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Zurück in die Neunziger: Neue Versionen des Babtschenko-Falls - geplante Übernahme

Babtschenko lebt und der mutmaßliche Drahtzieher des angeblich von Russland geplanten Anschlags auf ihn ist in Haft. Doch für unterschiedlichste Beobachter wirkt dieses "Happy End" nicht stimmig. Eine neue Version verweist auf den Versuch der feindlichen Übernahme.
Zurück in die Neunziger: Neue Versionen des Babtschenko-Falls - geplante Übernahme

Mit der spektakulären Geheimdienst-Finte und dem vorgetäuschten Tod von Arkadi Babtschenko hat sich die Ukraine selbst um ihre Glaubwürdigkeit gebracht.

Der ukrainische Geheimdienst SBU hatte die Erschießung des russischen Journalisten - samt Einsatz von Schweineblut - vorgetäuscht. Er wollte damit angeblich den Auftraggebern einer angeblich von Russland aus geplanten Mordserie auf die Spur kommen, heißt es.

Kritik versus Selbstzufriedenheit

Das Vorgehen hat der Ukraine international viel Kritik eingetragen.  Medien und Politiker, von denen viele - ohne Beweise - Russland als schuldig für den Mord erklärt hatten, kritisierten die Finte, die sie selbst teils sogar weitergesponnen hatten.

Mehr lesen - Mord an russischem Journalisten in der Ukraine - Deutsche Medien zeigen ohne Beweise auf Moskau

Der ukrainische Außenminister Pawel Klimkin verteidigte die Geheimdienst-Finte.

Ohne diese Maßnahmen wäre es unmöglich gewesen, weitere Morde zu verhindern", behauptete er bei einem Treffen mit Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) in der Stadt Mariupol am Freitag.

Auch der ukrainische Präsident Petro Poroschenko wies die Kritik zurück und sprach im Fernsehen lieber erneut von Russland als einem Feind.

Die ganze Welt sah das wahre Gesicht unseres Feindes. Es ist nicht die Ukraine, die Sie verurteilen sollten, sondern Russland."

Doch es hagelte Kritik. Unter anderem schrieb Shaun Walker, ein Journalist des Guardian auf Twitter

Werde in Zukunft vorsichtiger sein. Hatte gelernt, den ukrainischen Behörden bei Donbass-Kriegsinfos nicht zu vertrauen, aber angenommen, dass so etwas wie diese offizielle Bestätigung solide ist!"

Im nächsten Akt folgen der vermeintlich von Russland angeheuerte ukrainische Mittelsmann sowie der für ihn ausführende, nationalistische Kriegsveteran als Protagonisten. Sogar ukrainische und kremlkritische Beobachter sind skeptisch.

"Mittelsmann" mit Waffenfirma und Mörder aus dem Rechten Sektor

Am Donnerstag nahm das Gericht im Kiewer Stadtteil Schewtschenkowskij den vermeintlichen Drahtzieher, Boris Lwowitsch Herman, für zwei Monate in Untersuchungshaft.

Der Geschäftsmann behauptete, er habe seit etwa einem halben Jahr für die ukrainische Spionageabwehr, eine Abteilung des SBU, gearbeitet um russische Machenschaften in der Ukraine aufzudecken.

Herman sagte zudem, er habe Verbindungen zu einer hochrangigen Person in Moskau, die nach Berichten in den ukrainischen Medien Wjatscheslaw Piwowarnik oder Piwowarkin heißen soll und bei einer "Putin-Stiftung" mit dem Ziel tätig sei, Unruhe in die Ukraine zu bringen.

Herman behauptete auch, er wusste, dass die Simulation von Babtschenkos Mord bevorsteht.

Das war im Voraus bekannt, aber um Informationen von einer russischen Quelle zu bekommen, mussten wir eine Imitation der Arbeit hier zeigen, damit sie uns vertrauen würden", sagte er.

Nach Hermans Aussage habe ihm der Kontakt in Moskau eine Liste mit 30 Namen von Leuten gegeben, die in der Ukraine ermordet werden sollten. Seither arbeite Herman nach eigenen Aussagen mit der ukrainischen Gegenspionage zusammen.

Babtschenko war der erste auf der Liste. Für den habe Herman den auch von den Behörden genannten Alexej Tsymbalyuk angeheuert, und zwar nach eigener Aussage mit der Überlegung, dass dieser "nicht in der Lage sei, einen Unschuldigen zu töten", sondern den SBU einweihen werde.

