Nahost

Gouverneur von Homs: "Alle Syrer sollten in ihre Heimat zurückkehren"

Talal al-Barazi ist Gouverneur von Homs. Homs ist mit 43.000 Quadratkilometern die größte Provinz Syriens und liegt im Zentrum des Landes. Über die Rückkehr der Menschen in die Stadt, das Gesetz Nr. 10 und die Probleme beim Wiederaufbau sprach Karin Leukefeld mit Talal al-Barazi in Homs.
Gouverneur von Homs: "Alle Syrer sollten in ihre Heimat zurückkehren"© Karin Leukefeld

von Karin Leukefeld, Homs, September 2019

Wie ist die Lage in Homs nach mehr als acht Jahren Krieg? Wie viele Menschen haben die Provinz verlassen, und wie viele sind zurückgekehrt?

Talal al-Barazi: Wir haben jetzt September 2019 und können bestätigen, dass das gesamte Territorium von Homs vom Terrorismus und den bewaffneten Gruppen befreit wurde. Die Provinz von Homs umfasst 43.000 Quadratkilometer, und heute sind die Stadt Homs sowie die Provinz sicher und unter Kontrolle der Regierung. Das hat die Voraussetzungen für die Rückkehr der Inlandsvertriebenen und der Flüchtlinge geschaffen. Ich spreche über diejenigen, die aus Homs stammen oder aus anderen syrischen Provinzen hierhergekommen sind, über Inlandsvertriebene und diejenigen, die aus dem Ausland, beispielsweise aus dem Libanon zurückgekehrt sind.

Die meisten Gebiete von Homs waren lange Zeit nicht mehr unter Kontrolle der Regierung, doch heute ist es in den meisten Gebieten von Homs wieder der Fall. Dies ist uns nicht durch Krieg gelungen, sondern durch Versöhnungsvereinbarungen. Nehmen wir zum Beispiel al-Waer (Vorort von Homs) und die Gebiete im Norden von Homs. Kämpfer und ihre Familien wurden von dort evakuiert, aber es gab auch die Möglichkeit, dass die Männer das Amnestieangebot des Präsidenten genutzt und eine Versöhnungsvereinbarung unterzeichnet haben. Das hat dazu geführt, dass viele Leute in die Gebiete zurückkehrten, die von der Regierung wieder übernommen wurden. Natürlich wurde die Rückkehr dadurch erleichtert, dass die notwendige Grundversorgung wiederhergestellt wurde.

In welcher Größenordnung kehren die Menschen in diese Gebiete zurück?

Talal al-Barazi: Nehmen wir al-Waer, dorthin sind in den Jahren 2018/19 rund 6.500 Familien zurückgekehrt. Und innerhalb eines Jahres kehrten 8.000 Familien nach Telbise und Rastan zurück, nördlich von Homs (Pro Familie rechnet man in Syrien fünf Personen, Anm.). Das stabilisiert die Lage und trägt zur Erholung der Wirtschaft in diesen Gebieten bei. In den letzten zwei Jahren bis heute sind über die beiden Grenzübergänge Deir Bousiya and Joussia aus dem Libanon mehr als 17 Konvois nach Homs zurückgekehrt.

Wir haben keine genauen Zahlen darüber, wie viele Menschen Homs verlassen haben und in andere Provinzen oder ins Ausland gegangen sind. Wir haben nur ungefähre Zahlen, und danach haben etwa 500.000 Menschen Homs verlassen, das bedeutet 100.000 Familien. Die ursprüngliche Bevölkerung von Homs (vor dem Krieg, Anm.) betrug 2,3 Millionen Menschen. Inzwischen sind etwa 36.500 Familien zurückgekehrt, und zwar sowohl in die Stadt Homs als auch in die ländlichen Gebiete der Provinz Homs. Also sind etwa 40 Prozent der Menschen, die Homs verlassen haben, zurückgekehrt. Der Rückkehrprozess hält an, bis heute sind auch 18.000 Menschen aus dem Lager Rukban zurückgekehrt. Und von diesen Menschen wiederum sind etwa 95 Prozent in ihre ursprünglichen Wohnorte wiedergekehrt. Nur eine kleine Zahl lebt noch in den Auffanglagern in Homs.

Kehren Menschen auch in Städte zurück, die vorher Kampfzonen waren?

