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Wie Lieferungen westlicher Panzer an die Ukraine die Frontlage verändern – eine Analyse

Nach der Zusage des französischen Präsidenten Macron, Radpanzer des Typs AMX-10 RC an die Ukraine zu liefern, fordert Kiew mehr und schwerere Panzer. Der Beginn der Lieferungen westlicher Maschinen zeuge aber auch vom Ende sowjetischer Panzerbestände im Westen, erklären Experten.
Wie Lieferungen westlicher Panzer an die Ukraine die Frontlage verändern – eine AnalyseQuelle: Gettyimages.ru © Anadolu Agency

Von Michail Mokschin und Andrei Restschikow

Der Westen beabsichtigt mit Lieferungen von Panzern an die Ukraine eine rote Linie zu überschreiten. Dieses Thema wird bereits von Großbritannien und Deutschland mit ihren Partnern besprochen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron versprach, Kiew Radpanzer vom Typ AMX-10 RC zu liefern, doch die ukrainische Regierung besteht auf der Übergabe schwererer Maschinen, darunter des US-amerikanischen M1 Abrams und des deutschen Leopard 2. Warum bittet die Ukraine um NATO-Panzer und wie können sie den Verlauf der Kampfhandlungen beeinflussen?

Großbritannien und Deutschland verhandeln mit internationalen Partnern über militärische Hilfen an Kiew, deren Teil Panzer werden können. Dies gab der britische Außenminister James Cleverly bekannt. Demnach benötige die Ukraine diese Lieferungen "für das nächste Stadium der Selbstverteidigung". Die Frage, "woher sie kommen werden und wer unter den Alliierten sie liefern" werde, sei allerdings offen.

Zuvor hatte Macron am 4. Januar versprochen, Radpanzer vom Typ AMX-10 RC an die Ukraine zu liefern. Als Reaktion darauf behauptete der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij, dass diese Lieferung das Fehlen von "rationalen Gründen" gegen Lieferungen westlicher Kampfpanzer belege. Selenskij bezeichnete Macrons Entscheidung als ein klares Signal an alle Verbündeten der Ukraine.

Diese Entscheidung war der erste Fall von Lieferungen von Panzern westlicher Bauart an Kiew. Wie viele Maschinen übergeben werden, wurde nicht berichtet. Nach Schätzungen französischer Experten könnte Paris 30 solcher Panzer übergeben, weil sie durch modernere Maschinen ersetzt werden.

Der AMX-10 RC war in den 1970er Jahren als Spähpanzer entwickelt worden. Er wurde von französischen Truppen zur Aufklärung und Panzerbekämpfung eingesetzt, darunter während der Operation "Barkhane" in Afrika, die offiziell im November des vergangenen Jahres beendet wurde. Nach Schätzungen westlicher Experten kann der AMX-10 RC dank seiner Manövrierfähigkeit und Geschwindigkeit schnell zuschlagen. Die Maschine kann bei Militäroperationen vor Kolonnen von Kampfpanzern eingesetzt werden. Allerdings sei ihre vergleichsweise leichte Panzerung ein bedeutender Nachteil angesichts der schweren russischen Geschütze.

Im Herbst des vergangenen Jahres übergab Australien an die Streitkräfte der Ukraine 90 gepanzerte Fahrzeuge vom Typ Bushmaster, die gegen Personenminen und weitere Bedrohungen geschützt sind. Darüber hinaus stellte das Pentagon der Ukraine über 2.000 militärische Fahrzeuge, darunter 477 MRAP und über 1.200 Humvee, zur Verfügung.

Doch Kiew bittet den Westen um schwerere Panzer, darunter US-amerikanische M1 Abrams und deutsche Leopard 2. Die Rede ist auch von französischen Leclerc-Panzern, die schwerer, leistungsstärker und besser geschützt sind als der AMX-10. Diese Frage wird in Paris unter anderem wegen Schwierigkeiten bei der Ausbildung ukrainischer Panzerbesatzungen erst untersucht.

Die Administration von Joe Biden schließt Lieferungen von Abrams-Kampfpanzern an die Ukraine aus. Diese Panzer wiegen 55 Tonnen und werden von einer Turbine angetrieben, die Treibstoff äußerst schnell verbraucht. Diese Angaben machte eine anonyme Quelle aus US-amerikanischen offiziellen Kreisen gegenüber der Zeitung The Washington Post. Abrams-Panzer fallen oft aus und erfordern eine große Erfahrung bei ihrer Wartung, so die Meldung. Allerdings erklärte Biden am 4. Januar, dass Washington Lieferungen von Schützenpanzern des Typs Bradley an die Ukraine erwäge.

