Europa

"Tiefgreifende Inkompetenz": Kiew droht westlichen Banken mit Internationalem Strafgerichtshof

Kiew fordert von den großen europäischen und US-amerikanischen Banken, dass sie ihre Geschäftsbeziehungen zu Unternehmen, die mit Erdöl aus Russland handeln, abbrechen und ihre Beteiligungen an russischen Öl- und Gasunternehmen verkaufen. Andernfalls werde man diese Banken vor dem Internationalen Strafgerichtshof verklagen. Außerdem würde ihnen die Beteiligung am Wiederaufbau des Landes nach dem Krieg von den ukrainischen Behörden verwehrt bleiben.
"Tiefgreifende Inkompetenz": Kiew droht westlichen Banken mit Internationalem StrafgerichtshofQuelle: www.globallookpress.com © Stefan Kiefer

von Polina Duchanowa und Jekaterina Komarowa

Kiew werde vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) Klage gegen große europäische und US-amerikanische Banken erheben, sollten diese ihre Beziehungen zu denjenigen Unternehmen nicht kappen, die mit russischem Erdöl handeln, kündigte der Wirtschaftsberater des Präsidenten, Oleh Ustenko, an. Beschwerdeschreiben wurden an JPMorgan Chase, Citigroup, HSBC und Credit Agricole verschickt. Darin wird auch erwähnt, dass die ukrainischen Behörden diesen Kreditinstituten keine Lizenz bei dem künftigen Wiederaufbau des Landes erteilen werden, wenn die oben genannten Anforderungen nicht erfüllt werden. Unterdessen verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage in der Ukraine rapide. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge benötigt Kiew jeden Monat zwischen 5 und 9 Milliarden. USD, um das Haushaltsdefizit zu decken, und setzt seine Hoffnungen in dieser Angelegenheit auf die westlichen Partner. Die Experten meinen, die provokante Rhetorik der ukrainischen Behörden spreche für ihre Inkompetenz und den Wunsch, ihre Wichtigkeit mit allen Mitteln zu unterstreichen.

Nach Angaben des Beamten ist die Liste der Forderungen in den Briefen aufgeführt, die an den Chef der amerikanischen JPMorgan Chase James Dimon, den CEO der britischen HSBC Noel Quinn, sowie an die amerikanische Citigroup und die französische Finanzgruppe Credit Agricole geschickt wurden.

In den Briefen, deren Inhalt der Financial Times vertraut ist, heißt es, dass HSBC und Credit Agricole Aktien von Gazprom und Rosneft besitzen, dass Citigroup Kredite an das russische Unternehmen LUKOIL und die niederländische Vitol vergibt, die mit russischem Öl handelt, und dass JPMorgan Chase Kreditlinien für Vitol bereitstellt und Anteile an Gazprom, Sberbank und Rosneft hält.

Die Zeitung unterstreicht auch die besondere Aufregung der ukrainischen Regierung über eine Analyse von JPMorgan Chase, die besagt, dass der Versuch, eine Preisobergrenze für russisches Erdöl festzulegen, zu einem Preisanstieg auf "schwindelerregende 380 Dollar pro Barrel" führen könnte. In seinem Brief an James Dimon bezeichnete Ustenko den Bericht als "Panikmache auf der Grundlage einer fehlerhaften Analyse".

Außerdem, so der Selenskij-Berater, sammele der ukrainische Geheimdienst bereits Informationen darüber, wie die westlichen Finanzunternehmen die russische Öl- und Gasindustrie unterstützen, um nach dem Ende des russisch-ukrainischen Konflikts entsprechende Klagen beim Internationalen Strafgerichtshof gegen sie einzureichen.

"Ich glaube, sie begehen ein Kriegsverbrechen, weil auf diese Weise dem Regime Putins geholfen wird, sie unterstützen es", sagte der Beamte.

Allerdings liegt es nicht in der Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs, gegen Regierungen und Unternehmen zu ermitteln und sie vor Gericht zu stellen, wie die Financial Times klarstellt. Der ICC kann nur gegen Einzelpersonen vorgehen.

Darüber hinaus, so die Journalisten, haben Citigroup und Credit Agricole ihre Aktivitäten in Russland seit Beginn der Spezialoperation eingeschränkt, und JPMorgan Chase betonte gegenüber Reportern der Zeitung, dass sie sich strikt an die Sanktionen halten, obwohl deren Umsetzung "eine unglaublich schwierige Aufgabe" geworden sei.

Kürzung der finanziellen Unterstützung

Nicht zum ersten Mal droht Kiew seinen Verbündeten, die es nicht eilig haben, auf russische Energieressourcen zu verzichten. Derselbe Oleh Ustenko äußerte in einem Interview mit dem Fernsehsender Sky News am 23. März die Absicht der ukrainischen Führung, westliche Länder zu verklagen, die dem Import russischen Erdöls keine Absage erteilt haben.

Währenddessen verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage in der Ukraine rapide. Und die Behörden des Landes können nicht über die Höhe der notwendigen finanziellen Unterstützung entscheiden. So hat die Washington Post am 25. April den ukrainischen Finanzminister Serhiy Marchenko mit den Worten zitiert, Kiew benötige eine monatliche finanzielle Hilfe von mindestens 5 Milliarden Dollar. Dabei erwarte man in der Ukraine, dass 2 Milliarden Dollar dieser Summe von den USA zur Verfügung gestellt werden, so die Zeitung.