Talal al-Barazi: Ja, die Rückkehr von Familien nach Qusair und Umgebung (Grenzgebiet Libanon) und nach Tadmur (Palmyra) hat begonnen. Bereits vor etwa zwei Monaten konnten etwa 400 Familien nach Qusair zurückkehren, und weitere 820 Familien werden im Laufe des Oktobers zurückkehren. Nach Tadmur (Palmyra) sind in den letzten zwei Monaten etwa 170 Familien zurückgegegangen. Die Rückkehr hält auch nach al-Hula, Rastan und andere Orte an. Die Rückkehr der Inlandsvertriebenen gestaltet sich schneller als die der Menschen, die aus dem Ausland zurückkehren. Ich erwarte, dass die Zahl der Rückkehrer insgesamt bis Ende des Jahres ansteigt.

Und wie sieht es mit dem Wiederaufbau aus? Die Städte sind ja teilweise sehr zerstört.

Talal al-Barazi: Im Norden von Homs haben wir 163 Schulen wiedereröffnet, das ist ein gutes Zeichen dafür, dass die Rückkehrbewegung anhält. In al-Waer wurden 13 Schulen wieder geöffnet, und im September haben wir auch in Tadmur zwei Schulen geöffnet. Ja, es stimmt, die Zerstörung ist groß. Die Ingenieure unserer Provinzverwaltung planen den Wiederaufbau nach den neuesten Standards. Wir haben dafür einen Masterplan für die Jahre 2025 bis 2035 vorgelegt. Aber es braucht noch sehr viel für den notwendigen Wiederaufbauprozess.

Ich war in Tadmur und habe gesehen, dass die Stadt fast völlig zerstört ist. Wie leben die Familien, die zurückgekehrt sind? Hat man ihnen bei der Reparatur ihrer Häuser geholfen. Und wie ist die Lage in al-Qaryatayn?

Talal al-Barazi: Da Sie al-Qaryatayn ansprechen, die Lage dort ist besser als in Tadmur (Palmyra). Schon im vergangenen Jahr konnten wir Schulen rehabilitieren, eine Bäckerei hat geöffnet, es gibt Strom, Wasser, Telefon- und Internetverbindungen. Was Tadmur (Palmyra) betrifft, haben Sie Recht, der Wiederaufbau wurde hinausgezögert, und die Infrastruktur dort ist massiv zerstört. Palmyra wurde zweimal vom "Islamischen Staat" angegriffen. Viele Frauen und Kinder wurden getötet, und manche wurden entführt. Sie wissen, dass der berühmte Archäologe Khaled Asaad ermordet wurde. Und der "IS" hat Kinder im Amphitheater von Palmyra getötet. Das hat die Bevölkerung von Palmyra zutiefst erschüttert und wirkt sich natürlich auf die Rückkehrbewegung aus. Außerdem gibt es auch noch Terroristen in At-Tanf, in der Nähe des Lagers Rukban (Dreiländereck Syrien-Irak-Jordanien, Anm.). Sie halten sich dort weiterhin unter der Kontrolle der Amerikaner auf. Die Leute aus Tadmur haben große Angst, dass diese Terroristen zurückkehren und sie erneut angreifen. Um dann wieder unter die Kontrolle der Amerikaner nach At-Tanf zu verschwinden.

Die Bevölkerung Tadmurs ist zutiefst verletzt, und das Geschehen verringert die Bereitschaft der Menschen, zurückzukehren. Jetzt haben wir jedoch die Strom- und Wasserversorgung rehabilitiert – und dass mehr als 150 Familien zurückgekehrt sind, ist ein gutes Zeichen. Es gibt ein Minimum an Versorgung wie ein Krankenhaus, eine Bäckerei und neben Strom und Wasser auch Telefon- und Internetverbindung. Wir sind uns sicher, dass Tadmur wieder zum Leben erweckt werden kann und ein dynamischer und stabiler Ort für die Bevölkerung werden wird. Im Übrigen arbeiten wir auch daran, das Lager Rukban zu schließen und die Amerikaner aus At-Tanf zu vertreiben.

Es gibt einseitige wirtschaftliche Strafmaßnahmen gegen Syrien von der Europäischen Union und von den USA, behindern diese den Wiederaufbau?

