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Fake-News-Kampagne in Großbritannien: Labour-Chef Corbyn soll Stasi-Informant gewesen sein

Mit seinen linken Positionen hat sich Labour-Chef Jeremy Corbyn innerhalb des britischen Establishments kaum Freunde gemacht. Viele Schmierenkampagnen musste er schon über sich ergehen lassen. Die Neuste: Er soll in den 1980er-Jahren für den Ostblock spioniert haben.
Fake-News-Kampagne in Großbritannien: Labour-Chef Corbyn soll Stasi-Informant gewesen seinQuelle: Reuters © Reuters

Der Chef der britischen Labour-Partei Jeremy Corbyn engagiert sich seit Jahrzehnten in der Friedensbewegung und tritt entschieden für eine Abschaffung der britischen Atomwaffen ein. Nachdem Corbyn im September 2015 zum Parteichef gekürt wurde, bezeichnete ihn der damalige Premierminister David Cameron als "Gefahr für die nationale Sicherheit". Ein britischer General drohte gar mit einem Putsch, sollte der erklärte Pazifist Premierminister des Vereinigten Königreichs werden.

Andere finden hingegen Gefallen an dem friedenspolitischen Engagement des 68-Jährigen: Vor zwei Monaten erhielt Corbyn für seine "nachhaltige und kraftvolle politische Arbeit für Abrüstung und Frieden" den Séan-MacBride-Friedenspreis. Die Verleihung war den britischen Medien jedoch kaum eine Zeile wert, ließ diese den Labour-Chef doch in einem positiven Licht erscheinen.

Denn wie eine Studie des britischen Department of Media and Communications bereits im Sommer 2016 feststellte, geht die Berichterstattung der Mainstreammedien über Corbyn "weit über die gewöhnlichen Grenzen einer fairen Debatte und von Meinungsverschiedenheiten in einer Demokratie" hinaus.

Gestatten: Sarkocy, Jan Sarkocy

Die letzte Woche lieferte dafür wieder ein beredtes Beispiel. Vergangenen Freitag hatte The Sun mit einer Enthüllungsstory aufgemacht­­, laut der Corbyn im Kalten Krieg für den Ostblock spioniert hat. Als Kronzeuge dieses Vorwurfs dient ein ehemaliger Agent des als "Staatssicherheit" (StB) bezeichneten tschechoslowakischen Geheimdienstes namens Jan Sarkocy. Dieser will den Friedensaktivisten "rekrutiert" und für dessen Spitzeldienste entlohnt haben. Mindestens drei Mal hätten sich die beiden Männer laut The Sun in den Jahren 1986 und 1987 getroffen.

Kurz nach Veröffentlichung des Artikels wurde zudem der Vorwurf laut, Corbyn habe als "IM" (Inoffizieller Mitarbeiter) für die Staatssicherheit der DDR gearbeitet. Anlass war ein bekannt gewordenes Dokument der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), das im Dezember 1984 verfasst wurde. Die umgangssprachlich als "Stasi" bekannte Behörde hatte ihre Fühler zur britischen Friedensbewegung ausgestreckt und insbesondere ein Auge auf die Initiative "Labour Action for Peace" (LAP) geworfen. Diese wurde damals von Corbyn geleitet, dessen Name selbst in dem Stasi-Dokument jedoch nicht auftaucht. 

Konservative sind empört über den "Landesverräter"

Die daraufhin einsetzende Empörung der Konservativen und der ihnen nahestehenden Medien über den vermeintlichen Ostblock-Spion war enorm. Verteidigungsminister Gavin Williamson sagte:

Immer wieder hat er sich auf die Seite derer geschlagen, die alles zerstören wollen, was an diesem Land großartig ist. Dass er ausländische Spione getroffen hat, ist ein Verrat an diesem Land. Man kann ihm nicht trauen.

"Ich weiß, er mag Tschechen", sagte Premierministerin Theresa May während einer Parlamentsdebatte – ein Wortspiel, da "Tschechen" sich im Englischen auf "Schecks" reimt und Corbyn laut May ja grundsätzlich von der Regierung verlange, mehr Geld auszugeben. Der Labour-Chef reagierte mit einem demonstrativen Gähnen auf Mays humoristische Einlage.

