Europa

Ex-US-Diplomat: Poroschenko und USA wollen mit Abspaltung ukrainischer Kirche Russland schwächen

Das US State Department hat sich laut dem ehemaligen US-Diplomaten Jim Jatras voll hinter die Führung Poroschenkos gestellt, der seine fragliche Wiederwahl sichern und zugleich Russland einen Schlag mit herben Konsequenzen verpassen möchte.
Ex-US-Diplomat: Poroschenko und USA wollen mit Abspaltung ukrainischer Kirche Russland schwächenQuelle: AFP

von Ali Özkök & Wladislaw Sankin

Jim Jatras ist ein in Washington ansässiger Anwalt und politischer Analyst. Zuvor war er als leitender außenpolitischer Berater der republikanischen Partei im US-Senat tätig. Er war US-Diplomat in Mexiko und diente in der Abteilung für sowjetische Angelegenheiten im US-Außenministerium.

Welche religiösen und vielleicht auch politischen Gründe haben dazu beigetragen, dass die Ukraine Ihrer Meinung nach den Tag vor den orthodoxen Weihnachten gewählt hat, um einen sogenannten Tomos (ein wichtiger Erlass – wie die Zubilligung einer Autonomie) vom Patriarchen in Konstantinopel einzuholen?

Für Poroschenko ist der Zeitpunkt von entscheidender Bedeutung. Mit der Gründung einer eigenen "Kirche" will er sich rechtzeitig vor dem ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen im März 2019 als neuen Heiligen Wladimir, der bedeutendste Fürst der Kiewer Rus, der unter anderem die Christianisierung der Rus initiierte, oder vielleicht als neuen Heinrich VIII. darstellen. Angesichts der starken Unterstützung des US-Außenministeriums für die Schritte – das den Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus ermutigt hat, Tomos zu erteilen – können wir auch auf eine wohlwollende Haltung des State Departments zur Wiederwahl von Poroschenko schließen.

Mehr zum ThemaOrthodoxe Nationalkirche in der Ukraine für eigenständig erklärt

Welche weiteren innen- und machtpolitischen Gründe weisen darauf hin, dass Poroschenko versucht, die an sich religiöse Frage zu eigenen Gunsten zu missbrauchen?

In Bezug auf die Lebensqualität der Ukrainer und die Lebensfähigkeit des ukrainischen Staates hat Poroschenko nicht viel vorzuweisen. Er ist in diesen Fragen gescheitert. Daher kommt auch sein schlechter Ruf in den Umfragen und die Unsicherheit, dass er bei den Wahlen sogar in eine zweite Runde gehen müsste, um zu gewinnen.

Um seinen Ruf aufzupolieren, bleiben Poroschenko nur politische Stunts, wie den Überfall in der Straße von Kertsch im November oder vielleicht eine Provokation im Donbass. Diese sind jedoch riskant.

Trotz einer posaunenden rhetorischen Unterstützung aus dem Westen hat er Grund zu befürchten, dass er, wenn er zu hart Druck macht und sich verkalkuliert, am Ende wie Micheil Saakaschwili 2008 ohne Unterstützer einsam auf seiner Krawatte kauen könnte. Putin hat gesagt, dass eine neue Provokation gegen Kertsch schwerwiegende Folgen für die "Staatlichkeit" der Ukraine hätte. Deshalb scheint es, dass Poroschenko sich für die spirituelle Aggression gegen seine eigenen Landsleute entschieden hat, als eine "politische Leistung", die etwas weniger riskant ist.

Inwieweit spielt diese Entwicklung in die Karten der USA und warum sollte ein griechischer Patriarch in Istanbul ein Interesse an der Schwächung Russlands haben?

Die politischen Interessen von Poroschenko stimmen mit der Politik des US State Departments und mit den Ambitionen von Patriarch Bartholomäus überein, der zum Papst der Orthodoxen aufsteigen möchte. Der Grund, warum ich das State Department anstelle der US-Regierung nenne, ist, weil vor allem diese Institution die alleinige Führung in dieser Frage übernimmt. Es gibt kaum Hinweise darauf, dass andere Organe des US-Staates beteiligt sind oder ein Interesse daran haben, obwohl natürlich die Geheimdienstgemeinschaft niemals ausgeschlossen werden sollte.