Talal al-Barazi: Die ungerechten Sanktionen gegen die Syrer haben negative Auswirkungen auf den Wiederaufbauprozess. Sie hindern uns daran, die notwendigen Geräte zu importieren. Das betrifft auch den Import von notwendigen medizinischen Geräten für unsere Krankenhäuser. Diese Blockade gegen Syrien, die Sanktionen sind unfair und erschweren das Leben aller Syrer. Sie verzögern den Wiederaufbauprozess. Die Regierung kann Wasserreservoirs und Straßen wiederherstellen, auch die Infrastruktur für die Schulen. Aber gerade das Ölembargo trifft Syrien und die Bevölkerung hart. Wir brauchen das Öl für die Industrie, den Transport, die Heizungen, den Wiederaufbau und die Krankenhäuser. Und natürlich braucht man für die Stromgewinnung Treibstoff. Wir sind einem wahrhaftigen Wirtschaftskrieg ausgesetzt.

Vor zwei Jahren haben Sie die Evakuierung von Kämpfern aus al-Waer organisiert. Sie sind damals in die Busse gestiegen und haben die Leute aufgefordert, zu bleiben, doch viele Familien folgten ihren Söhnen und Männern nach Dscharabulus, die sich den Kämpfern angeschlossen hatten. Sind dennoch Familien zurückgekehrt? Und würde Homs auch Menschen aus Idlib aufnehmen, wenn sie Idlib verlassen wollten?

Talal al-Barazi: Wir sind mehr als bereit, alle Menschen aus Homs wieder zu Hause willkommen zu heißen, egal, wo sie jetzt sind. Und zwar jederzeit. Sie fragen nach den Familien, die damals aus al-Waer nach Dscharabulus (Grenze Türkei, Anm.) evakuiert wurden. Nur wenige Monate später kamen 14 Busse mit Familien von dort zurück nach al-Waer. Und noch mehr Familien möchten kommen, aber sie haben ein logistisches Problem. Wie können sie einen Ort erreichen, der unter der Kontrolle der Regierung steht? Die Rückkehr aus dem Libanon über die syrisch-libanesische Grenze ist durch ein gemeinsames syrisch-libanesisches Komitee geregelt. Wir haben Listen mit den Namen der Menschen, die zurückkehren wollen. Aber im Norden Syriens, in den Gebieten, die von den Kämpfern und der Türkei kontrolliert werden, haben wir eine solche Kommunikation nicht, es gibt keine Zusammenarbeit. Außerdem gibt es einige internationale Akteure, die die Syrer an der Rückkehr in ihre Heimat hindern, und das Gleiche gilt für die Terrorgruppen. Aktuell betrifft das die Menschen aus Idlib, die in die Gebiete unter Kontrolle der Regierung kommen wollen. Es gab und gibt offizielle humanitäre Korridore (bei Chan Schaichun, Abu Dhouhour, Anm.), doch die Terroristen lassen die Menschen nicht gehen.

Was die Syrer in Jordanien betrifft, da gibt es große Anstrengungen von beiden Seiten, Syrien und Jordanien. Der Transfer der Rückkehrer über die jordanisch-syrische Grenze bei Nasib nach Deraa und an andere Orte in Syrien wird ermöglicht. Wir sind überzeugt, dass alle Syrer in ihre Heimat zurückkehren sollten. Sowohl die Inlandsvertriebenen als auch die Flüchtlinge, die in anderen Ländern sind. Ich will an dieser Stelle noch einmal wiederholen, dass wir bereit sind, den Rückkehrern alle erforderlichen Hilfen bereitzustellen, wenn sie nach Hause kommen wollen. Wir senden auch Busse an die Grenzen, um sie dort in Empfang zu nehmen.

In Deutschland gab es eine Diskussion über das Gesetz Nr. 10, das den Umgang mit zerstörtem, privatem Eigentum in ehemaligen Kampfzonen regelt. Wurde das Gesetz umgesetzt? Wurde Privateigentum für öffentlichen Wiederaufbau beschlagnahmt?  

