Europa

Hat Macron recht oder nicht? FDP-Forum sucht nach neuen Wegen für EU-Russland-Beziehungen

Der Anspruch an Russland-Konferenzen des FDP-nahen Gaidar-Naumann-Forums ist hoch: Plattform für die kritischen Fragen der Gegenwart zu sein. Bei der letzten Sitzung wirkten jedoch "innovative" Vorschläge für die EU-Beziehungen zu Russland eher althergebracht.
Hat Macron recht oder nicht? FDP-Forum sucht nach neuen Wegen für EU-Russland-BeziehungenQuelle: www.globallookpress.com

von Wladislaw Sankin

Das Gaidar-Naumann-Forum findet seit 2013 statt, mit einer Pause im Krisenjahr 2014. Doch in den Folgejahren konnte sich die gemeinsame Konferenz der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und der russischen Yegor Gaidar Foundation als Plattform für kontroverse Debatten und kühne Fragstellungen etablieren – wie RT Deutsch in den Jahren 2016 und 2017 berichtete.

Diese Leistungen waren Anlass für Elena Bujlowa, die Vorsitzende der Yegor Gaidar Foundation, in ihrem Begrüßungswort zu behaupten, das Forum denke global und stelle "präventiv" Fragen der Gegenwart.

So lautete auch diesmal der Anspruch an die Konferenz mit dem Titel "Innovationen für die EU-Russland-Beziehungen in einer sich verändernden Welt". Der prominente Gast Dr. Ernst-Jörg von Studnitz, Ehrenvorsitzender des Deutsch-Russisches Forums und Botschafter a.D., zeichnete in seiner Eröffnungsrede das große geopolitische Spannungsfeld, das als Denkrahmen für die kommende Diskussion dienen sollte. Dieses entwickelt sich in erster Linie zwischen den USA und China, wobei es vor allem um die Frage geht, ob die EU in der Lage sein wird, ein gutes Verhältnis zu Russland aufzubauen.

Sicherheitspolitisch bleibt aber die EU auf Rücksichtnahme der amerikanischen Interessen angewiesen", schränkte der Diplomat ein.

Er räumte ein, dass die USA Russlands Anspruch, nach China und den USA dritte Weltmacht zu sein, nicht anerkennen und ihren Einfluss in Osteuropa explizit gegen Russland richten. Auf gewohnte Schuldzuweisungen in Richtung Russland verzichtete von Studnitz, sein Schlagwort lautete Interessenausgleich zwischen Russland und der EU angesichts gemeinsamer Differenzen gegenüber China und den USA.

Die prominentesten Vertreter der Gastgeber-Partei – Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, stellvertrende Vorstandsvorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung und Bundesjustizministerin a.D., und Alexander Graf Lambsdorff, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP im Bundestag – hoben in ihren Redebeiträgen jedoch wieder die "Krim-Frage" hervor:

Wir können nicht die Krim-Annexion und den Krieg im Donbass ausblenden, wenn wir uns hier treffen", sagte Leutheusser-Schnarrenberger.

"Das heißt aber nicht, dass wir den Russen die Krim-Annexion und den Krieg in der Ostukraine durchgehen lassen oder sofort die Sanktionen aufheben", sagte Lambsdorff.

Beide sprachen sich jedoch für die Fortsetzung der Gespräche mit Russland aus. "Wir sollten die Sprachlosigkeit überwinden und Räume für gegenseitige Beteiligung schaffen", so Leutheusser-Schnarrenberger. Die Annäherung ist aus Sicht von Annegret Bendiek von der Stiftung Wissenschaft und Politik allerdings nicht ohne Vorleistungen Russlands möglich. Es sei "keine gute Idee, von den eigenen Problemen durch eine aggressive, revanchistische Außenpolitik mit Desinformationskampagnen und hybriden Bedrohungen abzulenken", sagte sie.

Alexander Graf Lambsdorff, der sich als Teilnehmer zahlreicher deutsch-russischer Foren mit der russischen außenpolitischen Argumentation sehr gut auskennt, verteidigte aufs Neue bekannte westliche Standpunkte bei der Anerkennung des Kosovo und beim Druck auf die Ukraine beim EU-Assoziierungsabkommen: "Im Kosovo ging es um Tausende Tote und die Verhinderung des Genozids." "Die Ukraine traf eine souveräne Wahl", fügte er hinzu, und was im Donbass passiert, könne man nicht gutheißen, kritisierte er wieder Russland.

Er lieferte aber auch interessante Einblicke in die Besprechungen mit den Russen bei den sogenannten Moskauer Gesprächen, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. "Die sind zum Teil klüger als wir und außenpolitisch erfahren", räumte er ein, kritisierte jedoch die mangelnde Pluralität der Meinungen bei den russischen Gesprächspartnern. "Die sind sehr geschlossen, dagegen haben wir mit der Linkspartei und den anderen ein kunterbuntes Meinungsbild."

Die Initiative einer strategischen Annäherung der EU an Russland des französischen Präsidenten Emmanuel Macron betrachtete Lambsdorff nüchtern, ohne sich dafür oder dagegen zu entscheiden. Es gebe eine spezielle "deutsche Sicht", die von jahrhundertelangen engen Beziehungen zu Russland geprägt sei. Es gebe aber auch andere Sichtweisen, die es gleichfalls zu respektieren gelte, wie die französische, die sehr pragmatisch sei. "Aber was ist mit Warschau und Riga?", fragte er dabei rhetorisch.

Andere Herangehensweisen brachten Teilnehmer aus der Wirtschaft ein, auch aus FDP-Reihen. So verzichtete der Unternehmer und FDP-Abgeordnete Alexander Kubitz darauf, das "A-Wort" in den Mund zu nehmen, als er über die Krim-Problematik sprach. Das russische Vorgehen begründete er mit der fehlenden Wirtschafskraft – im Unterschied zu wirtschaftlichen Supermächten wie den USA, China oder sogar Indien, die politische Konflikte auf internationaler Ebene durch Handel und Wirtschaft lösen.

