Europa

Auf der Seite Russlands? Geisterdebatte und Hexenjagd in Serbien

Steht Serbien auf der Seite Russlands? Gleich drei Ereignisse in einer Woche haben in Serbien "Geister geweckt" und eine Hexenjagd ausgelöst: das Stimmverhalten des Landes in der UN, ein Treffen mit dem Berater von Ramsan Kadyrow und der Start des Onlineportals des Mediums Russia Today (RT) in serbischer Sprache.
Auf der Seite Russlands? Geisterdebatte und Hexenjagd in SerbienQuelle: www.globallookpress.com © Tomas Tkacik/Keystone Press Agency

Eine Analyse von Marinko Učur

Zufälligerweise haben letzte Woche drei verschiedene Ereignisse in Serbien "die Geister geweckt" und eine Hexenjagd ausgelöst. Zuerst enthielt sich Serbien am 14. November vor den Vereinten Nationen (UN) der Stimme, um die russische Militäroperation in der Ukraine nicht zu verurteilen. Einen Tag später, am 15. November, traf sich der serbische Präsident Aleksandar Vučić mit dem Berater des tschetschenischen Führers Ramsan Kadyrow – Am selben Tag begann das russische Medium Russia Today (RT) mit seiner Tätigkeit in serbischer Sprache, zunächst nur als Onlineportal.

Das war eine "Alarmglocke" und ein Signal für all jene, die bei einer solchen Entwicklung der Ereignisse eine Verschwörung und Fortsetzung "russischer bösartiger Beeinflussung" erkennen. Es stimmt, dass es in Serbien nur wenige solcher Leute gibt, deren Stimme dank der Unterstützung pro-westlicher Medien dennoch sehr laut ist …  

Gegen die derzeitige serbische Politik, keine Sanktionen gegen Russland zu verhängen, haben sofort verschiedene Seelsorger aus dem In- und Ausland ihre Stimmen erhoben. Ewig unzufrieden mit Serbiens Haltung gegenüber Russland, erinnerte die deutsche Europaabgeordnete der Grünen Viola von Cramon, eine albanische Lobbyistin und Unterstützerin des nicht-anerkannten, selbst ernannten Staates Kosovo, spöttisch auf Twitter daran, "wie alles begann" und "wie alles läuft".

Viele erinnerten sie daraufhin an ihre eigene Vergangenheit – wie alles begann und wie es heute mit ihrer Karriere als Lobbyistin läuft. Auch die serbische Ministerpräsidentin Ana Brnabić reagierte auf die Veröffentlichung von Cramons, welche auch Kosovo-Berichterstatterin des Europaparlaments ist, in der sie das Treffen zwischen dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić und dem Berater des tschetschenischen Führers Ramsan Kadyrow, Turk Daudov, kommentierte:

"Als EU-Berichterstatterin ist es Viola von Cramon egal, dass Pristina das Brüsseler Abkommen seit 10 Jahren ignoriert, aber immer wieder ein Thema über den serbischen Präsidenten eröffnet. Das nennt man Heuchelei."

Direkt an von Cramon gerichtet sagte Brnabić in ungewöhlich scharfem Ton:

"Pristina verstößt mit Ihrer vollen Unterstützung schwerwiegend gegen internationale Abkommen. Glücklicherweise gibt es in der EU Personen, die im Gegensatz zu Ihnen wirklich an Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte glauben. Hiermit beende ich die weitere Diskussion. Mit Heuchlern zu streiten ist Zeitverschwendung."

Viele andere Nutzer des sozialen Netzwerks Twitter äußerten sich ähnlich und machten die deutsche EP-Abgeordnete auf deren "Politik der Doppelmoral" in Bezug auf die serbische Provinz Kosovo und die aktuelle Lage in der Ukraine aufmerksam. Zum ersten Mal seit Beginn der russischen Sonderoperation in der Ukraine hat sich Serbien in der Generalversammlung der Vereinten Nationen bei der Verabschiedung einer der diesbezüglichen Entschließungen der Stimme enthalten. Bei früheren Gelegenheiten hatte Serbien noch "für" die Verurteilung Moskaus gestimmt.

