Europa

20 Jahre seit NATO-Angriff auf Jugoslawien: Das "Račak-Massaker" (I) - Teil des NATO-Drehbuchs

Zwei Monate vor Beginn des NATO-Angriffskrieges gegen Jugoslawien am 24. März 1999 bewirkte das "Massaker von Račak" in der westlichen Öffentlichkeit einen Aufschrei der Empörung. Zugleich lieferte es Washington und der NATO den lang ersehnten "humanitären" Vorwand.
20 Jahre seit NATO-Angriff auf Jugoslawien: Das "Račak-Massaker" (I) - Teil des NATO-DrehbuchsQuelle: Reuters

von Doris Pumphrey

Das "Massaker von Račak" gilt als Schlüsselereignis auf dem Weg in den Krieg der NATO gegen Jugoslawien. Laut Washington Post hat Račak "„die Balkan-Politik des Westens in einer Weise geändert, wie Einzelereignisse dies selten tun".

Mitglieder der sezessionistischen UCK-Milizen führen am Morgen des 16. Januar 1999 internationale Journalisten und Vertreter der OSZE-Kosovo-Überwachungsmission (KVM) zu einem Hohlweg am Rande des Dorfes Račak. Etwa 20 Leichen liegen dort nebeneinander. Als etwas später der Leiter der OSZE Mission, der US-Amerikaner William Graham Walker eintrifft, steht für ihn das Urteil sofort fest: Mit erregter Stimme spricht er von einer "Hinrichtung unbewaffneter albanischer Zivilisten" und erklärt: "Ich zögere nicht, die jugoslawischen Sicherheitskräfte dieses Verbrechens zu beschuldigen". Fotos von den angeblich hingerichteten albanischen Zivilisten gehen um die Welt.

US-Präsident Clinton verurteilt das "Massaker" in der "schärfst-möglichen Form" und spricht von einem ”vorsätzlichen und wahllosen Akt des Mordes”.

In einer Erklärung des Auswärtigen Amtes heißt es: "Die Verantwortlichen müssen wissen, dass die internationale Gemeinschaft nicht bereit ist, die brutale Verfolgung und Ermordung von Zivilisten im Kosovo hinzunehmen.“ Für den Grünen-Außenminister Joseph Fischer ist Račak "ein Wendepunkt".

Die NATO beruft sofort eine Dringlichkeitssitzung ein. Madeleine Albright verlangt drei Tage später als "Bestrafung" die Bombardierung Jugoslawiens.

Die jugoslawische Regierung weist die Anschuldigungen kategorisch zurück und spricht von einer Manipulation: Die UCK habe die Leichen von ihren am Tag zuvor gefallen Kämpfern eingesammelt und sie so in dem Hohlweg arrangiert, dass sie wie zivile Opfer einer Massenhinrichtung wirken mussten. In Račak war es am Vortag zu einer Polizeiaktion gegen UCK-Terroristen gekommen.

Mit Hilfe der Medien wird der nötige Druck auf zögerliche Politiker und die Bevölkerungen der NATO-Länder ausgeübt, um einen Angriff der NATO auf Jugoslawien zu rechtfertigen: Serbische Sicherheitskräfte hätten in der Art von "Todesschwadronen" Račak überfallen, die Männer an den Rand des Dorfes getrieben und mit Genick- und Kopfschüssen hingerichtet. Einige seien vorher noch gefoltert worden.

Schon wenige Tage später bringen große französische Tageszeitungen Informationen, die William Walkers Version in Frage stellen.

Über die Geschehnisse berichtet der Le Figaro-Korrespondent Renaud Girard, Račak, bekannt als Hochburg der sezessionistischen UCK Milizen, sei von serbischer Polizei am 15. Januar im Morgengrauen umstellt worden. Offensichtlich habe die serbische Polizei nichts verheimlichen wollen, da sie die OSZE von der bevorstehenden Aktion benachrichtigte, die mit ihren Vertretern das Dorf von einem Hügel aus überblicken konnten. Auch ein Kamerateam des TV-Ablegers der Nachrichtenagentur AP habe den ganzen Tag gefilmt.

Die Filmaufnahmen, die der Le Figaro-Korrespondent einsehen konnte, zeigen, wie serbische Polizisten am Morgen des 15. Januar "an den Hauswänden entlangschleichend" in Račak, "eindringen. Es kommt zu einem Feuergefecht, als sie von der UCK angegriffen werden, die aus Gräben auf dem Hügel schießen. Auf der Anhöhe des Dorfes werden die Kämpfe intensiver. Platziert neben der Moschee am Abhang, merken die AP-Journalisten, dass die umzingelten UCK-Kämpfer verzweifelt versuchen, mit Gewalt auszubrechen. Mehr als 20 sollen es auch geschafft haben."Die Aufnahmen gaben keinerlei Hinweis auf ein mögliches Massaker.

Laut Figaro verlässt um 15:30 Uhr die serbische Polizei, gefolgt vom AP Fernsehteam, das Dorf.