US-Außenminister Mike Pompeo, der US-Sonderbeauftragte für die Ukraine Kurt Volker und die US-Botschafterin Marie Yovanovitch haben sich für die Autokephalie ausgesprochen, von der sie wahrscheinlich nicht einmal wissen, was sie wirklich bedeutet. Sie begrüßen sogar den Angriff auf die kanonische Kirche unter dem Metropoliten Onufry als positiv für die "Religionsfreiheit". Das ist eine Umkehrung der Wahrheit, die an Orwell erinnert.

Einfach ausgedrückt, alles, was helfen kann, die Ukraine von Russland zu entfremden, auch auf der spirituellen Ebene, ist aus der Sicht des US-Außenministeriums gut. Was den Ökumenischen Patriarchen betrifft, so versucht er, unter dem Namen der Autokephalie (zu Deutsch: kirchenrechtliche Unabhängigkeit regionaler Volkskirchen) eine neue Einheit unter seiner Autorität (die tatsächlich weniger unabhängig ist, als die kanonische Kirche derzeit) zu schaffen, um seine eigene Stellung in der orthodoxen Welt zu stärken.

Schließlich sollten wir hinter dem State Department und Konstantinopel nicht den Einfluss von Befürwortern der LGBT-Ideologie ignorieren, die Moskau als Bollwerk der traditionellen christlichen Moral im Gegensatz zu den "europäischen Werten" angreifen. Dies gilt insbesondere für US-Botschafterin Yovanovitch, die nicht nur den neuen "Metropoliten" herzlich begrüßte, sondern auch mit 60 Botschaftsmitarbeitern und Familienmitgliedern am "Pride"-Marsch 2018 in Kiew teilnahm.

Mehr zum Thema - Russisch-orthodoxer Patriarch zu Nationalkirche in Ukraine: Eine beispiellose Einmischung

Welche langfristigen Folgen hat die Spaltung für das ukrainische Volk und die bislang geeinte Kirche im Land?

Washington ist bereit, die Russen bis zum letzten Ukrainer, der hinter den USA steht, zu bekämpfen. Das Gewaltpotenzial hängt davon ab, was Poroschenko und sein neuestes Spielzeug, also die "Kirche", als nächstes tun. Die Rada hat bereits ein von Poroschenko unterzeichnetes Gesetz verabschiedet, das die traditionelle kanonische ukrainische orthodoxe Kirche verpflichtet, sich in eine russische Kirche umzubenennen oder ihren Rechtsstatus zu verlieren.

Der ukrainische Geheimdienst SBU verfolgt und schikaniert kanonische Geistliche. Pläne für die Beschlagnahmung von Kirchen und Klöster werden bereits ausgearbeitet. Angriffe dieser Art, wo der Staat kurzerhand Klöster übernimmt oder wo Kirchen an die staatsnahe Kircheninstitution zwangsangegliedert werden, sind aufgrund der militärischen Balance in den Regionen von Lugansk und Donezk nicht zu erwarten.

Neben den Ländern der ehemaligen Sowjetunion lebt auch eine bedeutende orthodoxe Minderheit auf dem Balkan. Was wären die Folgen der Teilung in dieser Region, und wie könnten sie der NATO beispielsweise helfen, ihre Position auf dem Balkan zu festigen?

Einer der lautstärksten Kritiker des Kurses von Patriarch Bartholomäus ist die serbisch-orthodoxe Kirche. Milo Dukanovic, der von der NATO unterstützte korrupte Präsident Montenegros, hat bereits damit begonnen, kanonische Geistliche auszuweisen, um ebenfalls einen Tomos für die schismatische "Kirche" in seinem Land vorzubereiten. Die gleiche Gefahr besteht in Mazedonien. Die Regierung in Skopje, das die NATO befriedigen möchte, könnte nach dem Namensreferendum, das sowohl bei Griechen als auch bei Mazedoniern unbeliebt war, künftig auch noch eine Unabhängigkeit ihrer Kirche in Erwägung ziehen. Aus der Sicht von Patriarch Bartholomäus käme die Aufnahme der montenegrinischen und mazedonischen "Kirchen" nach der Ukraine neuen Juwelen für seine neopäpstliche Krone gleich.

Geoffrey Pyatt, der US-Botschafter in Griechenland, besuchte den Berg Athos, einen der heiligsten Orte der orthodoxen Kirche. Welche Rolle spielt die griechische Klosterinsel, die vom Patriarchen von Konstantinopel kontrolliert wird, aber als pro-russisch gilt, im Kampf um die Teilung der ukrainischen Kirche?

