Europa

EU einigt sich auf Gas-Notfallplan – Ungarn stimmt dagegen

Wegen einer weiteren kaputten Gasturbine drosselt der russische Gaskonzern Gazprom weiter seine Lieferungen nach Europa. Die EU-Staaten reagieren mit einem Notfallplan zur nationalen Reduktion des Gaskonsums um 15 Prozent. Doch die Industrie sieht bereits schwarz. Mit den Sanktionen schade sich Europa lediglich selbst.
EU einigt sich auf Gas-Notfallplan – Ungarn stimmt dagegenQuelle: www.globallookpress.com © Nikolay Gyngazov

Die EU-Staaten haben sich angesichts der weiteren Reduzierung russischer Gaslieferungen über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 auf einen Notfallplan für diesen Winter verständigt. Ziel ist es, 15 Prozent Gas einzusparen. Der Plan sieht allerdings auch zahlreiche Ausnahmen vor. Nach Angaben von Wirtschaftsstaatssekretär Sven Giegold war die Entscheidung bei dem Energieministertreffen in Brüssel ganz klar. „Riesenmehrheit, nur Ungarn war dagegen“, schrieb der Grünen-Politiker auf Twitter.

Notfallplan erstmal bis März

Der Plan soll demnach die Risiken für die europäischen Länder reduzieren, die mit einem möglichen vollständigen Lieferstopp von russischem Gas einhergehen würden. Nach Informationen der dpa sieht der Plan eine Senkung des nationalen Konsums um 15 Prozent im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 31. März 2023 auf freiwilliger Basis vor. 

Bei weitreichenden Versorgungsengpässen sollen die EU-Länder künftig zudem einen "Unionsalarm" auslösen können und verbindliche Einsparziele vorgeben dürfen. Im Vergleich zum ersten Entwurf der EU-Kommission sieht der Plan jedoch deutlich mehr Ausnahmemöglichkeiten vor. Auch die Hürden für die Einführung von verbindlichen Einsparzielen wurden von den Vertretern erhöht. Über letztere soll demnach nur vom Rat der Mitgliedsstaaten und nicht von der EU-Kommission entschieden werden können.

Dies bedeutet, dass ein Kommissionsvorschlag für verbindliche Einsparziele die Zustimmung einer Gruppe von 15 der 27 EU-Länder benötigt. Zudem müssten diese laut der Beschlussvorlage zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der Union stellen.

Dennoch soll es Ausnahmeregelungen geben

Überdies sind für Länder wie Zypern, Malta und Irland angesichts des Streits der letzten Tage Ausnahmeregelungen vorgesehen. Diese sollen demnach nicht zum Gassparen verpflichten werden können, solange sie nicht direkt mit dem Gasverbundnetz eines anderen EU-Mitgliedsstaats verbunden sind.

Bei anderen Staaten sollen den Quellen zufolge etwa Anstrengungen zur Einspeicherung von Gas, eine drohende Stromkrise und der Verbrauch von Gas als Rohstoff etwa zur Erzeugung von Düngemitteln die verpflichtende Einsparmenge reduzieren können.

Bereits während der Beratungen der ständigen Vertreter der Mitgliedsstaaten hatte sich gezeigt, dass ein Großteil der Länder Solidarität für äußerst wichtig halte und Gas einsparen wolle, so die Informanten. Lediglich drei andere Mitgliedsstaaten hätten neben Ungarn zuletzt noch größere Vorbehalte geäußert. 

Habeck spricht von Wirtschaftskrieg 

Am Montag hatte der russische Gaskonzern Gazprom angekündigt, die Lieferungen von Gas durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 von derzeit 40 Prozent auf 20 Prozent der maximalen Kapazität zu senken. Demnach sollen täglich künftig lediglich noch 33 Millionen Kubikmeter Gas durch die Versorgungsleitung nach Deutschland fließen. Grund hierfür sei nach Angaben von Gazprom die nötig gewordene Reparatur einer weiteren Turbine. 

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) hatte Russland darauf hin vorgeworfen, einen Wirtschaftskrieg gegen den Westen zu führen. Die jüngste Drosselung sei "jetzt keine Überraschung, wenngleich immer wieder ärgerlich, dass Gazprom andere Gründe vorschiebt", sagte Habeck am Montagabend in den ARD-Tagesthemen. "Dass sie nicht einmal den Mumm haben zu sagen, wir sind in einer wirtschaftskriegerischen Auseinandersetzung mit euch", ergänzte er. Stattdessen würden "Farce-Geschichten" verbreitet über nicht funktionierende Turbinen, die schlicht nicht der Wahrheit entsprächen.