Gegner der Rolle Russlands in der Ukraine sind über diese Tatsache ganz besonders besorgt und erinnern daran, dass alle Balkanländer außer Serbien für die Verabschiedung jener Entschließung gestimmt haben, in der "Moskau aufgefordert wird, die Verantwortung für die Verletzung des Völkerrechts durch den Einmarsch in die Ukraine zu übernehmen und dass dies die Zahlung von Kriegsreparationen an Kiew einschließen sollte." So sagte etwa Vladimir Međak, Vizepräsident der Europäischen Bewegung in Serbien:

"Alles, was intern [in Serbien] passiert, zeigt, dass Serbien mit Leib und Seele auf russischer Seite steht. Und das ist das größte Problem."

Ob diese jüngste Abstimmung eine Änderung des aktuellen außenpolitischen Kurses bedeutet, erklärt der Politologe Dragomir Anđelković so:

"Das offizielle Belgrad versucht, bei der Abstimmung in der UNO und anderen internationalen Organisationen die Forderungen des Westens zu erfüllen, ohne dabei die rote Linie zu überschreiten, die die russische Seite als Akt der Feindseligkeit interpretieren würde. In diesem Zusammenhang hat Serbien mehrfach für Entschließungen des Westens, die Moskau moralischen Schaden zugefügt haben, gestimmt, sich jedoch seiner Stimme für jene enthalten, die eine konkrete Dimension hatten und als Unterstützung von Sanktionen, die gegen Russland verhängt wurden, interpretiert werden könnte. Dennoch hatte dieses Verhalten der serbischen Behörden, die der Kreml in der vorangegangenen Periode toleriert hatte, eindeutig einen negativen Effekt. Es häuften sich Situationen, in denen Belgrad eine für Russland ungünstige Position einnahm, was Moskau Vučić in gewisser Weise mitteilte. Dies hat wahrscheinlich zu unserer Enthaltung in Bezug auf jene Entschließung geführt, in der die Forderung nach Zahlung von Reparationen durch Russland geregelt ist."

Auch der serbische Verteidigungsminister Miloš Vučević teilt die Überzeugung, dass Serbiens langfristiges strategisches Engagement darin besteht, eine selbstständige und unabhängige Außenpolitik zu verfolgen, ungeachtet unterschiedlicher Interpretationen einiger serbischer außenpolitischer Handlungen.

Als dritten Beleg für den nicht vorhandenen, aber in den Medien oft erwähnten "bösartigen Einfluss Russlands auf dem Balkan" heben prowestliche Politiker und Analysten die Eröffnung der Onlineplattform RT (Russia Today) in serbischer Sprache hervor. Früher erregte allein die Ankündigung einer solchen Möglichkeit Verdacht, weil die Europäische Union im Juli 2022 verkündete, dass sie gegen eine solche Möglichkeit sei.                     

Die Regierungsvertreter Serbiens haben auf den Start von RT in serbischer Sprache nicht reagiert, doch jüngste Untersuchungen der Agentur Demostat und des Instituts für europäische Angelegenheiten belegen, dass bis zu 80 Prozent der serbischen Bürger gegen die Verhängung von Sanktionen gegen Russland sind. Der Berichterstatter des Europäischen Parlaments für Serbien, Vladimir Bilčik, reagierte auf den Start von RT auf Serbisch, indem er betonte, dass "es nicht um ein Medium, sondern um russische Kriegspropaganda geht."

Der russische Botschafter in Belgrad, Alexander Botsan-Kharchenko, erklärte daraufhin, dass der EP-Berichterstatter "eigentlich von Belgrad gefordert hat", die Tätigkeit von RT zu verbieten, und damit "die allgemeinen europäischen Werte zynisch in Vergessenheit geraten ließ". Er frage sich, von welcher Art von Meinungsfreiheit in Europa die Rede sei, wenn Belgrad dieses grundlegende demokratische Prinzip im Zuge "eines erfolgreichen Fortschritts des serbischen Volkes in Richtung einer hellen Zukunft in der Europäischen Union aufgeben muss", so der Botschafter weiter.

Mehr zum Thema - Der Balkan: "Jugo-Nostalgien" – Eine Magie, die verschwunden ist

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.