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Corona-Streit im Schweizer Kanton Glarus: Wer Fieber hat, darf nicht wählen

Aufgrund von Corona wird die Landsgemeinde – eine jährliche kantonale Abstimmung – im Kanton Glarus anders als üblich organisiert: mit Maskenpflicht und Fiebermessung. Das sorgt unter den Bürgern für Empörung.
Corona-Streit im Schweizer Kanton Glarus: Wer Fieber hat, darf nicht wählen© Samuel Trümpy Photography/Creative Commons License (CC BY 2.0 - https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/)

Empörte Leserbriefe, heftige Debatten auf Facebook: Im Kanton Glarus, im Herzen der Schweiz, ist die Stimmung zurzeit angespannt. Grund dafür sind die Schutzmaßnahmen, die von der kantonalen Regierung beschlossen worden sind, damit die nächste Landsgemeinde stattfinden kann. In diesem Kanton wird nämlich einmal pro Jahr auf einem Platz in der Hauptstadt Glarus per Hand abgestimmt. So treffen die Bürger wichtige innenpolitische Entscheidungen und wählen zum Beispiel die Regierungschefs und die Richter. Die Landsgemeinde findet traditionell am ersten Sonntag im Mai statt.

Doch dieses Jahr wurde sie aufgrund von Corona auf den 6. September verschoben. Nun hat sich die Regierung entschieden, sie im September mit Hygienemaßnahmen zu organisieren. Und genau das sorgt für Empörung unter den Bürgern. Denn wer über 38,0°C Fieber hat, darf nicht an der Landsgemeinde teilnehmen und verliert de facto sein Stimmrecht.

"Das ist eine Veranstaltung mit mehr als 1.000 Teilnehmern, sie ist nur erlaubt mit einem besonderen Schutzkonzept", erklärt der Ratsschreiber Hansjörg Dürst. Mehrere Schutzkonzepte seien geprüft worden, wie zum Beispiel verschiedene Sektoren zu bilden. Am Ende haben sich Bund und Kanton geeinigt, eine Maskenpflicht und eine strengere Zutrittskontrolle mit Fiebermessung einzuführen – ein gelungener Kompromiss zwischen "Corona und der Sicherstellung des politischen Funktionierens unseres Kantons", findet der Ratsschreiber.

Doch nicht alle Bürger sind der gleichen Meinung. In den Glarner Nachrichten erschien am 18. Juli ein Leserbrief eines ehemaligen Verwaltungsrichters, der sich über die Schutzmaßnahmen empörte: "Ich werde der Landsgemeinde fernbleiben müssen", schrieb er, und verglich sich dann mit Wilhelm Tell, der nicht "wie alle andern Geßlers Hut gegrüßt" hat. Denn "es ist unverhältnismäßig und verfassungswidrig, eine Jahrhunderte alte Institution wie die Landsgemeinde wegen weitgehend willkürlichen, demokratisch fragwürdigen, temporären Vorschriften über den Haufen zu werfen." Der Leserbrief endet so: "Ein Verzicht auf die diesjährige Landsgemeinde wäre das kleinere Übel."

Auch die ehemalige Oberrichterin Dodo Brunner hat "zwiespältige" Gefühle gegenüber der Entscheidung der Regierung. "Ich lasse es mir im Moment immer noch offen, ob ich da, unter diesen Umständen, an die Landsgemeinde gehen werde", teilt sie mit, da sie findet, "dass da nicht alle gleichberechtigt sind." Sie ist ebenfalls der Meinung, dass die Landsgemeinde nicht um jeden Preis durchgeführt werden muss und fände es einfacher, sie einfach abzusagen und auf das nächste Jahr zu warten.

Diese Lösung schließt die Glarner Regierung nicht aus, falls es Anzeichen für eine zweite Welle gibt. In diesem Fall müsste sie die wichtigsten Entscheidungen per Notrecht treffen und den Rest auf das nächste Jahr verschieben. Doch so einfach ist diese Lösung laut Hansjörg Dürst auch nicht: "Wir haben ja keine Garantie, dass wir im nächsten Mai die Landsgemeinde durchführen können. Wenn die Pandemie so läuft wie dieses Jahr, dann findet nächstes Jahr auch keine Landsgemeinde statt."

Der Ratsschreiber ist sich bewusst, dass sich nicht alle Glarner über die Sicherheitsmaßnahmen freuen. Dennoch hat er den Eindruck, dass "die Mehrheit Verständnis" dafür hat. Für ihn ist es "nicht undemokratischer als sonst". "Es ist eine der Nachteile der Landsgemeinde: Man muss persönlich anwesend sein, auch bei den normalen Landsgemeinden. Wenn jemand krank oder sonst verhindert ist, zum Beispiel arbeiten muss, dann kann er auch nicht an der Landsgemeinde teilnehmen."

Die Wahl per Urnen durchzuführen sei ausgeschlossen, so Dürst:

Das geht gemäß Verfassung nicht. Unsere Bürger haben mit der Landsgemeinde umfassende Mitwirkungsrechte. Sie können Verschiebungsanträge, Abänderungsvorlagen zu Vorlagen stellen, und das kann man natürlich mit einer Urnenabstimmung nicht abbilden.

Viele Glarner halten aber anscheinend eine solche Lösung für geeignet, wenn man die Reaktionen auf der offiziellen Facebook-Seite des Kantons Glarus liest. "Das ist eine unnötige Zwängerei. In einer solchen Situation sollte diese Abstimmung per Urne durchgeführt werden", findet ein Facebook-Benutzer. "Der Urnengang wäre absolut das Vernünftigste in der jetzigen Situation. Habe absolut kein Verständnis für die Durchführung dieser Landsgemeinde", schreibt ein anderer.

Ob Fiebermessung und Maskenpflicht, Urnenabstimmung oder sogar Absage: Die Landsgemeinde wird dieses Jahr wohl anders aussehen als in den letzten Jahren. Aber die Corona-Krise ist nicht der einzige Faktor, der den Ablauf dieses direkten demokratischen Verfahrens bedroht: Laut einer Untersuchung der Landesgemeinde nehmen seit der Jahrhundertwende durchschnittlich nur zehn Prozent der Stimmberechtigten an der Landsgemeinde teil. Von 1954 bis 1971 waren es im Durchschnitt 26 Prozent. Vielleicht ist die Pandemie also eine Chance, um die direkte Demokratie in Kanton Glarus neu zu erfinden.

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