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"Ich hasse Russisch": Wie ein neunjähriger Junge zum ukrainischen Nationalisten erzogen wird

Schon als Zweijähriger hatte Michail "Mischa" Korneschiwski die ukrainische Hymne gesungen. Später avancierte er zur Ikone der Nationalisten. Denn Mischa ist trotz seines noch jungen Alters schon ein überzeugter Aktivist, der keine Kompromisse mit dem "Feind" duldet.
"Ich hasse Russisch": Wie ein neunjähriger Junge zum ukrainischen Nationalisten erzogen wird© Facebook Козак Михайлик

"Ich heiße Michailo, ich bin neun Jahre alt, und ich gehe in vierte Klasse. Ich liebe alles Unsrige – unsere heimische ukrainische Musik, Literatur und insbesondere Geschichte. Ich finde es aber schade, dass Geschichte erst ab der fünften Klasse gelehrt wird." Mit diesen Worten begrüßt der Junge seine Zuschauer in einem seiner zahlreichen Videos auf Facebook. Er fährt fort:

"Leider verzerren Feinde unsere Geschichte mit ihren Lügen. Jeder Ukrainer sollte zwischen denjenigen unterscheiden, die unseren Staat schufen, und moskautreuen Verrätern und Abtrünnigen." Das Video bekam mehr als 12.000 Likes. Die meisten Kommentatoren sind sich einig: "Wir wünschen uns mehr solcher Kinder."

Michail (ukrainisch Michailo) Korneschiwski, bekannt als Kosak Michailik und auch Mischa genannt, ist seit Jahren der Facebook-Star der "patriotischen" Szene – inzwischen hat er 32.500 Abonnenten. Der Junge trägt immer einen Zopf nach Art der Saporoger Kosaken und das nationale Strickhemd namens Wyschiwanka. In dieser Gestalt trat er schon zweimal als Schauspieler auf und war dabei das Werbegesicht einer patriotischen Filmproduktion.

Wie seiner Facebook-Seite zu entnehmen ist, pilgert Mischa gerne zu nationalistischen Erinnerungsorten, lässt sich mit Wachsfiguren der nationalistischen Führer Stepan Bandera und Roman Schuchewitsch fotografieren und singt Lieder der Ukrainischen Aufstandsarmee.

Seine Gesinnung hat der kleine Mischa offenbar seiner Mutter zu verdanken, denn bereits mit zwei Jahren kannte er die ukrainische Hymne auswendig, weil er sie jeden Abend als Schlaflied gehört hatte. Am Samstag gab er dem Fünften Kanal des Ex-Präsidenten Petro Poroschenko sein erstes großes Interview. Auf Youtube wurde das Video unter dem Titel "Kosak Michailik, der das Netz zum Kochen brachte und die Watte (abschätzige Bezeichnung für "Prorussen" – Anm. der Red.) verärgerte" veröffentlicht.

Im ersten Kommentar unter dem Beitrag legte der Sender nach: "Dieses Video hat die Watte in Moskowia und hiesige Kollaborateure in Rage versetzt." Was aber sagte der neunjährige Patriot im Interview?

So kamen er und die Moderatorin mehrmals auf das "Problem" der Russischsprachigen in der Ukraine zu sprechen. Für den Jungen ist sein Land nicht ukrainisch genug. Außerdem könne Michail nicht hören, wie Gleichaltrige russische Lieder pfeifen. "Ich werde davon rasend und frage: 'Wie kannst du so was hören? Das ist doch sch…!'" Er beklagte sich über Lehrer und Schüler, die Russisch in der Schule sprechen.

"Das System muss strenger sein. Diejenigen, die Russisch sprechen, müssen aus der Schule gejagt werden, um Ukrainisch zu lernen, oder sie sollen sich eine neutrale Schule suchen."

Der Junge betonte, dass er und seine Gleichaltrigen verschiedene Interessen haben.

In Bezug auf die Aussagen des russischen Präsidenten, Russen und Ukrainer seien eigentlich ein Volk, teilte Mischa mit, dass jene, die dieser Meinung sind, nach Russland ausgewiesen werden müssten, sobald die Ukraine die Krim und die Volksrepubliken Donezk und Lugansk unter ihre Kontrolle gebracht habe.

