Europa

Rudert der Westen in Weißrussland zurück? Lettlands Außenminister erkennt Tichanowskaja nicht an

Der lettische Außenminister Edgars Rinkēvičs schloss die Anerkennung von Tichanowskaja als Gewinnerin der Präsidentschaftswahl in Weißrussland nach jetzigem Kenntnisstand aus. Ein Riss in der Einheitsfront, rudert der Westen in seinen Bemühungen um einen Regimewechsel zurück?
Rudert der Westen in Weißrussland zurück? Lettlands Außenminister erkennt Tichanowskaja nicht anQuelle: Reuters © Ints Kalnins

Der Westen scheint trotz aller Hoffnung  den gewünschten Regimewechsel in Weißrussland nicht (weiter) mit dem sprichwörtlichen Holzhammer durchsetzen zu wollen. Oder vielmehr begrüßen dies nicht mehr alle – wenn das Verhalten des lettischen Außenministers als Anzeichen gewertet werden darf:

Vernehmlich verkündete der Außenminister Edgars Rinkēvičs in Lettland, dass Tichanowskaja nach jetzigem Kenntnisstand nicht als Gewinnerin der Wahlen anerkannt werden kann. Denn echte Wahlergebnisse lägen nicht vor, sondern nur Nachrichten, denen zufolge es "weiträumigen Wahlbetrug" gegeben habe, hieß es in der lettischen Nachrichtenagentur LETA.

Und obwohl Lettland – wie alle anderen Länder der EU auch – fleißig an Sanktionen gegen Weißrussland arbeitet: Der Unterschied zum Verhalten von westlichen Politikern in einer ähnlichen Situation ist beträchtlich – nämlich als im Jahr 2014 in Weißrusslands Nachbarland Ukraine die als Maidan bekanntgewordenen Unruhen ausbrachen. Damals beharrte etwa der damalige deutsche Außenminister Steinmeier darauf, zwischen der Regierung von Janukowitsch und der Opposition vermitteln zu wollen und unterstützte dabei die Opposition de facto bedingungslos, die sich dann an die Macht putschte. Heute – sechs Jahre später – warnte der Außenminister Lettlands – also gleichfalls oberster Diplomat eines EU-Landes –, davor, in Weißrussland etwas "vom Rande aus" lösen zu wollen. Die Lösung der Probleme könne nur in Weißrussland selbst gefunden werden.

Besonders frappierend ist der Unterschied zum Verhalten der westlichen Länder im Verhalten zu einem weiteren Land: Venezuela, in dem bisher den äußeren Akteuren – allen Regimewechsel-Versuchen zum Trotz – nicht einmal ein Aufstand gelang. Der sogenannte Interimspräsident Juan Guaidó wurde ausnahmslos von allen Staaten der Europäischen Union als solcher anerkannt, obwohl die Unterstützung, die er zuhause in Venezuela genießt, verschwindend gering ist und nicht einmal an die Unterstützung für die unterlegenen Oppositionskandidaten in Weißrussland heranreicht.

Zwischenzeitlich erklärte nun am Donnerstag der polnische Außenminister Jacek Czaputowicz seinen Rücktritt. Zwar geschah das an demselben Tag, an dem sein Treffen mit einem anderen weißrussischen Präsidentschaftskandidaten, mit Waleri Zepkalo bekannt wurde: Auf diesem Treffen in Warschau wurde die Gründung einer US-amerikanisch-polnischen Stiftung zur juristischen und finanziellen Unterstützung Oppositioneller in Weißrussland besprochen, wie Zepkalo auf seinem Telegram-Kanal berichtete.

Allerdings gibt es hierbei zu bedenken: Czaputowicz hatte seinen Rücktritt irgendwann nach der Präsidentschaftswahl in Polen schon im Juli angekündigt, erinnert San Francisco Chronicle.

Dennoch ist es schwierig, seinen Rücktritt just während der Versuche Polens, die Bemühungen westlicher Länder um einen Regimechange in Weißrussland anzuführen, als gänzlich unüberlegt oder zufällig zu bezeichnen:

Nicht nur strebten die Präsidenten des Visegrád-Quartetts – Tschechiens, Ungarns, der Slowakei und eben auch Polens – nach einer Vermittlerrolle der Europäischen Union zwischen der weißrussischen Regierung und – wie sie es nannten – "der Gesellschaft" Weißrussland. Sondern ferner rief der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki auch noch die EU-Staaten dazu auf, die weißrussische Wirtschaft "weniger von Russland abhängig" zu machen. Dafür kündigte er auch Lockerungen der Einreiseregelungen für weißrussische Staatsbürger nach Polen an, schreibt die Deutsche Welle (DW) – eine Maßnahme, die Polen allem Anschein nach im Alleingang ergreifen würde.

Möglich, dass sich die Regierung Lettlands – als erstes und bisher einziges baltisches Land, und im Gegensatz zum Visegrád-Quartett – der wirklichen Risiken bewusst wurde, die eine rücksichtslose Einmischung in die inneren Angelegenheiten Weißrusslands in sich birgt, etwa wie sie seinerzeit in der Ukraine erfolgte. Damit findet sich das Land diesmal allerdings in der Gesellschaft anderer, größerer EU-Staaten wieder, die sich derzeit zumindest auf dem diplomatischen Parkett größtenteils  deutlich vorsichtiger geben. Thierry Breton, amtierender EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen, brachte es bei einer außerordentlichen EU-Videokonferenz zur Krise in Weißrussland – abgesehen von seiner geografischen Reduktion Europas lediglich auf des Territorium der EU – am treffendsten zum Ausdruck, wie Reuters zitiert:

Weißrussland ist nicht Europa, es ist an der Grenze Europas, zwischen Europa und Russland, und die Situation dort ist nicht mit der in der Ukraine oder Georgien vergleichbar. Weißrussland ist wirklich stark mit Russland verbunden – und der Großteil der Bevölkerung ist für enge Verbindungen zu Russland.

Zu solchen Verbindungen der Völker gehören übrigens nicht zuletzt auch offizielle, staatliche Bindungen mit völkerrechtlicher Geltung: Erstens die gemeinsame Mitgliedschaft in der Russisch-Weißrussischen Union samt einem entsprechenden Vertrag, zweitens in der Organisation des Vertrages für kollektive Sicherheit. Bei einem Telefonat am Sonntag gab Russlands Präsident seinem weißrussischen Kollegen Lukaschenko zu verstehen, dass Weißrussland zur Überwindung der bestehenden Herausforderungen auf Russlands Hilfe im Rahmen dieser beiden Verträge zählen kann.

Es wäre nicht schlecht, wenn sich die anderen "jungeuropäischen" Nachbarn Weißrusslands – trotz aller aktuellen politischen Nähe zu den USA – ebenfalls rechtzeitig daran erinnern würden.

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