Nahost

Syrien-Krieg: Damaskus ist frei – Aber der Preis für die Freiheit ist hoch

Die syrische Armee konnte kürzlich die letzten Kämpfer des "Islamischen Staates" aus den Vororten von Damaskus vertreiben. Doch der Sieg über die Terrormiliz hat neben den Menschenleben, die er gekostet hat, einen weiteren hohen Preis: Ganze Viertel liegen in Trümmern.
Syrien-Krieg: Damaskus ist frei – Aber der Preis für die Freiheit ist hochQuelle: RT © Karin Leukefeld

von Karin Leukefeld, Damaskus

Muchayem Jarmuk, das palästinensische Lager in Damaskus

„Schauen Sie hier, das war mein Haus. Nichts ist mehr da, nichts, gar nichts!“ Abu Uday, der Vater von Uday ist außer sich. Seine Brille hat er auf die Stirn geschoben, nervös streicht er über die Bildschirmfläche seines Handys. Ein Freund hat ihm die ersten Fotos aus Jarmuk geschickt, aus „Muchayem Jarmuk“, dem einstigen Palästinenserlager im Süden von Damaskus.

Seit dem 21. Mai gelten Damaskus und die gesamte Umgebung von Damaskus (Rif) als befreit. Bis zuletzt hatten sich im Süden der syrischen Hauptstadt noch rund 1.200 Kämpfer des selbst ernannten „Islamischen Staates“ (IS) in Jarmuk und Hadschar al Aswad verschanzt. Nach unzähligen Verhandlungen, Vereinbarungen, dem Scheitern der Vereinbarungen und neuen Verhandlungen, hatte die syrische Armee Anfang Mai eine massive Angriffswelle am Boden und aus der Luft gegen die Stellungen der Kämpfer begonnen.

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Erst als rund 70 Prozent von ihnen getötet waren, gaben die letzten „Gotteskrieger von Hadschar al Aswad“ auf. Mit Bussen wurden sie in die östlichen Badia abgefahren, ein Wüstengebiet, das sich bis zur Grenze des Irak erstreckt. Ihre Angehörigen waren mit Bussen nach Idlib gebracht worden, wo eine unsichere Zukunft auf sie wartet.

Auf den Handybildern sind die zerstörte Palästina-Straße, zerfallene Häuser, ausgebrannte Läden zu sehen. Das Haus von Abu Uday ist ein großer Trümmerhaufen. In sich zusammengefallen ist das einst fünfstöckige Gebäude, für das er 20 Jahre lang in den Golfstaaten gearbeitet hat. Auch die daneben liegenden Häuser seiner Brüder und Schwestern sehen nicht besser aus. Zwar stehen die Mauern noch, doch Fenster, Türen, Balkone gibt es nicht mehr. Durch die Maueröffnungen sieht man in das Innere der Wohnungen, alles ist verbrannt.

„Wer wird uns helfen, wir sind Palästinenser. Überall werden wir vertrieben“, sagt Abu Uday mit zitternder Stimme. Er erinnert sich, wie palästinensische Einheiten 2011 und 2012 das „Lager“ geschützt hätten, man habe den Krieg nicht gewollt und die bewaffneten Gruppen abgelehnt. Aber aus den benachbarten Viertel Yelda und Babila seien die Granaten nur so nach Jarmuk hineingeflogen: „Entweder ihr schließt Euch unserem Kampf an oder Ihr verschwindet. Das ist unser Land, auf dem Ihr Eure Häuser gebaut habt“, hätten die Kämpfer ihnen gesagt.

Die Vereinten Nationen hatten das Land, auf dem 1957 das palästinensische Lager (Muchayem) Jarmuk, benannt nach dem Fluss Jarmuk, errichtet worden war, vom syrischen Staat für 99 Jahre gepachtet. Gegen diesen Staat kämpften die Männer aus Babila und Yelda, also kämpften sie gegen die Palästinenser.

