Europa

"Von Russen schimpfen gelernt": Ukrainische Delegation beschuldigt deutsche Europarats-Abgeordnete

"Wir oder die" – vor diese Wahl stellen die ukrainischen Europarats-Abgeordneten ihre Kollegen, wenn es um Russland geht. Jüngst sorgte die Frage der Mitgliedschaft Russlands im Europarat für Streit zwischen der deutschen und ukrainischen Delegation.
"Von Russen schimpfen gelernt": Ukrainische Delegation beschuldigt deutsche Europarats-Abgeordnete© Facebook Borislav Bereza

Borislaw Berjosa, Abgeordneter der ukrainischen Werchowna Rada, hat sich über die Position der deutschen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) beschwert. "Die Deutschen haben ihre ukrainischen Kollegen beleidigt", sagte Berjosa am Montag nach einer informellen Sitzung, die unter Ausschluss der Presse stattgefunden hatte.

"Sie haben uns grob beschimpft, darunter auch mit Kraftausdrücken", wurde Berjosa von der Nachrichtenagentur Ukrinform zitiert. Dem Rada-Abgeordneten zufolge wurde in der Sitzung über mögliche Änderungen an der Geschäftsordnung der Parlamentarischen Versammlung mit dem Ziel beraten, eine Rückkehr der russischen Delegation in die PACE zu ermöglichen.

Wir haben den Deutschen die Hauptfrage gestellt: Was ist für Euch wichtiger – Geld oder Prinzipien? (...) Wir fragten: Warum sind Sie bereit, Russland die 12.000 ukrainische Leben zu vergeben? Danach begann die Schimpftirade der Deutschen", sagte Berjosa.

Insbesondere der Leiter der deutschen Delegation, Andreas Nick, habe sich wie ein Mann verhalten, der anscheinend schon seit sehr langer Zeit mit Russland kommuniziert und die Fähigkeiten eines Lumpenpacks übernommen habe, so Berjosa. "Das grobe Vokabular und das Verhalten der Deutschen haben jeden beleidigt", schloss der Vertreter der ukrainischen Delegation.

Nach dem Beitritt der Republik Krim zu Russland im März 2014 wurde der russischen Delegation in der PACE wegen der angeblichen "Okkupation" der Halbinsel das Stimmrecht entzogen. Später wurden die Sanktionen verschärft. Russland weigerte sich, unter diesen Bedingungen zu kooperieren, blieb den Sitzungen fern und stellte die Zahlung der Mitgliedsbeiträge ein.

Im Januar reduzierte die PACE die Mitgliederzahl einiger Ausschüsse, darunter die der ukrainischen Abgeordneten im Ausschuss für die Geschäftsordnung, der laut der ukrainischen Presse den Weg zur Rückkehr Russlands in die Versammlung bereiten könnte. Der ukrainische Delegationschef Wladimir Arjew bezeichnete dieses Novum als "kleinliche Rache für die prinzipielle Position Kiews".

Ukrainischer Abgeordneter: Ex-Mitglied des Rechten Sektors

Zuvor hatte die Ukraine mit dem Ausstieg aus der PACE gedroht, sollten die Rechte Russlands in der Organisation wiederhergestellt werden. Der Vertreter der ukrainischen PACE-Delegation Borislaw Berjosa gehört zu den Falken der Kiewer Politik. Nach der Beteiligung an den Maidan-Protesten schloss sich der ehemalige Buchhändler zunächst der rechtsradikalen paramilitärischen Miliz, später der Partei "Rechter Sektor" an und blieb bis zu seiner Wahl ins Parlament Ende 2014 ihr Sprecher.

Der Abgeordnete macht regelmäßig mit radikalen Ideen von sich reden. So schlug er im Februar 2017 vor, Bewohnern in den nicht von Kiew kontrollierten Gebieten das Wahlrecht abzuerkennen und dieses an einen Ukrainisch-Test zu knüpfen. Bei der PACE sorgt die ukrainische Delegation durch provokatives Verhalten für Aufsehen. So zog ein Abgeordneter bei einer Sitzung im März 2018 Gummihandschuhe an – um nach dem Skripal-Attentat "nicht von den Russen vergiftet zu werden".

Deshalb ist es geboten, Schilderungen Berjosas mit großer Vorsicht zu betrachten. Andreas Nick von der CDU/CSU, der die deutsche Delegation leitet, ist bisher noch nie durch eine "prorussische" Position aufgefallen. Bei der Abstimmung über den Vorfall von Kertsch wies er Russland einseitig die Schuld an der angeblichen Eskalation zu. Auf keinem seiner Social-Media-Kanäle kommentierte er den mutmaßlichen Streit mit den Ukrainern.