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Weniger gelassen zeigte sich seine Partei im Umgang mit dem konservativen Abgeordneten Ben Bradley, der in einem Tweet Corbyn vorgeworfen hatte, "britische Geheimnisse an kommunistische Spione verkauft" zu haben. Nach der Androhung rechtlicher Schritte seitens der Labour-Partei löschte Bradley den Eintrag.

Deren Vizechef Tom Watson fasste die Medienkampagne gegen Corbyn so zusammen:

Lassen Sie uns diese Geschichten als das bezeichnen, was sie sind – Propaganda, kein Journalismus. Sie sind das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben stehen.

Tschechische Behörden widersprechen Ex-Agenten

Auch der Betroffene selbst spricht von einer "Schmierenkampagne". Zwar räumte Corbyn ein, sich mit Sarkocy getroffen zu haben, doch dieser habe sich ihm gegenüber als tschechischer Diplomat ausgegeben. Bei Sarkocy, der im Jahr 1989 als Agent aufgeflogen und anschließend des Vereinigten Königreichs verwiesen worden war, handelt es sich offenbar um einen Aufschneider.

Wie die Leiterin des Archivs der tschechischen Sicherheitsbehörden, Svetlana Ptáčníková, mitteilte, habe Corbyn nie für den Geheimdienst des Ostblock-Staates gearbeitet. Aus Dokumenten gehe hervor, dass er Sarkocy tatsächlich als Diplomaten betrachtet habe. Gegenüber dem Guardian bestätigte Radek Schovánek diese Angaben. Er arbeitet als Analyst im Verteidigungsministerium und beschäftigt sich seit 25 Jahren mit den Hinterlassenschaften des StB. Der Verdacht gegen Corbyn sei demnach unbegründet, die Angaben von Sarkocy seien falsch.

So hatte der Ex-Agent behauptet, sich am 24. Oktober 1987 mit Corbyn im Unterhaus des Parlaments getroffen zu haben. Wie der Independentberichtete, hat Corbyn für diesen Tag jedoch ein Alibi.

Stasi-Unterlagenbehörde meldet sich zu Wort

In einem ungewöhnlichen Schritt schaltete sich am Mittwoch die Stasi-Unterlagenbehörde "aus aktuellem Anlass" in die Debatte ein. In einer auf der Webseite der Behörde veröffentlichten Stellungnahme heißt es:

Derzeit gibt es eine Diskussion in Großbritannien über eine mögliche Dokumentation des Labour-Politiker Jeremy Corbyn in Stasi-Unterlagen. Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen (BStU) gewährt Medien- und Forschungsantragsstellern in der Regel nur Zugang zu Unterlagen mit Personenbezug, in denen eine offizielle oder inoffizielle Mitarbeit dokumentiert ist. Ansonsten gibt es keine Auskunft. Da aber die Spekulationen überhand nehmen, gibt der BStU in diesem Falle Folgendes bekannt: Die Recherchen zu den Überlieferungen des MfS haben keine Unterlagen oder sonstige Informationen zu Jeremy Corbyn oder Diane Abbott ergeben.

Gegen die Labour-Politikerin Diane Abbott waren ähnliche Vorwürfe laut geworden. Die Tochter jamaikanischer Einwanderer zählt ebenfalls wie Corbyn zum linken Parteiflügel und zog im Jahr 1987 als erste schwarze Frau ins britische Parlament ein.

Corbyn hat den Niedergang der Labour-Partei aufgehalten und bei den Wahlen im Juni 2017 ein unerwartet starkes Ergebnis hingelegt, nachdem die Partei zuvor in Umfragen weit abgeschlagen hinter den konservativen Tories lag. Für die Mehrheit im Parlament reichte es aber nicht. In aktuellen Umfragen liegt Labour inzwischen aber vor der Partei der Premierministerin.

Das erklärt die wachsende Angst innerhalb des britischen Establishments, das sich offenbar kaum anders zu helfen weiß, als Corbyn mit Schmutzkampagnen zu überziehen, um dessen wachsendes öffentliches Ansehen zu beschädigen. 

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