Alexei Tsymbalyuk hat sich selbst zu Wort gemeldet und den Mordauftrag bestätigt.

Es ist großartig, dass es im SBU talentierte Angestellte gibt, denen man ganz sicher über einen Auftragsmord berichten kann … Das sind Leute, die große Mühen auf sich nehmen, um das Leben in der Ukraine sicherer zu machen. Ich schreibe dies, ohne meine wahre Identität zu kaschieren, da es nach der Veröffentlichung der Aufnahmen, die mich bei der Vorauszahlung für den Mord an einer Person ohne Veränderung der Stimme zeigen, keinen Sinn macht."

Alexei Tsymbalyuk (oder Oleksii Tsymbaliuk) wurde 2006 Priester in der Ukrainischen Orthodoxen Kirche, später Mönch und dann Aktivist des Rechten Sektors, der auch an die Front in der Ostukraine gegangen sein soll. Der Mordauftrag an Arkadi Babtschenko sei Tsymbalyuk, der lange in der ATO gekämpft habe, mit Versuchen der Manipulation anhand von patriotischen Überzeugungen angeboten worden, hieß es laut des Mediums Ostro.org.

Lange Reihe von Ungereimtheiten

Das US-amerikanische regierungsnahe Nachrichtenportal Radio Free Liberty schrieb, dass die ukrainischen Behörden

die russischen Geheimdienste beschuldigten, Herman 40.000 Dollar für die Organisation des Mordes an Babtschenko geboten zu haben - 10.000 Dollar für seine Vermittlungsdienste und 30.000 Dollar für die Zahlung an den Mörder."

Auf Bloomberg heißt es, es habe eine Aufnahme von einer Übergabe mit 15.000 Dollar gegeben.

Die Ukrainskaya Pravda schrieb unter Berufung auf die Pressesekretärin des SBU, dass Tsymbalyuk nicht als Mordbeauftragter involviert gewesen sei, sonst hätte er dies nicht per Facebook kundgetan. Jedoch korrigierte sie diese Meldung später unter Berufung auf die gleiche Angestellte des SBU, die einen Rückzieher gemacht und ihren Fehler eingestanden habe.

Vieles in den offiziellen Darstellungen bisher ist inkohärent. Wie passt es zusammen, dass ein ehemaliger Kämpfer an der ukrainischen Ostfront patriotisch motiviert werden kann, einen offen russophoben russischen Journalisten zu töten. Noch fragwürdiger  erscheint die von Herman geschilderte Überlegung, bei seinem vermeintlichen Auftragsmord einen ukrainischen Kriegsveteranen einzusetzen, der zwar an der Front gekämpft hat, aber den Mord nicht durchführen und deshalb dazu dienen könnte, den Mordanschlag für die Russen als vertrauenserweckend wirken zu lassen.

Der in Berlin ansässige Bloomberg-Autor Leonid Bershidsky, der Kreml-kritisch unter anderem für die Moscow Times und die ukrainische Kyiv Post schreibt, hat bei Bloomberg eine Reihe von Ungereimtheiten zusammengefasst, nachdem er selbst Babtschenko zu diesem Fall interviewt hat. Er schreibt:

Die von Babtschenko und dem SBU vorgelegte Version der Ereignisse macht keinen Sinn. Zum einen, wenn die ukrainische Gegenspionage bereits den "Organisator" aufspürte, der den Killer engagierte, ist es nicht klar, welche Beweise er durch das Vortäuschen eines Treffers gewinnen konnte.“

Feindliche Übernahme von Schmeisser?

Vor Gericht behauptete Herman zwar, er habe mit der ukrainischen Spionageabwehr zusammen gearbeitet. Die Staatsanwaltschaft wies Hermans Tätigkeit für die ukrainische Gegenspionage nach Medienberichten jedoch zurück. Wie die Süddeutsche Zeitung schreibt, war Herman jahrelang als Assistent zweier ukrainischer Parlamentarier tätig. 

Jedoch stand seine Firma unter Druck und scheinbar gab es Ansprüche von ukrainischer Seite. Das bestätigte auch Hermans Anwalt, indem er Zahlungen und Durchsuchungen erwähnte. 

Herman ist Direktor der deutsch-ukrainischen Waffenfirma Schmeisser - des einzigen nicht-staatlichen Rüstungsunternehmens in der Ukraine, die auch die ukrainische Armee beliefert.