Talal al-Barazi: Dieses Gesetz Nr. 10 wurde sehr negativ interpretiert, tatsächlich ist es ein Gesetz, das jedem sein Eigentum garantiert. Es ist ein normales Gesetz, ähnliche Gesetze hatten wir wiederholt in den vergangenen 40 Jahren. Dieses Gesetz wurde explizit für die Menschen gemacht, die aus Gebieten kommen, die weitgehend zerstört sind. Es garantiert, dass jede Person, die Eigentum in solchen Gebieten hat, dieses Eigentum auch nach dem Wiederaufbau der betroffenen Gebiete behält. Sein neues Eigentum wird seinem ursprünglichen Eigentum entsprechen. Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Wenn es irgendwo in einer Stadt, an einem Ort ein Erdbeben gegeben hat, werden das Gebiet und die Häuser, die dort standen, nach dem Wiederaufbau anders aussehen. Beim Wiederaufbau werden moderne Standards angewandt, aber das ursprüngliche Eigentum bleibt erhalten. Das ist ein logisches Verfahren.

Im Libanon gibt es beispielsweise ein Verfahren, wonach das Eigentum (nach Krieg und/oder Zerstörung, Anm.) zusammengefasst und neu verteilt wird. Das bedeutet, jeder erhält sein Eigentum in der Größe, wie er es zuvor hatte. Die Eigentümer können ihre Ansprüche persönlich anmelden, oder durch ihre Verwandten oder durch Personen, denen sie vertrauen und die sie bevollmächtigen, in ihrer Angelegenheit aktiv zu werden. Sie müssen nicht verwandt sein. Der gesamte Vorgang dauert ein Jahr, und erst dann wird mit dem Wiederaufbau begonnen. Selbst drei Jahre später und auch nach dem Wiederaufbau kann der ursprüngliche Eigentümer seinen Besitz beanspruchen. Die Syrer haben dieses Gesetz Nr. 10 begrüßt, weil es die wirtschaftliche und soziale Situation der Bevölkerung berücksichtigt. Das Gesetz regelt drei Möglichkeiten für den Besitzer: Er kann sein Eigentum verkaufen, er kann es mit eigenem Geld an einem anderen Ort wieder aufbauen (bekommt also das entsprechende Land bzw. die Quadratmeter, Anm.) oder er kann eine alternative Wohnung beantragen, die seinem Eigentum entspricht. Die Größe des neuen Hauses/der neuen Wohnung wird der ursprünglichen Größe des Hauses/der Wohnung entsprechen, die zerstört wurde.

Vor einem Jahr empfingen Sie eine Delegation aus Deutschland, von der AfD. Die "Alternative für Deutschland" ist die größte Oppositionsfraktion im Deutschen Bundestag und politisch sehr umstritten …

Talal al-Barazi: Wir heißen jeden willkommen. Auch wenn die deutsche Regierung eine Delegation nach Syrien schicken möchte, ist sie willkommen. Ich habe persönlich auch Delegierte aus den USA empfangen. Wir empfangen jeden, der offiziell nach Syrien kommt. Und das Außenministerium hat bereits viele Visa erteilt. Auch wer als Tourist kommen möchte, ist willkommen. Jeder aus Deutschland, der Syrien besuchen möchte, kann ein Visum bei der syrischen Botschaft beantragen, das vom syrischen Außenministerium bewilligt wird.

Allerdings haben wir den Eindruck, dass die US-Administration einen schlechten Einfluss auf die europäischen Regierungen ausübt. Auch mit einigen der Golfstaaten gibt es keine guten Beziehungen, aber jeder arabische Bürger, der nach Syrien kommen möchte, ist willkommen. Egal, ob er aus Saudi-Arabien, Katar oder Kuwait kommt. Sie können auch mit ihren Autos kommen, solange sie über die offizielle Grenze nach Syrien fahren. Bürger aus Ländern, deren Regierungen gegen die syrische Regierung eingestellt sind, sind willkommen bei uns. Nur mal zu Ihrer Information: Vor dem Krieg waren die meisten Touristen, die hier in Syrien die antiken Stätten besichtigt haben, aus Deutschland. Und auch die meisten medizinischen Geräte in unseren Krankenhäusern waren "Made in Germany". Unserer Meinung nach ist die deutsche Industrie die beste in Europa. Und jetzt sind viele syrische Ärzte in Deutschland.

Ärzte, die hier in Syrien fehlen …

Talal al-Barazi: So ist es.

Vielen Dank für das Gespräch.

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