Im Gegenteil, in der PACE wird gewöhnlich scharfe Kritik an Russland geübt. Den Krieg in der Ostukraine, den die Maidan-Regierung unter Einsatz schwerer Militärtechnik gegen die im April 2014 ausgerufene Volksrepublik Donezk begonnen hat, wird von den meisten Abgeordneten Russland angelastet.

Wessen Opfer sind die Toten in der Ostukraine?

Es ist deshalb fraglich, ob die Fake-Zahlen des ehemaligen Propaganda-Chefs des Rechten Sektors, der von "12.000 ukrainischen Opfern der russischen Aggression" fabulierte, bei der deutschen Delegation ein kritisches Echo hervorrufen. Der Krieg hat laut der Menschenrechtsbeobachtermission des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) in Kiew (Stand Ende Dezember 2018) tatsächlich 12.447 Todesopfer gefordert, nur sind sie nicht Russland anzulasten.

Unter ihnen waren 3.320 Zivilisten, 3.813 ukrainische Militärangehörige und 5.314 Rebellen, wobei die Zivilisten zu einem überwältigenden Teil aufgrund der rücksichtslosen Kriegsführung der ukrainischen Streitkräfte auf dem Territorium der nicht anerkannten Republiken Donezk und Lugansk starben. Die offiziellen Angaben der Republiken sind weitaus höher und liegen allein bezüglich der Zivilisten bei über 6.000 Menschen, darunter knapp 100 Kinder. Damit gehen die meisten Opfer auf das Konto der Regierung in Kiew.

Ende Mai wird das Ministerkomitee des Europarats die Möglichkeit prüfen, Russland wegen der Nichtzahlung der Mitgliedsbeiträge für zwei Jahre seiner Vertretungsrechte in der Organisation zu berauben. Bis heute beläuft sich die Verschuldung Russlands beim Europarat auf 32 Millionen Euro.

Die PACE will keinen "Ruxit"

Der Hintergrund des Konflikts ist der Wunsch der PACE-Führung, den drohenden Ausstieg Russlands aus dem Europarat zu verhindern. Dafür setzen sich die französische und die deutsche Delegation tatsächlich ein. Der Generalsekretär des Europarates Thorbjørn Jagland verglich Russlands drohenden Ausstieg sogar mit dem Brexit:

Ich glaube nicht, dass sich viele Leute vorstellen können, was für ein Schock es für Europa sein könnte, wenn wir Brexit und Ruxit zur gleichen Zeit bekommen. Aber das könnte bald passieren", warnte Jagland.

Seiner Meinung nach ist der Europarat die einzige Institution, in der Russland "an die europäische Rechtsordnung gebunden" ist. Wenn Russland aus dem Rat austritt, dann, so Jagland, wird Europa ein anderes Russland sehen.

"Wir werden eine neue Trennlinie in Europa haben", fügte der Leiter der Organisation hinzu. Laut Jagland besteht der einzige Weg, die Situation zu lösen, darin, der Russischen Föderation das Wahlrecht in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) zurückzugeben.

Ukrainischer Chefdiplomat: Kriminelle gehören ins Gefängnis

Wenig diplomatisch fiel am Dienstag die Reaktion aus Kiew auf diese Warnung aus. So kommentierte der ukrainische Außenminister Pawel Klimkin die Erklärung des Generalsekretärs des Europarates Jagland zur Frage der russischen Mitgliedschaft im Europarat auf seinem Twitter-Account:

Herr Jagland ist der Ansicht, dass Russland vollständig in den Europarat zurückgeführt werden muss, da es sonst eine Trennlinie in Europa gebe. Wenn wir dieser Logik folgen, sollten wir Kriminelle aus dem Gefängnis entlassen, denn das ist eine Trennlinie in der Gesellschaft.

Nachtrag: Der Chef der deutschen Delegation Andreas Nick sagte am Mittwoch in einem Interview mit der Deutschen Welle, die Vorwürfe der ukrainischen Delegation, Deutschland diene Russlands Interessen, seien „absurd“. Die Verbreitung derart verleumderischer Behauptungen sei ein klarer Versuch, den guten Beziehungen zwischen Deutschland und der Ukraine zu schaden. Die deutsche Position bestehe darin, dass Russland ein Mitglied im Europarat „mit allen Rechten und Pflichten“ bleiben muss, so Nick.

Mehr zum ThemaRote Karte für Krieg und Nationalismus: Warum die Ukraine Poroschenko abwählt

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.