner, Impf - bzw. Coronaleugner, Corona-Extremisten (Kanzler Olaf Scholz) wird – seit den jüngsten sich dynamisierenden Demonstrationen und Versammlungen in vielen Städten und Gemeinden quer durch die Republik – durch die Unterstellung erweitert, dass ein Großteil der Veranstalter und Teilnehmer dem sogenannten rechten Spektrum zuzuordnen sei. Das Wort Rechtsextremismus geht sehr leicht von der empörten Zunge. Man spürt hinsichtlich dieser Bewegungswellen im Land, seitens der Politik und zuarbeitenden Medien, eine regelrecht aufkommende Panik. Der Ton verschärft sich. Am Dienstag klang das bei Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) als Beispiel so:

Er halte Demonstranten, die Corona-Proteste zur Diffamierung staatlicher Institutionen nutzen, für "Aasgeier der Pandemie". Dieser Begriff sei für Rechtsextreme, denen die Pandemie nur ein willkommener Anlass sei, um gegen den Staat zu hetzen, "eine gute Charakterisierung".

Die sich abzeichnende gesellschaftliche Selbstverständlichkeit, mit der aktuell Abertausenden, wenn nicht Millionen Menschen in diesem Land, eine rechte Gesinnung in die Tasche geschoben wird, ist nicht nur irritierend. Sie ist anmaßend und sehr freundlich formuliert – unhöflich. Bild berichtete von der ersten Regierungserklärung von Kanzler Olaf Scholz am 15. Dezember:

"Scholz sprach extremistische Corona-Demonstranten deutlich an: 'Wir haben Respekt vor ernst gemeinten Einwänden. Aber genauso klar ist, wir werden es uns nicht gefallen lassen, dass eine winzige Minderheit von enthemmten Extremisten versucht, unserer gesamten Gesellschaft ihren Willen aufzuzwingen.'"

Grünenpolitiker Kretschmann erweiterte seine Analyse dahingehend, dass "bei bürgerlichen Impfgegnern die Verweigerungshaltung dagegen oft eine Frage der Weltanschauung sei". Wie schaut denn die Weltanschauung bei den "Experten", den "Erklärern" dieser Gesellschaftskrise aus? Sie verbitten sich mehrheitlich den Vergleich aktueller Realitäten und Dynamiken mit Ereignissen der frühen Phase des Dritten Reiches. Der Journalist Jan Fleischhauer schrieb am 13. Dezember auf Twitter:

Unter dem Intensivbett geht es aktuell argumentativ meist nicht mehr. Das Verrückte oder, anders formuliert, Besorgniserregende, die äußere "Markierung", also die Zugehörigkeit zu einer klar definierten Bevölkerungsgruppe ist schon existent. Diesmal (noch) keine Parteinadel oder die Armbinde. rbb24 berichtete am 13. Dezember:

"2G-Regel im Einzelhandel: Berliner und Brandenburger sollen Bändchen zum Einkaufen bekommen".

Und sie existieren schon! Zum Beispiel an Universitäten und auf Weihnachtsmärkten, mit entsprechend selektiver Zugangsordnung. Gibt es nachweislich schon Berufsverbote, obwohl eine gesetzlich zugesagte freie Meinungsentscheidung existiert? Genau. Und auch diese Gesellschaftsebene wird noch Modifizierungen der sehr unangenehmen Art zeitnah erleben. Gibt es Zutrittsverbote? Genau. Gibt es generell immer mehr Verbote für die Bürger, die sich dem politischen und medialen Druck nicht beugen. Genau. Dass gesunde (!) Menschen sich im Alltagsleben inzwischen mit in einer permanenten schriftlichen oder digitalen Beweissituation konfrontiert sehen, ist und bleibt bizarr und dystopisch.