Russland ist das Krim-Problem sicherheitspolitisch und militärisch angegangen. Weil die Wirtschaftsstärke Russlands nicht auf das Level kam, auf dem sie sein sollte", so Kubitz.

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Daran sei aber auch die EU schuld, weil sie Russland trotz Annäherungsversuchen in den 1990er- und 2000er-Jahren im Endeffekt wenig eingebunden habe. Das digitale Zeitalter berge aber Chancen auf eine neue Kooperation der EU und Russlands.

Der Unternehmer Ulf Schneider, Geschäftsführer und Vorsitzender der Schneider Group, wurde vom Moderator eines der Panels zu den Optimisten gezählt, wahrscheinlich dem einzigen auf dem Forum. In einem Arbeitskreis setzt er sich für die engere Kooperation von EU und Eurasischer Wirtschaftsunion (EAWU) ein und hält die Perspektive eines gemeinsamen Wirtschaftsraums von Lissabon bis Wladiwostok für realistisch. Die EAWU sei stark an die EU angelehnt und werde nicht wie behauptet von Russland dominiert.

Das Projekt braucht Europa auch als Gegengewicht zum chinesischen Projekt der Neuen Seidenstraße, das China im Alleingang zum eigenen Nutzen realisiert, argumentiert Schneider.

Wir wollen, dass in Eurasien Stabilität herrscht", sagte er.

Konkret schlug der seit vielen Jahren in Russland tätige Unternehmer vor, russischen IT-Unternehmen freien Zugang zu europäischen Märkten zu bieten. Bei den EU-Vertretern beobachte er in Bezug auf die Kooperation mit der EAWU einen allmählichen Sinnenwandel, der es möglich macht, auch Skeptiker wie Polen mit ins Boot zu holen. Auf den Einwand der Umsetzung der Minsker Abkommen als Vorbedingung für weitere Schritte entgegnete er:

Minsk II muss nicht in einen Zusammenhang gebracht werden. Außerdem: Minsk betrifft nur ein Land der EAWU.

Die russische Seite war dieses Mal im Vergleich zu den Vorjahren weniger prominent vertreten. Dennoch dominierte ein Gast aus Russland die Veranstaltung als Moderator des ersten und als Teilnehmer des letzten Panels – der Wirtschaftswissenschaftler, Politiker und Gründer einer liberalen Partei Andrej Netschajew, der Anfang der 1990er-Jahre als erster Wirtschaftsminister der marktradikalen Jelzin-Regierung bekannt wurde.

Als russischer Proeuropäer sieht er Russland und die EU strategisch auf einer Seite. Aber da er mit der Entwicklung Russlands unter Präsident Putin nicht einverstanden ist, teilte Netschajew verbal immer wieder kräftig gegen seine Regierung aus. Russland sei auf direktem Wege in den Totalitarismus. "Bald wird in Russland das Internet abgeschaltet", sagte er halb im Scherz im Hinblick auf das Gesetz für souveränes Internet. An anderer Stelle verglich Netschajew Russland mit einem Kannibalen, mit dem man nicht allein in einem Raum bleiben dürfe.

Zu den Feldern der erwünschten Zusammenarbeit von EU und Russland zählten mehrere Teilnehmer einstimmig nur die Bekämpfung des Terrorismus und die Zusammenarbeit in Fragen der Migration. Allerdings ist für Netschajew auch die Suche nach neuen internationalen Formaten nötig, denn die alten wie die Parlamentarische Versammlung des Europarates PACE oder die Welthandelsorganisation WTO seien erschöpft und nicht handlungsfähig.

Mehrere Teilnehmer nannten die Zivilgesellschaft als wichtigsten Akteur der Zusammenarbeit – was allerdings zu erwarten war. "Die Regierung in Russland ist autoritär, aber die Gesellschaft nicht", sagte ein russischer Podiumsgast, der eine NGO leitet. Diese sei derzeit lebendig, lobte Leutheusser-Schnarrenberger.

Der Jugend soll beim Austausch mit der EU eine entscheidende Rolle zukommen. Alexander Graf Lambsdorff erwähnte die deutsche Initiative, für Russen unter 25 Jahren die Visumspflicht abzuschaffen, die am Tag davor zum ersten Mal in einer offiziellen Regierungserklärung festgehalten wurde. Diese Erleichterung gilt auch für die deutsche Seite. Zwar unterstützt die russische Diplomatie diese Schritte, doch werden in Russland Befürchtungen laut, die Visumsfreiheit könnte die Abwanderung junger, gut ausgebildeter Arbeitskräfte befeuern.  

Einige Gäste aus dem Publikum stellten kritische Fragen an die Podiumsteilnehmer. Doch zu einer lebhaften Diskussion führten sie nicht. Die Frage der umstrittenen EU-Sanktionen gegen Russland wurde auch von Wirtschaftsverteretern wie Ulf Schneider bewusst ausgeklammert. "Wir in unserem Arbeitskreis diskutieren sie nicht, denn jeder hat dazu seine feste Meinung", sagte er.

Obwohl einige Podiumsteilnehmer interessante Analysen aus ihrem Fachgebiet lieferten, konnten sie jedoch diesmal keine wirklich neuen Ideen für eine "innovative" Weiterentwicklung der EU-Russland-Beziehungen präsentieren. Es blieb der Eindruck, dass der derzeitige Stand der Beziehungen der EU zu Russland von der FDP-nahen Stiftung als gar nicht so schlecht oder höchstens minimal verbesserungswürdig empfunden wird.

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