Europa

Der Vertrag von Aachen: Frankreich und Deutschland formen militärisches Friedensbündnis

Gestern unterzeichneten Emmanuel Macron und Angela Merkel den Vertrag von Aachen. Doch für die Probleme, die aktuell die EU herausfordern, bietet das Vertragswerk keine Strategie an. Die Antwort auf die sozialen Missstände berührt die militärische Kooperation.
Der Vertrag von Aachen: Frankreich und Deutschland formen militärisches FriedensbündnisQuelle: Reuters

Am 22. Januar 1963 begründete der Élysée-Vertrag die Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland. Gestern, also genau 56 Jahre später, unterzeichneten Bundeskanzlerin Merkel und der französische Präsident Macron den "Vertrag von Aachen". Dieser soll die Freundschaftsbande zwischen Berlin und Paris den aktuellen Entwicklungen anpassen, bleibt dabei jedoch größtenteils vage, ohne dass die drängenden gesellschaftlichen Herausforderungen Eingang in den Vertrag gefunden hätten. Während des Festakts machten sich diese jedoch bemerkbar.

Wir bekräftigen, dass wir die großen Herausforderungen unserer Zeit Hand in Hand angehen wollen", betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel während des Festakts anlässlich der Vertragsunterzeichnung im Aachener Rathaus.

Zeitgleich demonstrierten etwa 120 "Gelbwesten" in Sichtweite des Aachener Rathauses, um unter anderem für billigere Mieten und mehr soziale Gerechtigkeit zu protestieren.

Selbst hier, hinter meterdicken Mauern, ist Macron vor den 'Gelbwesten' nicht sicher, auch wenn die Polizei sagt, dass es überwiegend Deutsche seien, die da auf dem Marktplatz demonstrieren", heißt es etwa bei der dpa.

Unter dem Stichwort "Populismus" fanden die Sorgen der Gelbwesten, mit denen sich viele EU-Bürger identifizieren können, Eingang in das Aachener Vertragswerk. Es seien Populismus und Nationalismus, die das europäische Projekt gefährdeten, lautet die Analyse aus Berlin und Paris. Dem sozialen Zusammenhalt sei demnach am besten durch wirtschaftlichen Erfolg und Bildung gedient:

Wir wissen: Sozialen Zusammenhalt können wir nur sichern, wenn wir wirtschaftlich erfolgreich sind, wenn Bildung eine Schlüsselrolle spielt und wenn die Kultur uns die Luft zum Atmen gibt", zeigte sich Merkel überzeugt.

Mehr zum Thema - „Wir sind gegen unsere Politiker!": Gelbwesten-Demo bei Treffen von Merkel und Macron in Aachen

Es ist dieses europäische Projekt, das es demzufolge nun gilt durch eine Reihe von – in erster Linie – Absichtserklärungen auf ein neues Fundament zu stellen. Sabine von Oppeln, Expertin für deutsch-französische Beziehungen an der Freien Universität Berlin, verwies derweil auf ein Dilemma bei der Reform der Eurozone:

Die deutsche Seite reagiert nicht auf Macrons Ideen, die natürlich auch von (französischen) nationalen Interessen getragen werden.

Der Vertrag selbst ist in sieben Kapitel unterteilt, von denen sich fünf mit den Inhalten der Zusammenarbeit befassen. So soll die Zusammenarbeit im Bereich "Europäische Angelegenheiten" vertieft werden, was anhand zweier Artikel erläutert wird. "Kultur, Bildung, Forschung und Mobilität" (vier Artikel) zählen ebenso zu den Themen, die man gemeinsam gestalten möchte, wie die "Regionale und grenzüberschreitende Zusammenarbeit" (fünf Artikel). Kapitel fünf trägt den Titel "Nachhaltige Entwicklung, Klima, Umwelt und wirtschaftliche Angelegenheiten" und weist ebenfalls fünf Unterartikel auf.

Nur in einem Bereich der Kooperation wird man zwischen den Zeilen leidenschaftlicher und inhatlich ausführlicher. Es ist Kapitel zwei des Vertragswerks, der Themenkomplex "Frieden, Sicherheit und Entwicklung", dem sich mit sechs an der Zahl die meisten Vertragsartikel widmen.

Es ist das Kapitel, welches national wie international die meiste Aufmerksamkeit genießt. Auch Bundeskanzlerin Merkel hob während ihrer Festrede dessen Stellenwert hervor:

Gewollt ist, dass der Vertrag bereits im zweiten Kapitel die Fragen von Frieden und Sicherheit aufwirft. Eingebunden in unsere gemeinsamen Systeme der kollektiven Sicherheit verpflichten wir, Deutschland und Frankreich, uns, im Falle eines bewaffneten Angriffs auf die jeweiligen Hoheitsgebiete, jede in unserer Macht stehende Hilfe und Unterstützung zu geben. Dies schließt militärische Mittel ein.

Von wem ein solcher "bewaffneter Angriff auf die jeweiligen Hoheitsgebiete" ausgehen soll, bleibt bei Merkel unerwähnt. Doch neben dem wenig wahrscheinlichen Szenario eines Angriff geht es laut Vertrag beim Thema Frieden, Sicherheit und Entwicklung auch darum, die Fähigkeit zu stärken, "eigenständig zu handeln".

Beide Staaten vertiefen ihre Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Außenpolitik, der Verteidigung, der äußeren und inneren Sicherheit und der Entwicklung und wirken zugleich auf eine Stärkung der Fähigkeit Europas hin, eigenständig zu handeln. Sie konsultieren einander mit dem Ziel, gemeinsame Standpunkte bei allen wichtigen Entscheidungen festzulegen, die ihre gemeinsamen Interessen berühren, und, wann immer möglich, gemeinsam zu handeln.