Wie schaut es denn mit den "erodierten Maßstäben" seitens der "Impfbefürworter" und "Coronaversteher" aus? Damit wären wir wieder bei Professor Dr. Heinz Bude. Bei Minute 14:45 des Gesprächs im Podcast fällt folgende Aussage:

"Ich würde es jetzt jedem politisch empfehlen: Klare Kante, klare Richtung. Impfgegner müssen fühlbar Nachteile haben. Und im Grunde, in gewisser Weise, kann man sich nicht länger mit denen beschäftigen. Das ist so. Die kann man nicht nach Madagaskar verfrachten. Was soll man machen?"

Madagaskar. War da was? Nun wird es spannend. Denn die erwähnte Selektierung von Bürgern nach Bändchen sowie ausgesprochene Berufs- und Kontaktverbote – die einer historischen Assoziation zur Frühphase des 3. Reichs durchaus standhalten – bekommen mit dieser Formulierung einen "erodierten Maßstab" der Superlative. Die Recherche zeigt dem interessierten Bürger – den Madagaskar-Plan. Das Lebendige Museum Online informiert über die Bedeutung:

"Nach der Niederlage Frankreichs im Juni 1940 gewann die Vorstellung einer Zwangsumsiedlung aller europäischen Juden auf die Insel Madagaskar kurzfristig an Bedeutung. Bereits seit Frühjahr 1940 war der sogenannte Madagaskar-Plan Gegenstand von Planungen des Reichssicherheitshauptamts (RSHA) und des Auswärtigen Amts. In einem Schreiben an Außenminister Joachim von Ribbentrop vom 24. Juni 1940 erwog Reinhard Heydrich als 'territoriale Endlösung' die 'Auswanderung' aller im deutschen Machtbereich befindlichen Juden auf die französische Kolonialinsel vor Ostafrika."

Nach den Vorstellungen eines Soziologie-Professors wäre also die "Auswanderung" von "Impfgegnern" DIE Mutter aller Lösungen. Lustig? Nein! Bedenklich? Auf jeden Fall! Dies empfanden auch die Mitglieder des KRiStA, dem Netzwerk kritischer Richter und Staatsanwälte. In einer "offenen E-Mail" richteten sie ihre Kritik an der Wortwahl direkt an Prof. Dr. Heinz Bude. Die Überschrift lautet: "Appell gegen Entmenschlichung":

"Die Benutzung dieser Worte im öffentlichen Diskurs kommt vor dem Hintergrund unserer deutschen Geschichte einem Dammbruch gleich, den sich niemand ernsthaft wünschen kann!"

Sie erinnerten Bude daran: "Da Sie nach den Angaben auf Ihrer Universitäts-Homepage Ihre Promotion zum Dr. phil. mit einer Dissertation zur Wirkungsgeschichte der Flakhelfer-Generation erlangt haben, dürften Ihnen zentrale Begriffe des Nationalsozialismus nicht unbekannt sein." Zu der von Bude getätigten Bezeichnung "Impfgegner" schrieben sie:

"Die Menschen, die sich (noch) nicht haben impfen lassen, sind eine heterogene Gruppe von Menschen mit unterschiedlichen Einstellungen und Beweggründen. Es handelt sich nicht um 'Impfgegner' – Impfgegner ist ein Kampfbegriff, der zur Kennzeichnung und Entmenschlichung einer Gruppe von Menschen genutzt wird, die lediglich miteinander verbindet, dass sie sich gegen eine bestimmte Krankheit nicht mit den derzeitig verfügbaren Impfstoffen impfen lassen wollen oder können."