Das Unternehmen Schmeisser ist gemäß einer Datenbank über "führende ukrainische Firmen" ein deutsch-ukrainisches Gemeinschaftsunternehmen. Dcheinbar gehörte es einer deutschen Firma mit Sitz in Ratingen.

Per Twitter verwies Bloomberg-Journalist Leonid Bershidsky auf eine „Version der Ereignisse, die die fast überall außer in der Ukraine seltsam wäre“ und einen Link zu dem Facebook-Post von Volodymyr Boiko. Der Ukrainer beschreibt darin Szenen wie aus dem frühen postsowjetischen Zeitalter des Gangster-Kapitalismus, in dem Wert- und Industriegüter durch betrügerische Methoden übernommen wurden. Boiko beruft sich auf nummerierte Gerichtsakten und beschreibt, dass der ganze vermeintliche Mordkomplott um Babtschenko zur Übernahme der privaten Firma von Herman dienen sollte. Die Unterlagen bezeugten, dass der Streit zwischen den ukrainischen Behörden im Jahr 2016 begann. Seither habe Herman mit Gläubigern zu kämpfen gehabt, die behaupteten, er habe Kredite nicht zurück gezahlt und daher zur Wiedergutmachung die Übernahme des Unternehmens forderten. Die von Herman angebotenen Belege für die Rückzahlungen der Darlehen seien gefälscht, lautet die Behauptung. Jedoch konnte Herman im Laufe des knapp zweijährigen Rechtsstreits beweisen, dass keine Schulden offen sind und gewann damit den Streit um die Ansprüche auf die Firma.

Im Gangster-Kapitalismus der Neunziger wurden solche Ansprüche begleitet von brutalen Maßnahmen wie Einschüchterung oder gar Mord. Man weiß bisher nicht, was den vermeintlichen Drahtzieher Herman, dazu bewog, die Version eines Mittelmannes zu erzählen, den der russische Geheimdienst, beziehungsweise ein ominöser Kontakt einer (laut Kremlsprecher Dimitri Peskow nicht-existenten) „Putin-Stiftung“ zu dem Mord an Babtschenko bewegen sollte. Das alles passiert kurz vor Beginn der Fußballweltmeisterschaft in Russland.  

Es gibt weitere Hinweise darauf, dass die aufwändige Finte auch mit dem Ziel inszeniert wurde, Herman von seinem Posten zu bringen, um dann die Firma, die er führt, zu übernehmen.

Auch das Nicht-Existente soll bewiesen werden

Und die kommen vom Anwalt von Hermans, Jewgeni Solodko in einem Post auf facebook und wurden unter anderem von der ukrainischen Zeitung strana.ua veröffentlicht. 

Solodko hinterfragt die  Gründe, weswegen sein Mandant in Haft kam.

Herman, Direktor „des einzigen nicht-staatlichen Rüstungsunternehmens in unserem Land“ mit langjähriger Produktionsverbindung zum Verteidigungsministerium, sei selbst dafür bekannt gewesen, auch die sogenannte "Anti-Terror Operation" (ATO), die bis April noch vom ukrainischen Geheimdienst SBU geleitet wurde, zu unterstützen.

Die Argumentation für die Festnahme lautet, dass die Auftraggeber der Aktion nicht identifiziert wurden. Wie Solodko schreibt, wurden sie auch nicht gesucht.

Auch aus Gesprächen von Herman mit dem "Mörder" folge, dass seine Wohnung und die Firma in den vergangenen sechs Monaten wiederholt vom SBU durchsucht wurden - dem gleichen Geheimdienst, mit dem er nun zusammengearbeitet haben soll. In dem Protokoll werde zusätzlich eine Summe von siebzigtausend US-Dollar erwähnt. Scheinbar war Herman verpflichtet, viel Geld an den SBU zu zahlen. 

Zudem sei es in der Korrespondenz um alles Mögliche gegangen, aber nicht um den Mord. Und es gebe auch keine Liste potenzieller Opfer in den Materialien. Der "Mörder" selbst habe vorgeschlagen, einen gewissen Todor Panovsky und Bogdanov „kaltzustellen" und erwähnte, dass er Letzteren "hasst".

Auch das Interesse, das Boris Herman verfolgt haben soll, bleibe für Solodko unklar. Das Motiv solle aber festgestellt werden. Er schrieb:

Die Sache ist seltsam, aber das Briefing des Generalstaatsanwalts hat bereits stattgefunden. Daher werden sie mit weit aufgerissenen Augen sogar das Nichtexistente beweisen.

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