Sowohl die Bundeswehr als auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg brachten dann auch ihr Wohlwollen zum Ausdruck. In einer schriftlichen Erklärung erklärte Stoltenberg, dass beide Länder das transatlantische Bündnis über die Vorhaben im Bereich Sicherheit und Verteidigung informiert hätten. 

Und während man nicht müde wird, zu betonen, dass man der NATO durch die militärische Zusammenarbeit keine Konkurrenz zu machen gedenkt, lässt Angela Merkel keinen Zweifel daran, wohin die Reise gehen soll:

Wir verpflichten uns zur Entwicklung einer gemeinsamen militärischen Kultur, einer gemeinsamen Verteidigungsindustrie und einer gemeinsamen Linie zu Rüstungsexporten. Damit wollen wir unseren Beitrag zur Entstehung einer europäischen Armee leisten.

Koordiniert wird all dies durch "den Deutsch-Französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrat als politisches Steuerungsorgan für diese beiderseitigen Verpflichtungen", der demzufolge regelmäßig auf höchster Ebene zusammentreten wird. Damit rückt die Vision der europäischen Armee noch ein Stück näher Richtung Realität und bereits im Juli 2018 erklärte Macron, gegen wen es sich mit der EU-Armee zu verteidigen gilt.

Wir müssen uns gegenüber China, Russland und selbst den USA verteidigen", lautet die sicherheitspolitische Marschrichtung Macrons.

Insbesondere Russland, weiß Macron, sollte die neue militärische Aufmerksamkeit gelten.

Russland liegt in der Nähe unserer Grenzen und hat gezeigt, dass es bedrohlich sein könnte", ist sich das französische Staatsoberhaupt sicher.

Europa müsse in der Lage sein, sich selbst zu verteidigen, ohne "allein auf die USA zu vertrauen". Bereits 2017 erwähnte Macron in diesem Zusammenhang auch den Kampf gegen den Aufstieg des heimischen Nationalismus und Populismus. Dem müsse ein "stärkeres, schützendes Europa" entgegengestellt werden.

Dass "der Frieden in Europa prekär" sei, ist auch der Geist, den nun der Vertrag von Aachen atmet. Kritiker befürchten derweil, dass sich die Wahrung des Friedens auch auf unliebsame soziale Entwicklungen im Inneren erstrecken könnte.

Für Macron und Merkel gilt es gesellschaftlich vor allem dem Populismus und Nationalismus die Stirn zu bieten.

In einer Zeit, in der Europa vom Nationalismus bedroht ist, der von innen heraus wächst (...). Deutschland und Frankreich müssen ihrer Verantwortung gerecht werden und den Weg nach vorne weisen," erklärt Macron vage.

Doch auch Afrika soll in den Genuss eines stärkeren Engagements der EU kommen. Für die einen mag es wie eine Drohung klingen, für Macron und Merkel ist das umfangreiche Maßnahmenbündel Ausdruck gelebter EU-Werte:

Beide Staaten setzen sich dafür ein, eine immer engere Partnerschaft zwischen Europa und Afrika zu errichten, indem sie ihre Zusammenarbeit in den Bereichen der Entwicklung des privaten Sektors, der regionalen Integration, der Bildung und Berufsbildung sowie der Gleichstellung der Geschlechter und der Stärkung und Selbstbestimmung von Frauen mit dem Ziel stärken, soziale und wirtschaftliche Perspektiven, Nachhaltigkeit, gute Regierungsführung sowie Krisenprävention, Konfliktbewältigung, auch durch friedenserhaltende Maßnahmen und Konfliktnachsorge, zu verbessern.

Derweil bezeichnen Kritiker den Vertrag als "geradezu kaiserliches Geschenk an die deutsche Rüstungsindustrie". So werde es "über die Zusammenarbeit mit Frankreich (…) in Zukunft Rechtssicherheit für alle Exporte gerade auch in Krisengebiete wie Saudi-Arabien geben". Jetzt könne Merkel

(…) mit dem Verweis auf den Aachener Vertrag sogar die Richtlinien für gemeinsame Rüstungsprojekte komplett aufweichen. Aachen bedeutet, dass die staatlich geförderten mörderischen Profite der Rüstungsindustrie mit der Gloriole der deutsch-französischen Freundschaft umgeben werden. Auch, um jede Kritik an diesem Anschlag auf Sicherheit und Frieden in Europa zu unterbinden.

Die Linke kritisiert, dass der Vertrag von Aachen vor allem dem "militärisch-industriellen Komplex" in die Hände spiele.

Der Aachener Vertrag steht jedoch im Zeichen eines militärisch-industriellen Komplexes in Europa und weltweiter militärischer Interventionen, die zu Staatenzerfall, Terror und Flucht führten", ist der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Fabio De Masi, überzeugt.

Bemerkenswert an der Unterzeichnung des Vertrags ist auch, dass das Aachener Dokument zudem darauf abzielt, der Bundesregierung den Weg zum ständigen Mitglied im UN-Sicherheitsrat zu ebnen. Ein solches Szenario im Sicherheitsrat würde den Einfluss deutlich zugunsten des transatlantischen Bündnisblocks bestehend aus den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland verschieben.

Mehr zum Thema - Friedenskämpfer des Tages: Maas kündigt "Widerstand" gegen US-Mittelstreckenraketen an

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.