"Um 16.30 Uhr durchquert ein französischer Journalist das Dorf und trifft drei orangefarbene Fahrzeuge der OSZE. Die internationalen Beobachter unterhielten sich ruhig mit drei albanischen Zivilisten in fortgeschrittenem Alter. Sie waren auf der Suche etwaiger verwundeter Zivilisten. Als der Journalist um 18 Uhr zurückkommt, sieht er, wie die (internationalen) Beobachter zwei Frauen und zwei Greise, die leicht verwundet sind, mit sich fortführen. Die Beobachter, die nicht übermäßig besorgt zu sein scheinen, geben dem Journalisten keine besonderen Hinweise. Sie erklären sich nur für ‘unfähig, eine Bilanz der Kämpfe zu geben‘."

Die OSZE-Vertreter, die den ganzen Tag in Račak waren, hatten demnach bis zum Abzug der serbischen Polizei zwar Kämpfe zwischen ihr und der UCK, aber keine Anzeichen eines "Massakers an Zivilisten" beobachtet.

Zeugenaussagen von Albanern ergeben, laut Figaro, ein völlig anderes Bild. Alle berichten die gleiche Version: "gegen Mittag sei Polizei ins Dorf eingedrungen, hätte die Männer von den Frauen getrennt und sie auf die umliegenden Hügel gebracht, wo sie diese ohne irgendeinen Prozess erschossen hätte."

In der folgenden Nacht hatten UCK-Milizen das Dorf wieder eingenommen. Am Morgen des 16. Januar führen sie die internationalen Journalisten und OSZE-Beobachter zum Hohlweg mit den Leichen.

Der Figaro-Korrespondent Renaud Girard fragt:

"Was ist nun wirklich passiert? Sollte die UCK nachts die Leichen derer, die tatsächlich durch serbische Geschosse starben, gesammelt haben, um eine kaltblütige Hinrichtung zu inszenieren? Eine beunruhigende Tatsache: die Journalisten finden am Samstagmorgen nur ganz wenige Geschosshülsen in der Umgebung des scheinbaren Massakers. Sollte die UCK intelligenterweise versuchen eine militärische Niederlage in einen politischen Sieg umzuwandeln? Nur eine glaubwürdige internationale Untersuchung könnte Zweifel ausräumen. "

Nach seinen eigenen Nachforschungen kommen dem Le Monde-Korrespondenten im Kosovo, Christoph Châtelot, erhebliche Zweifel, denn die Darstellung eines Massakers in Račak wirke zu perfekt:

"Wie hätte die serbische Polizei die Gruppe von Männern sammeln und ruhig zum Exekutionsplatz führen können, während sie ununterbrochen unter UCK-Feuer lag? Wieso konnte der am Rande von Račak gelegene Straßengraben der Aufmerksamkeit der mit der Umgebung vertrauten Einwohner entgehen, die vor Anbruch der Nacht wieder in ihrem Dorf waren? Oder den OSZE-Beobachtern, die sich mehr als zwei Stunden in dem Ort aufhielten? Warum so wenig Patronen rund um die Leichen, so wenig Blut in jener Senke, wo doch angeblich 23 Menschen aus nächster Nähe mit einigen Kopfschüssen getötet worden sein sollen? Waren nicht eher die Körper der in den Kämpfen mit der Polizei getöteten Albaner in dem Graben zusammengetragen worden, um ein Horror-Szenario zu schaffen, das mit Sicherheit einen entsetzlichen Effekt auf die öffentliche Meinung haben würde?"

Die Berliner Zeitung berichtete später über Châtelots Erlebnisse in Račak. Nachdem die serbische Polizei nach Beendigung des Kampfes mit der UCK das Dorf verlassen hatte, ging dieser zusammen mit den OSZE-Vertretern in das Dorf. Sie sahen vier Tote und hörten von einem weiterem. Abgesehen von der militärischen Auseinandersetzung im Bürgerkrieg sei nichts Außergewöhnliches vorgefallen. Das teilte Châtelot auch seinen Kollegen mit, als er am Abend nach Pristina zurückkehrte.

Umso erstaunter war der Le Monde-Korrespondent über die Diskrepanz zwischen dem, was er an der Seite der OSZE-Vertreter in Račak gesehen hatte und dem Report, den die OSZE-Mission am folgenden Tag veröffentlichte: Man habe Beweise gefunden für "willkürliche Verhaftungen, Tötungen und Verstümmelungen von unbewaffneten Zivilisten". In einem Hohlweg oberhalb Račaks seien 23 erwachsene Männer, "viele aus extremer Nahdistanz erschossen" worden, außerdem vier erwachsene Männer, anscheinend auf der Flucht. 18 Leichen habe man im Dorf entdeckt, darunter auch eine Frau und einen Jungen. Laut Berliner Zeitung erklärte Châtelot: "Ich kann das Rätsel nicht lösen."

Nach einem Massaker hätte man von der OSZE nun eine ernsthafte Untersuchung erwarten können. Nichts dergleichen geschah. Wie der Le Figaro-Korrespondent Renaud Girard berichtete, ließ Walker das Gelände nicht absperren, um Beweismittel sicherzustellen. Im Gegenteil: "Er trampelte selbst herum und ließ die Journalisten an den Leichen fummeln, Souvenirs sammeln und Spuren verwischen."

Laut Zeitungsberichten verbrachte Walker mehr als eine halbe Stunde in geheimen Verhandlungen mit Führern der UCK in Račak, ging aber kein einziges Mal zur nahegelegenen serbischen Polizeistation, um auch ihre Informationen einzuholen, wie es für eine objektive Aufklärung geboten wäre.

(Ende Teil I - Teil II können Sie hier nachlesen.)

RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.