Auch der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij nannte in seiner Videoansprache vor dem Global Policy Forum am 20. Juni die Zahl von 5 Milliarden Dollar. Seinen Worten nach entspricht dies dem Betrag, der jeden Monat eingeht und zur Deckung des Haushaltsdefizits des Landes benötigt wird.

Doch nicht einmal einen Monat später hat sich diese Zahl im Munde von Ustenko fast verdoppelt. Wie der Berater des ukrainischen Präsidenten am 13. Juli gegenüber der Financial Times erklärte, benötigt das Land nun monatlich 9 Milliarden Dollar von seinen Verbündeten, um den Haushaltsdefizit zu decken.

"Wir werden auf jeden Fall versuchen zu überleben, aber ohne die finanzielle Unterstützung unserer Verbündeten wird es sehr schwierig, ja fast unmöglich", sagte Ustenko.

In der Zwischenzeit, so stellte das Deutsche Institut für Weltwirtschaft am 6. Juli fest, welches seit dem 24. Februar der Ukraine zugesagte militärische, finanzielle und humanitäre Hilfe dokumentiert, ist die Dynamik der Unterstützung für das Land weltweit rückläufig. Die Agentur Bloomberg berichtete am 15. Juli, dass sich die EU-Länder nicht auf ein 9-Milliarden-Euro-Hilfspaket für Kiew einigen konnten, welches von der Europäischen Kommission im Mai versprochen wurde. Die Finanzminister der EU-Staaten haben sich auf 1/9 des zugesagten Betrags für die Ukraine geeinigt.

"Der Westen will mit dem Minimum auskommen"

Von RT befragte Experten glauben, dass Kiew durch seine neuen Forderungen an westliche Unternehmen und Staaten die Möglichkeiten auslotet, um sich noch mehr Präferenzen zu ergaunern.

"Es ist ein Versuch, den Westen dazu zu bringen, sich mit mehr Geld zu engagieren, als es bereit ist zu tun. Wir sehen, wie die Verbündeten bestrebt sind, Waffen zu liefern, doch keine Geldtransfers. Das liegt an dem Bemühen des Westens mit dem Minimum auszukommen, während die Ukraine das Maximum aus ihren Partnern herausholen will", sagte Wladimir Bruter, Experte am Internationalen Institut für humanitäre und politische Studien, in einem Gespräch mit RT.

Zudem versuche Kiew, seine Wichtigkeit in der Wahrnehmung seiner westlichen Partner zu erhöhen, weshalb es sich an internationale Organisationen wende, wie z. B. den Internationalen Strafgerichtshof, egal ob das Sinn mache oder nicht.

"Die ukrainische Führung ist juristisch nicht besonders kompetent, doch ihr ist bewusst, dass solche Strukturen im Westen eine gewisse Autorität besitzen, und so versucht man, sie als Instrument zu nutzen, um Druck auf seine Verbündeten auszuüben, vor allem seit Kiew bemerkt hat, dass seine Interessen allmählich vernachlässigt werden", bemerkt der Experte.

Wladimir Olentschenko, leitender Mitarbeiter des Zentrums für Europastudien des IMEMO an der Russischen Akademie der Wissenschaften, erinnerte seinerseits daran, dass es sinnlos sei, die Finanzorganisationen mit dem Internationalen Strafgerichtshof einzuschüchtern, denn die Hälfte von ihnen sei in den USA ansässig. Er unterstrich, dass die USA zum einen kein Mitglied des IStGH sind, und zum anderen diesem Gericht die Verfolgung seiner Bürger untersagt ist.

"Entweder zeigen die Ukrainer hier große Inkompetenz oder sie führen die Öffentlichkeit absichtlich in die Irre. Denn es ist absolut lächerlich, sich an eine Stelle zu wenden, die nicht gegen die Amerikaner vorgehen kann", so der Analyst gegenüber RT.

Absurd sind auch die Drohungen der Kiewer Behörden, westliche Kreditinstitute nicht am späteren Wiederaufbau des Landes teilhaben zu lassen, da nicht bekannt ist, in welchem Format sich die Ukraine nach dem Ende der russischen Spezialoperation befinden wird.

"Ich bezweifle, dass die Regierung Selenskijs nach der Beendigung des Konflikts am Ruder bleiben wird. Sobald sich die Lage stabilisiert, wird diese entweder selber zurücktreten oder, wie man sagt, wird sie darüber beraten werden. Und das Land wird von ganz anderen Leuten wieder aufgebaut werden, auf der Grundlage der Gegebenheiten, die dann herrschen werden", sagte Olentschenko.

Wladimir Bruter teilt diese Meinung und ist der Ansicht, dass die aktuellen Drohungen und Erklärungen der Kiewer Behörden nur ein Versuch sind, das Interesse an sich selbst zu wecken.

"Im Westen weiß man, dass die Ukraine heute keine Entität darstellt und ihr Schicksal nicht selbst bestimmt, das immer noch recht unbestimmt ist. Aus diesem Grund werden alle Entscheidungen nach dem Ende der militärischen Spezialoperation Russlands ausnahmslos nicht in Kiew getroffen werden. Und all die Projekte, die von der Ukraine derzeit geplant werden, interessieren den Westen überhaupt nicht", resümierte der Experte.

Übersetzt aus dem Russischen

Mehr zum Thema - Spekulationen in der New York Times: Lassen die USA Selenskij fallen?

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.

Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.