Europa

Orbán träumt von einer Wiederauferstehung Groß-Ungarns

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán weihte in einer feierlichen Zeremonie am 4. Juni ein Denkmal an der Grenze zur Slowakei ein, was für Empörung in den Nachbarländern sorgte. Seine Rede anlässlich der "Schande von Trianon" erhitzte die Gemüter aber noch mehr.
Orbán träumt von einer Wiederauferstehung Groß-UngarnsQuelle: AFP © Attila Kisbenedek

Am 4. Juni 1920 wurde im Grand Trianon, einem Lustschloss im Park des Schlosses von Versailles bei Paris, formell das Schicksal des einstigen Königreichs Ungarn besiegelt. Die Auflösungserscheinungen waren schon Jahre zuvor sichtbar geworden – und durch den Ersten Weltkrieg beschleunigte sich die Abspaltung der verschiedenen Ethnien, die diesem Vielvölkerstaat angehörten. Damit verlor Ungarn zwei Drittel seiner ehemaligen Gebiete an neue Staaten, in denen aber immer noch auch ungarische Minderheiten lebten.

Genau einhundert Jahre später weihte Ungarns Ministerpräsident in einer feierlichen Zeremonie das "Trianon-Denkmal" in Sátoraljaújhely (deutsch: Neustadt am Zeltberg, slowakisch: Nové Mesto pod Šiatrom) ein. Das ist eine Kleinstadt direkt an der slowakischen Grenze. An dem steinernen Monument sind Gedenktafeln angebracht, die zum Teil heftige Emotionen in Kroatien ausgelöst haben. In einer Szene (min. 1:28) des Videos von der Zeremonie, welches Orbán auf Facebook geteilt hat, ist auch die Tafel mit den Worten "Fiume – 'Tengerre magyar'" zu lesen, was "Rijeka – 'Ungarisches Meer'" bedeutet.

Die heutige Hafenstadt Rijeka (das historische Fiume) kam erst 1823 unter die Kontrolle der ungarischen Krone und wurde 1848 durch den kroatischen Feldherrn Josip Graf Jelačić von Bužim dem Königreich Kroatien und Slawonien hinzugefügt, der die Magyarisierungs-Politik Ungarns ("Ungarn von den Karpaten bis zur Adria") mit Hilfe der österreichischen Krone bekämpfte.

Bei der Rede in Sátoraljaújhely sprach nun der ungarische Ministerpräsident über die glorreiche Vergangenheit – nicht nur seines Landes, sondern auch seines Volkes. Er betonte immer wieder, dass sich die ungarische Nation den Angriffen sowohl westlicher als auch östlicher Mächte widersetzte, und am Ende siegreich vom Platz ging.

Wir wurden keine deutsche Provinz, noch eine türkische Wilajet, noch eine sowjetische Republik. … Der Westen vergewaltigte die eintausend Jahre alten Grenzen und Geschichte Zentraleuropas. Sie zwangen uns, innerhalb von nicht zu verteidigenden Grenzen zu leben, haben uns unserer natürlichen Schätze beraubt, uns von unseren Ressourcen getrennt und einen Todestrakt aus unserem Land gemacht. Zentraleuropa wurde ohne moralische Bedenken neu gezeichnet, so wie die Grenzen Afrikas und des Mittleren Ostens gezeichnet wurden. Wir werden es niemals vergessen, dass sie das getan haben. Und als wir dachten, dass weder die arroganten Franzosen und Briten noch das heuchlerische amerikanische Imperium tiefer als das sinken könnte, haben sie es trotzdem geschafft. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sie uns ohne Herzschmerz den Kommunisten hingeworfen.

Mit spürbarer Genugtuung stellte er fest, dass es heute weder die Tschechoslowakei noch Jugoslawien oder die Sowjetunion noch gibt. Genauso, wie es das Britische oder Französische Reich nicht mehr gibt. "Und was von ihnen übrig ist, verdreht sich jetzt im multikulturellen Griff ihrer rachsüchtigen Kolonien", führte Orbán weiter aus. Das war mehr als nur eine Breitseite auf den von seiner Regierung abgelehnten "Multikulturalismus", ob geschichtlich-kolonial oder migrationsbedingt.