Der Heilige Berg von Athos ist eine der wichtigsten Schwachstellen des Ökumenischen Patriarchats. Obwohl er unter seiner Gerichtsbarkeit liegt, gibt es viel Widerstand gegen die Moderne und Verachtung für die aus Konstantinopel stammenden Kanons. Leider arbeitet die griechische Regierung in diesem Punkt mit den USA zusammen und wird großen Druck auf die Mönche ausüben.

Neben den USA wird auch die katholische Kirche, die eng mit der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche verbunden ist, oft als an der Spaltung der Orthodoxie interessiert aufgeführt. Wo ordnen Sie die Rolle Roms ein`?

Die ukrainische griechisch-katholische Kirche unterstützt die schismatische Kirche in der Ukraine nachdrücklich, und es bestehen langjährige kooperative Kontakte zwischen der griechisch-katholischen Kirche und den schismatischen Gruppen, die vereint wurden. Dies ist ein weiterer Beweis dafür, dass die gesamte Affäre einer ukrainischen Autokephalie nicht von den spirituellen Bedürfnissen des ukrainischen Volkes, sondern von eiskalter Politik und extremen Nationalismus getrieben wird. Aber es bleibt zu sagen, dass Rom bisher in dieser Angelegenheit geschwiegen hat.

Denken Sie daran, dass der Vorsitzende der griechisch-katholischen Kirche, Großerzbischof Sviatoslav Schewtschuk, früher Weihbischof in Buenos Aires war. Er und Papst Franziskus, also Jorge Bergoglio, kennen sich sehr gut. Meine Vermutung ist, dass Papst Franziskus das Gesamtbild betrachtet und sich fragt, wie die Orthodoxie in der Ukraine am besten in eine Union mit Rom geführt werden kann.

Was wären Ihrer Meinung nach Argumente dafür, warum Moskau den Streit letztendlich doch für sich entscheiden könnte und eine Spaltung nicht von Dauer ist?

Das Primat in der orthodoxen Welt ist nur ein Primat der Ehre, nicht eines der Zuständigkeit und Macht, wie das römische Papsttum. Das kann auch Patriarch Bartholomäus nicht ändern. Indem er bei seinem Streben nach einer solchen illegalen Autorität grob gegen die kanonische Ordnung der Orthodoxie verstößt, sägt er seinen eigenen Ast ab, auf dem er sitzt, und stellt Konstantinopel als "verfaulte Institution" bloß. Sein Handeln stellt die Integrität, nicht nur Moskaus, sondern auch aller autokephalen Kirchen, in Frage!

Es bleiben viele Aspekte noch ungeklärt. Beansprucht Patriarch Bartholomäus nun die Autorität gegenüber anerkannten schismatischen Gruppen in anderen Ländern? Kann er das Recht beanspruchen, die Autokephalie anderer Patriarchate zurückzuziehen? Kann er anderen Kirchen sagen, dass sie ihm ihre Pfarreien außerhalb ihrer Heimatländer in der "Diaspora" übergeben sollen (z. B. Serbien und rumänische Pfarreien in den USA), zu der die neue schismatische ukrainische Kirche unter den Tomos verpflichtet ist? Patriarch Bartholomäus hat an die anderen autokephalen Kirchen appelliert, die Kirche in der Ukraine anzuerkennen. Mal sehen, wie viele das tun werden, da diese sicher kein Interesse daran haben, dass sich Konstantinopel in Zukunft in ihre Angelegenheiten einmischt. Wir werden auch sehen, ob es einen Schritt in Richtung eines panorthodoxen Rates geben wird, zu dem bereits mehrere Kirchen aufgerufen haben.

Bartholomäus darf nicht vergessen, dass Konstantinopel seit über fünf Jahrhunderten nicht mehr eine kaiserliche Stadt ist. Es ist nicht einmal mehr die osmanische Hauptstadt. Bartholomäus hat in seinem Heimatgebiet fast keine Gefolgschaft. Es gibt nur noch wenige hundert, überwiegend ältere Griechen im Istanbuler Stadtteil Fener. Andererseits hat von den 14 autokephalen Kirchen nur eine den Schutz einer Großmacht mit einem Atomwaffenarsenal. Und diese Macht ist nicht Konstantinopel.

Vielen Dank für das Gespräch!

 Mehr zum Thema - Orthodoxie ist kurz vor Spaltung: Patriarch Bartholomeos will Kiew Autokephalie gewähren

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.