Europa

Ein Mordfall erschüttert die Republika Srpska: Demonstranten fordern "Gerechtigkeit für David"

Täglich zieht Menschen aller Altersklassen auf die Straßen der Hauptstadt der Republika Srpska in Bosnien und Herzegowina. Sie fordern die Aufklärung des brutalen Mordes an dem 21-jährigen David Dragičević. Viele glauben, dass staatliche Stellen verwickelt sind.
Ein Mordfall erschüttert die Republika Srpska: Demonstranten fordern "Gerechtigkeit für David"Quelle: RT © Marinko Učur

von Marinko Učur, Banja Luka

Schon zwei Monate lang zündet Davor Dragičević, Vater des brutal ermordeten 21-jährigen David Dragičević, jeden Abend genau um 18 Uhr auf dem zentralen Stadtplatz in Banja Luka eine Kerze an. In der größten Stadt der Republika Srpska mit ihren 250.000 Einwohnern wird er von Mitgliedern der Gruppe "Gerechtigkeit für David" begleitet, die gemeinsam mit ihm nach einer Antwort auf die Frage suchen, wer seinen Sohn getötet hat.

Als die gleichnamige Facebook-Gruppe auf fast 300.000 Mitglieder anwuchs und dieser mysteriöse Mordfall das Interesse der breiten Öffentlichkeit auf dem Balkan und internationaler Medien von Washington Post bis zu Euronews auf sich zog, wurde klar, wie ernst der Fall ist.

Bislang ergebnislos gehen die Aktivisten der Frage nach, wer und warum diesen jungen Mann getötet hat. Dessen Leichnam wurde am 24. März dieses Jahres im Nebenfluss Crkvena in Banja Luka aufgefunden, nachdem er sechs Tage zuvor auf unerklärliche Weise verschwunden war.

Laut den Eltern des Verstorbenen haben die Polizei und die Staatsanwaltschaft bei der Untersuchung so große Fehler gemacht, dass die Öffentlichkeit, die diesen Fall mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, den Eindruck nicht loswerden kann, dass die Behörden gute Gründe hatten, konkretere Details des Todesfalles zu vertuschen.

Die Mitstreiter von "Gerechtigkeit für David" vermuten die Auftraggeber, Mittäter und Vollstrecker des brutalen Mordes in den Reihen der Polizei und Bezirksstaatsanwaltschaft. Freunde der Familie Dragičević, prominente und weniger bekannte Leute aus der ganzen Welt melden sich täglich, um die Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit zu unterstützen. Mit erhobener Faust zeigen sie sich genauso wie Davids Vater jeden Tag auf dem zentralen Platz von Banja Luka.

Die Facebook-Seite "Gerechtigkeit für David" ist mittlerweile voll mit Fotos unterzeichneter Petitionen und Unterstützungsbotschaften aus vielen europäischen Städten, in denen die Wahrheit über die Hintergründe des  Mordes gefordert wird. Bereits 60 Tage nach seinem Tod wurde der junge Mann zum Symbol des Widerstands gegen unbekannte Verbrecher und zu einer Art "urbaner Legende", symbolisiert in täglichen Kundgebungen auf jenem Stadtplatz, den die Protestteilnehmer aus Empörung in "Davids Platz" umbenannt haben. Dort erklingt jeden Abend der Rhythmus des Liedes "Kind aus dem Ghetto", das David verfasst und damit auf gewisser Weise seinen Tod prophezeit hat.

Nach den Erkenntnissen der Eltern und laut dem Autopsiebefund wurde der junge Mann entführt, gefoltert, brutal geschlagen und schließlich in den Crkvena geworfen, der eher ein städtischer Abwasserkanal als ein Fluss ist. Die von der Familie veröffentlichten Autopsieaufnahmen schockierten die Öffentlichkeit. Die Fotos waren so erschütternd und grausam, dass sie von Facebook unmittelbar nach Veröffentlichung entfernt wurden.

Wer aus welchem Motiv heraus den Studenten der Elektrotechnik liquidiert hat, ist weiter ungeklärt. Während der Ermittlungen wurden verschiedene mögliche Motive erwähnt – von einer Abrechnung im Drogenmilieu  und ungeklärten offenen Fragen aus dem turbulenten Leben des jungen Mannes war die Rede.

David lebte auf jene Art, wie sie für die meisten seiner Altersgenossen typisch ist. Er trug Dreads wie Bob Marley und genoss sein Leben in vollen Zügen. Wegen seiner Lebensweise wurde er nach einer Polizeiermittlung zu einem vergangenen Zeitpunkt als Drogenkonsument und problematische Person bezeichnet.Alle, die ihn kannten, behaupten jedoch das Gegenteil und werfen der Polizei und den Staatsanwaltschaft vor, auf diese Weise die Schuld von sich abzulenken wollen.

