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Ende einer Ära? Deutlicher Wahlsieg für Opposition bei Bürgermeisterwahl in İstanbul

Der Kandidat der Opposition hat die Bürgermeisterwahl in der türkischen Metropole İstanbul überraschend deutlich gewonnen. Deutsche Politiker sind begeistert; manche Kommentatoren sehen schon den Anfang vom Ende der Ära Erdoğan gekommen.
Ende einer Ära? Deutlicher Wahlsieg für Opposition bei Bürgermeisterwahl in İstanbul© Buelent Kilic

Überraschend klar hat Oppositionskandidat Ekrem Imamoğlu die Bürgermeisterwahl in İstanbul gewonnen und Präsident Recep Tayyip Erdoğan und seiner AKP damit eine herbe Niederlage beschert. Imamoğlu von der größten Oppositionspartei CHP erhielt am Sonntag nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu rund 54,03 Prozent der Stimmen.

Sein Gegner, der ehemalige Ministerpräsident und AKP-Kandidat Binali Yıldırım, kam auf rund 45,09 Prozent. Die beiden anderen Kandidaten hatten 0,88 Prozent bekommen. Der Chef der Hohen Wahlkommission Sadi Güven sagte, die Endergebnisse stünden spätestens am Montag fest.

Allerdings stünde vor der Verleihung des Mandats noch die übliche Frist für Einsprüche und Beschwerden, sagte Güven. Der Beschwerdeprozess hatte nach der Kommunalwahl vom März mehrere Wochen lang gedauert – unter anderem, weil der Abstand zwischen den beiden Kandidaten letztlich nur noch rund 14.000 Stimmen betragen hatte. Er endete damals mit der Annullierung der Wahl und dem Entzug des Mandats für Imamoğlu.

Diesmal lagen Anadolu zufolge knapp 780.000 Stimmen zwischen Imamoğlu und Yıldırım. Präsident Erdoğan beglückwünschte den vorläufigen Wahlsieger noch am Abend. Erdoğan sagte:

Der nationale Wille hat sich heute einmal mehr gezeigt. Ich gratuliere Ekrem Imamoğlu, der nach inoffiziellen Ergebnissen die Wahl gewonnen hat.

Auch AKP-Kandidat Yıldırım wünschte seinem Gegner viel Erfolg. Imamoğlu sagte vor Journalisten und Anhängern:

Das ist kein Sieg, sondern ein Neuanfang.

Die İstanbuler hätten den "Ruf der Demokratie verteidigt". Im Wahlkampf hatte er mit seiner vermittelnden Art und dem Slogan "Alles wird sehr gut" gepunktet und ein Zeichen gegen die Polarisierung im Land gesetzt. Nach seinem Sieg ging er auf Erdoğan zu und sagte, er wolle den Präsidenten bald besuchen. Imamoğlu sagte:

Ich bin bereit, in Harmonie mit ihnen zusammenzuarbeiten und verlange danach. Das verkünde ich vor allen İstanbulern.

Der Wahlsieger versprach den Bewohnern seiner Stadt, in İstanbul werde es nun:

Gerechtigkeit, Gleichheit, Liebe und Toleranz geben. Verschwendung, Luxus, Arroganz und Diskriminierung werden ein Ende haben.

Später sprach er im Bezirk Beylikdüzü auf seinem Wahlkampfbus stehend zu Tausenden Anhängern. Auf vielen Straßen der Stadt feierten die Menschen spontane Feste. Videos von Autokorsos und Straßentänzen tauchten in den sozialen Medien auf. In einem Flugzeug von İstanbul nach Bodrum klatschten die Menschen kurz vor Abflug, als sie vom Sieg Imamoğlus erfuhren.

Auf der zentralen Einkaufsstraße İstiklal versammelten sich zahlreiche Menschen und skandierten den Wahlkampfslogan "Alles wird sehr gut!"

Imamoğlu hatte schon die erste Bürgermeisterwahl am 31. März gewonnen. Die Wahlkommission (YSK) annullierte das Ergebnis jedoch Anfang Mai wegen angeblicher Regelwidrigkeiten und gab damit einem Antrag von Erdoğans AKP statt.

Die Bedeutung der Wahl ging weit über die Türkei hinaus und wurde international aufmerksam verfolgt. Imamoğlu war zum Symbol geworden für die Hoffnung, dass in der Türkei ein Wandel auf demokratischem Weg noch möglich ist. Einige sehen in ihm sogar schon den nächsten Präsidenten.

Deutsche Politiker fast aller Parteien nahmen das Ergebnis der Bürgermeisterwahl geradezu euphorisch auf. Staatsminister Michael Roth schrieb auf Twitter:

Was für ein Mut machendes Signal für eine demokratisch lebendige Türkei! 

Der SPD-Politiker Thomas Oppermann schrieb:

In İstanbul siegt die Demokratie: Auch beim zweiten Mal gewinnt Ekrem Imamoğlu die Bürgermeister-Wahl. Das ist unter den gegenwärtigen Bedingungen in der Türkei eine große Leistung. Klare Niederlage für Präsident Erdoğan. Glückwunsch an Imamoglu und die CHP.

Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) sagte:

İstanbul sendet ein unmissverständliches Signal, auch an Präsident Erdoğan und seine AKP. Es ist ein Signal von Demokratie und Rechtsstaat, von Pluralität und Vielfalt.

Und der Grünen-Politiker Cem Özdemir schrieb:

Neuauszählung, Wiederholung, Gleichschaltung der Presse, Verhaftungen, Einschüchterungen, aus Verzweiflung sogar mit der letzten Karte Öcalan! Nichts hat geholfen: Die AKP muss ihre Niederlage einräumen. İstanbul gehört der Opposition.

Für Erdoğan, der auf eine Wiederholung der Wahl gedrängt hatte, ist die erneute Niederlage ein schwerer Schlag. Die Millionenmetropole ist der wirtschaftliche Motor des Landes und hat hohe symbolische Bedeutung. Fünfundzwanzig Jahre lang war sie von islamisch-konservativen Bürgermeistern regiert worden, unter anderem von Erdoğan selbst. Manche Kommentatoren werten die Wahl als das "Anfang vom Ende" der Ära Erdoğan.

Die Wahlbeteiligung lag nach Angaben von Anadolu bei 84,4 Prozent und damit etwa auf dem gleichen Niveau wie bei der ersten Wahl Ende März. Wahlberechtigt waren rund 10,5 Millionen Menschen. Der Wahltag verlief nach Einschätzung von Beobachtern weitestgehend geordnet.

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(rt deutsch/dpa)

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