Diese Maschine ist mit einer leistungsfähigen Kanone ausgestattet und war seit den 1980er Jahren das wichtigste Transportmittel der US-Infanterie am Schlachtfeld. Die US-amerikanische Armee verfügt über Tausende von Bradleys. Der Bradley ist ein gepanzertes Fahrzeug, das auch als Transporter eingesetzt und bis zu zehn Personen, Munition und Funkgeräte befördern kann. Die Maschine wird durch Ketten angetrieben, ist aber viel leichter und manövrierfähiger als ein Kampfpanzer.

Im ersten Quartal des laufenden Jahres wird Deutschland der Ukraine 40 Marder-Schützenpanzer übergeben, wie der Sprecher der Bundesregierung Steffen Hebestreit am Freitag bekannt gab. Dieser Schützenpanzer war in den 1970er Jahren für die Panzergrenadiere der Bundeswehr entwickelt worden und bleibt bis heute die Hauptmaschine in seiner Klasse.

Indessen behauptete der Pressesprecher des Pentagon, Brigadegeneral der Luftwaffe Patrick Ryder, in Bezug auf die Möglichkeiten, der Ukraine Abrams-Panzer zu liefern, dass er über keine weiteren Angaben dazu verfüge. Er merkte an, dass die USA ein neues Militärhilfspaket ankündigen wollen. Mittel- und langfristig erwäge Washington "alle verfügbaren Varianten".

Nach Angaben der US-amerikanischen Zeitung Politico werde das neue Militärhilfspaket erstmals radargesteuerte Flugabwehrraketen vom Typ Sea Sparrow zum Abfangen von Flugzeugen und Marschflugkörpern beinhalten. Wie die Zeitung berichtete, sei es den ukrainischen Militärs bereits gelungen, sowjetische Raketensysteme vom Typ Buk für neue US-amerikanische Munition umzubauen.

Zuvor hatte der US-Militärexperte Peter Suciu in einem auf dem Portal 1945 veröffentlichten Kommentar den Panzer M1 Abrams unter den drei Waffensystemen genannt, die die USA niemals der Ukraine übergeben würden. Die beiden weiteren Waffensysteme seien F-16-Jäger und Kurzstreckenraketen vom Typ ATACMS. Das Erscheinen dieser Flugzeuge und Raketen im Dienst der ukrainischen Armee sei als eine direkte Beteiligung der NATO am Krieg gegen Russland ausgelegt worden, so Suciu. Der Grund für das Verweigern der Abrams-Panzer sei allerdings ein anderer. Nach Meinung des Experten vermutet das Pentagon, dass eine Ausbildung der ukrainischen Soldaten an diesem Panzer zu viel Zeit in Anspruch nehmen würde.

Auf die gleiche Weise begründete der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu die Unmöglichkeit, Leclerc-Panzer an die Ukraine zu übergeben. Deren Wartung sei für das ukrainische Militär zu kompliziert. Lecornu erklärte dies in einem Interview mit der Zeitung Le Figaro vor dem neuen Jahr gleich nach seinem Besuch in Kiew und dem Gespräch mit Selenskij.

Der Doktor für Militärwissenschaften Konstantin Siwkow sagte:

"Den westlichen Partnern der Ukraine sind die Vorräte sowjetischer Panzer, die an die ukrainischen Streitkräfte übergeben wurden, ausgegangen."

Siwkow erinnerte an das vom Pentagon im November des vergangenen Jahres angekündigte Militärhilfspaket. Damals wurde gemeldet, dass die USA im Rahmen des weiteren, 400 Millionen US-Dollar schweren Pakets 45 Panzer vom Typ T-72 der Ukraine bereitstellen werden. Er erklärte:

"Was jetzt kommt, ist eine Kompilation sowjetischer T-72-Panzer, genauer gesagt, jener Exportversion, die im Dienst der ehemaligen Tschechoslowakei stand. Ihre Panzerung ist im Vergleich zu Kampfpanzern der sowjetischen Armee schwächer, sie sind mit ausländischen Triebwerken und einigen weiteren ausländischen Bauteilen ausgestattet. Diese Panzer, 45 an der Zahl, werden im Kampfgebiet erscheinen. Doch wie Sie verstehen, werden sie keinen bedeutenden Einfluss auf den Kampfverlauf nehmen."