Allerdings ließ der Grünen-Politiker während seiner Wutrede am Montagabend aus, dass die drohende Gasmangellage nicht auf ein "perfides Spiel" des russischen Präsidenten Wladimir Putin, sondern vielmehr auf die Folgen der westlichen Sanktionen gegen Russland zurückzuführen ist. 

Laut einem früheren Bericht der russischen Zeitung Kommersant sind an der Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 derzeit mehrere Gasturbinen reparaturbedürftig. Zwar erlaube es eine aktuelle Lizenzvereinbarung der Turbinenherstellerfirma Siemens Energy bis Ende 2024 fünf weitere Turbinen zur Reparatur anzunehmen, angesichts der strengen Sanktionen gestaltet sich das jedoch schwierig. Somit ist es der Westen, der die von Bundeswirtschaftsminister Habeck als "Wirtschaftskrieg" bezeichneten Drosselungen russischer Gaslieferungen verantwortet – nicht Russland. 

Sanktionspolitik des Westens mit fatalen Folgen für die Wirtschaft

Der Vorsitzende des Bundestags-Ausschusses für Klimaschutz und Energie, Klaus Ernst (Die Linke), hatte die Bundesregierung angesichts der schwerwiegenden Folgen für die Wirtschaft kürzlich dazu aufgefordert, ihre Sanktionspolitik gegen Russland zu revidieren. Es könne nicht sein, "dass die Bundesregierung monatelang an der Sanktionsschraube im Energiesektor dreht und sich nun wundert, dass Russland seinerseits seine Lieferungen wohl drosselt", erklärte der Linken-Politiker.

Die Bundesregierung sollte erkennen, so Ernst, dass die Sanktionen der eigenen Bevölkerung und den Unternehmen massiv schaden. "Wir brauchen keine Sanktionspolitik, die nur Symbolcharakter hat und die eigenen Beschäftigten, Rentner und Familien zu Leidtragenden macht." 

Derweil bereitet sich die deutsche Industrie auf einen drohenden Gaslieferstopp vor. Hintergründe für die neuen Planungen ist der jüngste Rückgang der Erdgaseinfuhren aus Russland. Großverbraucher der Chemie-, Metall- und Baustoffindustrie untersuchen bereits jetzt verschiedene Szenarien, um die Auswirkungen einer Erdgaskrise auf die eigenen Produktionsprozesse genau herauszufinden.

Und diese sind fatal, wie Jörg Rothermel vom Verband der Chemischen Industrie Deutschlands kürzlich im Gespräch mit der Zeitung Financial Times erklärte:

"Es besteht jetzt die Gefahr, dass wir in Deutschland bestimmte Dinge nicht mehr produzieren können, weil es einfach kein Gas mehr gibt oder die Energiepreise so hoch sind, dass es sich nicht mehr lohnt."

Zwar hätten einige Unternehmen Anlagen, die mit anderen Brennstoffen wie Öl oder Kohle betrieben werden können, so Rothermel. Jedoch können auf diese Weise lediglich zwei bis drei Prozent des Gasverbrauchs der chemischen Industrie ersetzt werden. "Das reicht nicht aus, um unser Problem zu lösen."

Auch Privathaushalte dürfen sich bereits jetzt schon über ausufernde Preissteigerungen und andere Einschränkungen "freuen". So rationieren laut Medienberichten erste Wohnungsgesellschaften unter anderem die Zufuhr von Warmwasser oder senken die maximale Raumtemperatur, mit denen die Wohnungen beheizt werden dürfen. Neben dem drohenden Zusammenbruch der Industrie stehen Deutschland wegen der Sanktionspolitik also auch drastische soziale Folgen bevor. So bedeutet der nun von der EU forcierte Gas-Notfallplan für die Menschen in Europa nur eines: Eine willkürlich geführte Energieplanwirtschaft durch den Gesetzgeber, die bereits zuvor nur mit leeren Versprechungen sowie Verfehlungen punktete. 

Mehr zum Thema – Energie-Krise: Fast jeder zweite Deutsche will demonstrieren – Innenministerium ist "vorbereitet"

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.