Selbst die Größten können der Gerechtigkeit der Geschichte nicht entkommen. Und so wie es wahr ist, dass das, was zusammengehört auch zusammenwächst, ist es auch wahr, dass das, was nicht zusammengehört, auseinanderbricht. Sie haben es vor einhundert Jahren (bei der Unterzeichnung des Trianon-Abkommens/Anm.) gut gesagt: Wir werden bei dem Begräbnis von denen dabei sein, die uns ins Grab bringen wollten. 

Noch nie war Ungarn so stark in der Post-Trianon-Zeit wie heute, stellte der Regierungschef auf der Anhöhe fest, von wo aus man auch weit über die slowakische Grenze blicken kann. "Unsere politische, spirituelle, wirtschaftliche und kulturelle Gravitationskraft wächst von Tag zu Tag", sagte er.  Verglichen mit Westeuropa, sei Ungarn eine "Insel von Frieden und Sicherheit". Und damit das so bleibt, würde die "neue ungarische Armee" im Gleichschritt aufgebaut.

Victor Orbán sieht die Rolle seines Landes ganz klar als die einer Führungsmacht in Zentraleuropa. Die Geschichte habe den Menschen eine erneute Chance – "vielleicht die letzte" Chance – gegeben, um sich zusammenzuschließen und sich "von der Gefahr aus dem Westen und Osten zu verteidigen". Offenbar sieht er bei Kroaten, Serben, Slowenen und Slowaken Präferenzen gegenüber anderen ehemaligen Untertanen der ungarischen Krone, wie beispielsweise Rumänen, Tschechen oder den Ruthenen.  

Wir sind froh, eine gemeinsame Zukunft mit der Slowakei, Serbien, Kroatien und Slowenien aufzubauen, die stolz auf ihre nationale Identität sind.

Es ist nicht das erste Mal, dass Orbán für Irritationen in den Nachbarländern sorgt, die früher zu Ungarn gehörten. Immer wieder zeigt sich der ungarische Ministerpräsident vor Karten, die Ungarn innerhalb der ehemaligen Grenzen zeigen.

Die Proteste aus Slowenien oder Serbien gegen diese Art von Geschichtsrevisionismus waren bisher schärfer als die aus Kroatien. Man fragte sich zu Recht, weshalb sich die Regierung von Ministerpräsident Andrej Plenković mit Kritik zurückhält oder weshalb der ungarische Botschafter nicht einbestellt wird. Eine mögliche Antwort könnte der Streit zwischen Zagreb und Budapest um den Verkauf eines Aktienpakets des kroatischen Ölkonzerns INA an die ungarische MOL im Jahr 2008 sein, bei dem Bestechungsgelder geflossen sein sollen und der jetzt vor einem Schiedsgericht in Washington, D.C. verhandelt wird.

Jetzt äußerte sich aber Oleg Butković, der kroatische Verkehrs- und Infrastrukturminister, mit scharfen Worten zu den "Provokationen" aus Ungarn:

In diesem (Regierungs-)Mandat ist die kroatische Regierung nicht, und wird auch nicht auf die billigen Provokationen hereinfallen. Meinungen können unterschiedlich sein, aber Geschichte bleibt Geschichte. Ich heiße das nicht gut und verurteile die Provokationen, die grundlegende staatliche Angelegenheiten wie die territoriale Struktur betreffen.    

Ob sich der ungarische Regierungschef davon beeindrucken lassen wird, darf bezweifelt werden. Er hat sein Land auf einen Kurs eingestellt, der zwar von außen heftig kritisiert wird, aber von den Ungarn mit getragen wird. Selbst der grünliberale Bürgermeister der Hauptstadt Budapest, Gergely Karácsony, der ansonsten ein ausgesprochener Kritiker von Viktor Orbán ist, gehört eben auch zur "ungarischen Nation" und schlug angesichts des Gedenkens an die "Schande von Trianon" vor, den gesamten Verkehr in der Hauptstadt für eine Schweigeminute anzuhalten.  

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