Unter substanziellen Lieferungen seien einige Hunderte Kampffahrzeuge zu verstehen, so Siwkow:

"Genau deswegen fordert Kiew Panzer, egal welche. Doch weil den Europäern sowjetische Maschinen ausgegangen sind, wird die Rede von Waffen westlicher Bauart sein. Dabei sehen wir den Unwillen der USA, der Ukraine Panzer vom Typ M1 Abrams zu liefern, und auch die Verbündeten der USA zeigen bei Lieferungen von Panzern keine besondere Eile."

Die Radpanzer AMX-10 RC seien im Grunde keine vollwertigen Panzer, sagte Siwkow. Es handele sich um Panzerjäger oder Spähfahrzeuge mit Radantrieb. Ihre Panzerung sei schwach und schütze nur gegen Kugeln und Splitter, die 105-Millimeter-Kanone entspreche nicht den modernen Anforderungen an Panzerdurchschlagskraft. Solche Maschinen können durch einfachste Geschosse eines Kampfpanzers vernichtet werden, so Siwkow.

Der Militärexperte Wladislaw Schurygin stimmte Siwkows Einschätzung des französischen Radpanzers AMX-10 RC zu. Er erklärte:

"Sie stellen keine Gefahr dar – im Grunde ist es eine Kanone mit Selbstantrieb, ein selbstfahrendes Geschütz, das wie eine Haubitze schießen kann."

Doch werden die Lieferungen westlicher Panzer anstelle von sowjetischen auch bedeutendere "Geschenke" umfassen, vermutete Schurygin:

"In dem Maße, wie solche leichten Panzer 'ausgeschaltet' werden, werden über den eingeschlagenen Weg Lieferungen von etwas wie den deutschen Leopard-Panzern beginnen. Möglicherweise werden auch die Engländer etwas übergeben."

"In jedem Fall werden die Panzer kommen, denn für den Westen ist es unmöglich, solche Technik der Ukraine nicht zu übergeben", versicherte Schurygin. Daher würden die ukrainischen Streitkräfte alle geforderten Kampfpanzer erhalten: "Natürlich wird das Erscheinen von westlichen Panzern bei der ukrainischen Armee die Frontlage beeinflussen. Während der Spezialoperation schalteten die russischen Streitkräfte über 2.000 gegnerische Panzer aus, darunter solche, die von den USA in den ehemaligen Ostblockstaaten aufgekauft und dem ukrainischen Militär übergeben wurden. Man kommt nicht umhin, weitere auszuschalten."

Ergänzend könnte hinzugefügt werden, dass der Sekretär des ukrainischen Nationalsicherheits- und Verteidigungsrats Alexei Danilow dem Bundeskanzler Olaf Scholz mit "Kämpfen gegen Russen bei Berlin" drohte, sollte die BRD keine Kampfpanzer an Kiew liefern. Laut einer Umfrage, die vom soziologischen Institut YouGov im Auftrag der dpa durchgeführt wurde, lehnt eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung Panzerlieferungen an die Ukraine ab.

Der Leiter des Zentrums für globale Forschungen und internationale Beziehungen des Instituts für aktuelle internationale Probleme der Diplomatischen Akademie des russischen Außenministeriums Wadim Kosjulin merkte ebenfalls an, dass Kiew nach Ersatz für sowjetische Technik suchen muss. Er erklärte:

"Momentan sehen wir aber nur, dass der Westen nur altes Gerät und keine leistungsfähigen modernen Waffen liefert. Und dieser Vorgang wird sich fortsetzen."

Kosjulin zufolge seien für Russland Lieferungen von modernen Kampfpanzern eine der roten Linien. Im Westen wisse man nicht, welche Waffenlieferungen Russland für ein Überschreiten der roten Linie erachten werde, und versuche, Moskaus Reaktion durch "kleine Schritte" abzutasten. Der Experte vermutete:

"Ich denke, dass Lieferungen moderner Waffen zum Überschreiten der roten Linie werden könnten. Für Russland würde dies signalisieren, dass die NATO sich am Konflikt direkt beteiligt."

Wie Kosjulin erklärte, würden Panzerlieferungen an die Ukraine das Kräfteverhältnis verändern, weil zu deren Vernichtung Ressourcen und Waffen erforderlich werden. Gegenwärtig beteilige sich die NATO am Ukraine-Konflikt vergleichsweise zurückhaltend. Moderne Panzerfahrzeuge, Luftabwehrsysteme, Raketensysteme sowie Flugzeuge und leistungsstarke Drohnen würden nicht geliefert. Allerdings verfüge das ukrainische Militär bereits über fortschrittliche Fernmelde- und Spähmittel, so Kosjulin.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei Wsgljad.

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