Nun könnten Leser argumentieren, wer ist schon dieser Bude? Doch seine Stimme zählt – bis in höchste Regierungskreise. Denn er war einer der 35 Verfasser des Regierungspapiers aus dem Jahre 2020: "Task Force COVID 19/Szenarienpapier. Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen." Zudem ist er Co-Autor des im November 2021 veröffentlichten Aufrufs: "Gemeinsamer Aufruf zum Umgang mit der COVID-19-Pandemie: Beobachtungen und Anregungen für die verantwortlichen Akteure in Deutschland." Dort heißt es unter dem Punkt "Appell und Anregungen": "Wir appellieren deshalb eindringlich an die politisch Verantwortlichen in Bund, Ländern und Kommunen, jetzt ihrer Verantwortung umfassend gerecht zu werden. Das bedeutet erstens, die Realität anzuerkennen" und weiter:

"Zweitens bedeutet Verantwortung eine aufrichtige, besonnene und vor allem kohärente Kommunikation, die den Bürgerinnen und Bürgern vertraut, ihnen aber auch unangenehme Wahrheiten zumutet sowie klare und konsistente Verhaltensrichtlinien vorgibt." Zählt die Erwähnung des "Madagaskarplans" zu Budes Forderung einer "besonnenen" und "zusammenhängenden" Kommunikation, der die Bürger ruhig vertrauen dürfen?

Bude ist übrigens "Wiederholungstäter". Im Jahre 2015 setzte er argumentativ den "Madagaskarplan" in der Diskussion um Flüchtlinge ein. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk im Februar 2015 sagte er: "Wir können Flüchtlinge ja nicht nach Madagaskar verschiffen oder noch schlimmere Dinge mit ihnen machen. Oder die Türen zumachen und niemanden mehr aus Afrika nach Europa lassen. Das wird alles nicht gehen." Auch damals, wie bei dem aktuellen Podcast, regte sich kaum wahrgenommene Kritik.

Budes Sprache und Gedankenwelt entspricht den aktuellen Schwingungen der politischen und wissenschaftlichen Wahrnehmung. Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) äußerte am 09. Dezember in der ZDF-Talkshow "Maybrit Illner" folgenden Satz: "Zuerst einmal müssen wir eine klare Botschaft an die Ungeimpften senden: Ihr seid jetzt raus aus dem gesellschaftlichen Leben. Deshalb machen wir konsequent 2-G – geimpft und genesen."

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am 15. Dezember: "Es braucht schnelle Verfahren und harte Strafen zur Abschreckung. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, aber es muss immer zivilisiert und gewaltfrei zugehen. Es darf keine Freiheit für die Feinde der Freiheit geben."

Auf die Frage von Moderator Frank Plasberg, in seiner ARD-Talkshow am 13. Dezember, ob er den Impfstatus seiner Gäste beim gemeinsamen Kaffeetrinken auch erfrage, antwortete der SPD-Politiker Michael Müller: "Ja, natürlich frage ich das. Jemand, der nicht geimpft ist, wird zu diesem Kaffeetrinken nicht kommen können."

Seit dem historischen Ende zweier Deutscher Staaten im Jahre 1990 zieht sich eine sichtbare Narbe durch das Land. Der ehemalige Grenzstreifen. Nun als natürliches grünes Mahnmal erzwungener politischer Trennung von Mensch und Gesellschaft. Was weiterhin vorhanden ist und auch die aktuelle Diskussion maßgeblich lenkt, ist die "Mauer in den Köpfen". Auch nach über dreißig Jahren Wiedervereinigung heißt es immer noch – "die da drüben", je nach Himmelsrichtung und Blickwinkel.

Die zurückliegenden zwei Jahre haben zwar keine neue politische, also betonierte Mauer ergeben. Dafür  aber sehr tiefe und nachhaltige Gräben der gesellschaftlichen Spaltung. Neue Traumatisierungen wurden gesetzt. Bei dem Blick über die mentale "Mauer in den Köpfen" zeigt sich aktuell schon, beunruhigend tief in seiner Anlegung, ein unmittelbarer neuer Graben.

Inwieweit diese Gräben die Stimmung bei den Menschen in den kommenden Jahren nachhaltig prägen werden, wird uns erst die Zukunft zeigen. Die Sprache der Gegenwart, seitens der Politik und einem Großteil der Medien, vertieft jedoch diese gesellschaftlichen Gräben jetzt schon auf bedenkliche und vor allem fahrlässige Weise.

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