Europa

"Bulgarien ist kein Rechtsstaat" – Aktivisten protestieren vor Bundeskanzleramt

Zehntausende Menschen protestieren seit 30 Tagen ununterbrochen auf den Straßen Bulgariens. Sie werfen der Regierung von Premierminister Bojko Borissow Korruption, Machtmissbrauch und mangelnde Rechtsstaatlichkeit vor.
"Bulgarien ist kein Rechtsstaat" – Aktivisten protestieren vor BundeskanzleramtQuelle: RT

Seit Beginn der Proteste in Bulgarien am 7. Juli 2020 versammeln sich wöchentlich bulgarische Demonstranten vor der bulgarischen Botschaft in Berlin, um ihre Landsleute im Kampf gegen die Mafia zu unterstützen. Erstmalig hat die bulgarische Gemeinde in der deutschen Hauptstadt am 23. Juli ihre Unzufriedenheit mit der aus ihrer Sicht korrupten Regierung der GERB-Partei vor der CDU-Zentrale geäußert. Die GERB, die Partei des bulgarischen Ministerpräsidenten Bojko Borrisow, beteiligt sich an der konservativen Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament und wurde im Laufe der Anti-Regierungsproteste von dem EVP-Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber unterstützt.

Am Nachmittag des 6. August versammelten sich erneut viele Bulgaren zu einem friedlichen Protest gegen die Borissow-Regierung vor dem Bundeskanzleramt. Auf diese Weise wollen sich die knapp 60 Protestierenden im Namen ihrer Landsleute an die deutsche Regierung richten, die trotz der von der bulgarischen Opposition bemängelten Korruptionsvorwürfe die Regierung von Bojko Borissow unterstützt.

Dazu erklärte der 27-jährige Alexander, einer der Protestteilnehmer, gegenüber RT Deutsch:

Durch die in den letzten Wochen erschienenen Berichte in vielen bulgarischen und auch europäischen Medien wurde schon jedem im Land klar: Die Korruption in Bulgarien ist auf einer sehr hohen Ebene – nicht nur im Innenministerium, sondern auch in der Staatsanwaltschaft und im Parlament. Dazu ist der Generalstaatsanwalt Iwan Geschew 'der Mann fürs Grobe' von Peevski oder Dogan geworden. Er verfolgt Feinde der Regierung, unternimmt jedoch keine Untersuchung der ganzen Korruptionsskandale. Es wundert mich sehr, wie die Europäische Union keine Position dazu einnimmt.

Auf eine Anfrage von RT Deutsch zu einer Stellungnahme seitens des Bundeskanzleramtes antwortete Natascha Garloff, Chefin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, am Tag der Proteste wie folgt:

Deutschland und Bulgarien verbindet eine enge Freundschaft und Partnerschaft. Als Mitgliedsstaaten der Europäischen Union teilen wir gemeinsame Werte. Der Rechtsstaatlichkeit kommt dabei besondere Bedeutung zu, denn sie ist Grundvoraussetzung für die Achtung der Grundrechte und der Demokratie, ebenso wie für das Funktionieren der EU.

Vor diesem Hintergrund ist das Thema Rechtsstaatlichkeit eine der Prioritäten der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. In enger Zusammenarbeit mit den EU-Institutionen sind wir demnach bestrebt, diese Fragen intensiv zu behandeln. Dabei halten wir einen konstruktiven Dialog aller Partner für unabdingbar.

Seit dem Jahr 2007 ist Bulgarien Teil der EU. Das Land trat der Union zusammen mit Rumänien bei. Heute denken jedoch viele der protestierenden Bulgaren, dass Rumänien viel besser abschneide. Dieser Punkt wurde von den Protestierenden am Donnerstag des Öfteren erwähnt:

Bulgarien ist kein Rechtsstaat. Und das verlangsamt unsere EU-Integration sehr. Wir wollen uns zusammen mit den anderen EU-Ländern entwickeln. Gerade bilden wir das Schlusslicht und können kaum Schritt mit Ländern, wo eine Justizreform durchgeführt wurde (wie Rumänien), halten", sagt Alexander.

Ein weiterer Demonstrant, der Politik- und Rechtswissenschaftsstudent Daniel, erklärte gegenüber RT Deutsch

Bulgarien ist tatsächlich wirtschaftlich das ärmste Land der EU. Auch in Sachen Unabhängigkeit der Justiz, Medienfreiheit, Korruptionsbekämpfung, wirtschaftliche unternehmerische Freiheit ist Bulgarien auf dem letzten Platz unter allen EU-Ländern. (...) Wenn man sich in Bulgarien in viele internationale Berichte einliest – Bulgarien schneidet im Vergleich zu afrikanischen Ländern, autokratischen Ländern schlechter ab. 

Obwohl das südeuropäische Land bald in die Eurozone eintreten wird, ist der Beitritt Bulgariens zum Schengen-Raum noch nicht klar, und es gibt noch keine Frist, wann das stattfindet.

Dimitar, der bereits seit 2007 in Berlin lebt und nach seiner Promotion als Job-Coach tätig ist, äußerte seine Frustration mit der Funkstille über die bulgarischen Proteste in Berlin.

Ich habe in den letzten vier Wochen, stundenlang insgesamt darin investiert, eine Zeile in deutschstämmigen Internetseiten, etwas zu diesen Protesten, die hier in Berlin ablaufen, zu finden. Nix! Die Ignoranz, die vor uns abläuft, ist ziemlich interessant. Wir sind vor dem Kanzleramt. Ich erwarte nicht, dass jemand hinter dem Zaun erscheint und uns fragt: 'Ah, Leute! Was wollt ihr?' Natürlich nicht. Aber es gibt keinen Menschen von einer deutschen Presse – von Fernsehen oder Zeitung. Das spricht für totale Ignoranz.

Auf die Frage, wie die Proteste der Bulgaren die Bürger der anderen EU-Staaten betreffen, antwortete der 36-jährige Dimitar:

Auch wenn man rein finanziell daran denkt, die Wirtschaft Bulgariens ist völlig von Europäischen Fonds abhängig. Das ist schrecklich als Gedanke, gleichzeitig ist es die Wahrheit. Und gleichzeitig betrifft das alle EU-Bürger. Die Proteste sind ein klares Zeichen, dass wir mit der jetzigen Lage nicht mehr zufrieden sind und dass wir nicht mehr so mitmachen wollen. Das ist die wichtigste Schlussfolgerung von diesen Protesten für mich. Es geht darum, dass wir als demokratisch denkende Menschen von heute nicht mehr so weitermachen wollen.

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