Parlament beruft Sondersitzung ein

In welchem Umfang der "Fall Dragičević" die heimische Öffentlichkeit erschütterte, darüber zeugt die Tatsache, dass das Parlament der Republika Srpska auf einer Sondersitzung darüber diskutierte und es dem Vater ermöglichte, sich an die Abgeordneten zu wenden. Gleichzeitig erhielt der Innenminister Dragan Lukač die Gelegenheit, auf die Anschuldigungen einzugehen, wonach sich die Polizei des Todes des jungen Mannes schuldig gemacht habe. Doch das Parlament gewährte Davids Vater nur zehn Minuten Redezeit, während dem Minister zur Ausbreitung seines Standpunktes 90 Minuten eingeräumt wurden.

Aber die Frage, wer David getötet hat, wurde immer noch nicht beantwortet. Tausende Anhänger der Gruppe "Gerechtigkeit für David" beabsichtigen, sich so lange auf dem öffentlichen Platz zu versammeln, bis sie die Antwort auf diese Frage bekommen.

Natürlich hat es nicht lange gedauert, bis der Fall zu einem Politikum wurde. Und gerade in diesem Jahr der Parlamentswahlen in Bosnien und Herzegowina bekommt er eine noch stärkere politische Note. Die Opposition bittet um Antworten auf Fragen, die mit den Fragen der Familie Dragičević übereinstimmen, während die Regierung auf jede Weise versucht, von der etwaigen eigenen Verantwortung abzulenken.

Dieses Unterfangen wird für sie jedoch immer schwieriger, weil Namen hochrangiger Polizeibeamter sowie der des Innenministers, des Chefanklägers und des zuständigen Pathologen als mögliche Komplizen öffentlich ins Spiel gebracht wurden. Das Parlament der Republika Srpska bildete eine Sonderkommission, die sich mit den Ermittlungen befasst, da der Polizei und ihren Inspekteuren offenbar nicht  vertraut wird.

Staatsbedienstete im Verdacht

Genau solche eindeutige Schlussfolgerung wurde am Sonntag vom bekanntesten Blogger Slobodan Vasković veröffentlicht, der auf seinem Blog den Polizeiminister und seine engsten Mitarbeiter wörtlich beschuldigt, die Mörder zu verbergen und direkte Komplizen zu sein:

Dragan Lukač (Innenminister der Republika Srpska) ist derjenige, der am stärksten  an der Vertuschung des Mordes an David Dragičević arbeitet. Es ist sicher, dass es sehr gute Gründe für die Untaten gibt, die er begeht! Die Ermordung von David Dragičević hat die Spitze des Drogenkartells angeordnet, das sich durch Banja Luka frisst und dessen Mitglieder clevere Kriminelle und einzelne Mitglieder des Innenministeriums der Republika Srpska sind. David Dragičević wurde am 18. März 2018 geschlagen, danach entführt und tagelang gefoltert, um frühestens am 20./21. März und spätestens am 23. März  liquidiert zu werden. In den frühen Morgenstunden des 24. März wurde sein Körper in den Abwasserkanal Crkvena geworfen", betont Vasković in seinem Blog.

Er behauptet, dass er wegen dieser Einstellungen und seiner früheren Schriften über Kriminelle in den Reihen der Polizei viele Drohungen erhält, weshalb er seinen Wohnort habe wechseln müssen.

Der Innenminister kündigte indes eine strafrechtliche Verfolgung des Vaters der Ermordeten sowie einiger Journalisten an, die seinen Namen im Zusammenhang mit dem Tod von David genannt hatten. Ganz oben auf der Liste steht Slobodan Vasković. Der Blogger sagt, er habe keine Angst vor einer Klage und kündigte an, dass er bald noch mehr kompromittierendes Material über den Innenminister und seine Mitarbeiter veröffentlichen werde. 

Obwohl die täglichen "Gerechtigkeit für David"-Kundgebungen in Banja Luka jeden Abend ohne formelle Polizeigenehmigung abgehalten werden, die für öffentlichen Versammlungen üblicherweise einzuholen ist, denkt niemand daran, die eigentlich illegalen Versammlungen mit Gewalt zu zerstreuen.

Dies wäre mit einem hohen Risiko für die Regierung vor den bevorstehenden Wahlen im Oktober dieses Jahres verbunden. Aber das ist ein schwacher Trost für Davids Vater Davor, den nur die Frage umtreibt, wer seinen Sohn und warum getötet hat.

(Folgendes Video zeigt eine Rede des Vaters während einer Protestkundgebung mit deutscher Übersetzung)

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.