Schon mit sechs Jahren hatte Mischa zum Verhältnis zwischen Russland und Ukraine eine klare Meinung. "Die Moskauer sind in unser Gebiet eingedrungen, weil sie nie genug haben. Seit den Zeiten des zaristischen Russlands haben sie unsere Geschichte gestohlen. Alle wollten uns vernichten. Alexander II. verbot per Dekret die ukrainische Sprache, aber die Menschen sprachen sie trotzdem, und sie wurden dafür gefoltert und getötet", wurde der Junge in einem Artikel zitiert.

Auf die Frage, welcher Präsident ihm besser gefalle, sagte der Junge, dass er Poroschenko unterstütze. Seine Präsidentschaft "waren die besten Jahre meines Lebens", sagte er. Zusammen mit der Moderatorin rief er alle bekanntesten Parolen der Nationalisten, darunter "Ruhm der Nation, Tod den Feinden" oder "Ukraine über alles".

In der Kommentarspalte unter dem Video bekam der Junge viel Lob. "Sehr guter Gast, ein weises Kind. Solche Kinder sind die Sonne der Ukraine" oder "Wenn wir mehr solcher Kinder hätten, wäre unsere Zukunft schön und frei!" waren die typischen Kommentare.

Doch außerhalb des Zielpublikums des Kanals kam es zu scharfer Kritik. Viele regierungskritische Journalisten in der Ukraine werteten das Interview als Skandal und warfen dem TV-Sender und den Eltern Kindesmissbrauch zu Propagandazwecken vor.

"Der Junge hat eine voll ausgebildete Neurose, die auf dem ukrainischen Nationalismus beruht. Das heißt, die Eltern haben ihren Sohn absichtlich in den Wahnsinn getrieben und sind auch noch stolz darauf", schrieb der Journalist Juri Tkatschew aus Odessa auf seinem Telegram-Kanal.

Der Fernsehmoderator Max Nasarow sagt, dass solche "Rendezvous" (der Titel der Sendung) dazu dienen, den Hass zwischen den Ukrainern zu schüren.

"Ich sage Ihnen als Fernsehmensch: Die Macher dieser Sendung sind selten zynische A…er. Sie (die Moderatorin) und ihresgleichen tun seit Langem alles, um den Hass zwischen den Ukrainern zu einem Dauerzustand zu machen. Nicht zwischen Ukrainern und Russen, sondern zwischen uns innerhalb desselben Staates, innerhalb derselben Gesellschaft. Sie sind ausgewiesene Separatisten, die unbedingt innerhalb der Grenzen einiger Regionen bleiben wollen", schrieb er auf seinem Telegram-Kanal.

Als in Kiew die Kämpfe zwischen Nationalisten und der Polizei im Zentrum von Kiew tobten, war Mischa erst zwei Jahre alt. Im Interview sagt er, dass er an die Live-Übertragungen vom Kiewer Maidan noch erinnern könne. Nach dem Staatsstreich im Januar/Februar 2014 und einer Reihe "revolutionärer" Verordnungen und Gesetze steht das Erziehungssystem in der Ukraine unter dem starken Einfluss der Nationalisten.

Doch es fällt auf, dass der kleine "Kosak Michailik" als Sonderling nur von einem Teil der Erwachsenen bewundert wird. Mit den Gleichaltrigen kommt er nicht zurecht, was er selbst beleidigt zugibt. Offenbar können die meisten von ihnen mit Mischas Liebe zum Archaischen wenig anfangen. Russisch, die Sprache des Internets und der Popkultur, bleibt trotz der Verbannung aus dem Bildungssystem (noch) Verkehrssprache unter den Jugendlichen. Als diejenigen, die konventionelle Medien nicht mehr konsumieren, bleiben sie weniger empfänglich für die durch das Fernsehen vermittelten Feindbilder.

Darauf deuten zumindest die letzten Umfrageergebnisse hin, wonach ganze 44 Prozent der jungen Ukrainern der Aussage des russischen Präsidenten Wladimir Putin, dass "Russen und Ukrainer ein Volk sind, das demselben historischen und geistigen Raum angehört", zustimmten. Das sind drei Prozent mehr als im Landesdurchschnitt – die abtrünnigen Donbass-Republiken nicht eingerechnet.

Mehr zum Thema - Umfrage: 41 Prozent der Ukrainer bejahen die historische Einheit von Ukrainern und Russen

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