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Eines Nachts Ende 2012 waren die Kämpfer aus den Nachbarvierteln über Hadschar al Aswad ins „Lager“ eingedrungen, fast 200.000 Palästinenser flohen. Die Vertreibung durch die Kämpfer, denen Teile der palästinensischen Hamas als „Muslimbrüder“ zur Seite standen, sei wie eine zweite „Nakba“ gewesen, erinnert sich der Student Jihad, der mit Mutter und Schwestern aus dem „Lager“ floh: „Es war eine Katastrophe.“

Noch heute sprechen die syrischen Palästinenser von dem „Lager“, obwohl es vor dem Krieg längst in das angrenzende Stadtviertel Jarmuk integriert war. Hier kaufte man Ersatzteile und gebrauchte Autos, die unzähligen Textilbetriebe und Studios in der Lubia-Straße waren tonangebend für die neueste Mode. Jarmuk war nicht nur zweite Heimat der etwa 250.000 Palästinenser geworden, deren Eltern und Großeltern 1948 bei der Gründung des Staates Israel aus Palästina vertrieben worden waren. Hunderttausende Syrer aus allen Teilen des Landes waren hier ebenfalls zu Hause. Nichts erinnert heute an das Leben und die Geschäftigkeit der damaligen Zeit.

Hadschar al Aswad – Der schwarze Stein

Zwischen Jarmuk und Hadschar al Aswad verläuft eine Straße, daneben liegt ein weites Feld. Geschäftig fahren Lieferwagen, Militärfahrzeuge, Motorräder hin und her, Soldaten ziehen ab. Das Geschehen ist in eine große Staubwolke eingehüllt. Hinter den Ruinen von Jarmuk steigen schwarze Rauchsäulen in den Himmel.

Mitten im Geschehen ist ein Journalistenkonvoi, der einen Tag nach der offiziellen Befreiung des südlichen Damaskus in Begleitung der Pressestelle der syrischen Streitkräfte nach Hadschar al Alswad fahren kann. Während eines Fotostopps zwischen beiden Orten fragt die Autorin einen jungen Offizier, ob er Jarmuk oder Hadschar al Aswad schon vor dem Krieg gekannt habe. Nein, antwortet der 26-Jährige Suleyman. Er habe vor dem Krieg in Homs Jura studiert. Die große Zerstörung tue ihm leid, viele Menschen hätten ihr Zuhause verloren. Weiter sagte er:

Aber viele haben auch die Kämpfer unterstützt und waren nicht bereit, eine andere Lösung zu finden. Ihre Scharfschützen haben uns und die Zivilisten hier immer ins Visier genommen. Ja, es ist traurig, all diese Zerstörung zu sehen. Aber gleichzeitig bin ich auch froh, dass wir diesen Kampf gewonnen haben.

Ein Mann irrt auf seinem Fahrrad vorbei. Nein, er habe nichts zu sagen, fotografiert werden wolle er auch nicht, sagt er nervös. Er suche den Weg nach Hadschar al Aswad, er suche sein Haus, erkenne aber nichts wieder. Ein Soldat zeigt ihm den Weg über eine Sandpiste, die quer über das Feld führt. Schnell fährt der Radfahrer davon. Der Journalistenkonvoi folgt ihm wenig später über die gleiche Sandpiste.

Hadschar al Aswad („Schwarzer Stein“) heißt der südlichste Vorort von Damaskus, der von der syrischen Armee und deren Verbündeten nach sechs Jahren Krieg am 21. Mai 2018 wieder vollständig eingenommen wurde. Über dem, was vom Rathaus übrig geblieben ist, weht die syrische Fahne. Daneben stehen Palmen, gegenüber liegen mehrstöckige Mehrfamilien- und Geschäftshäuser, der nahe gelegene Kreisverkehr bildet das Zentrum der kleinen Stadt. Die Palmen sind verbrannt, keines der Gebäude ist mehr intakt, Kriegsschutt liegt überall.

Schutzwälle sind in den schmalen Straßen als Barrikaden gegen die Krieger aufgetürmt, die hier einen „Gottesstaat“ errichten wollten. Große Malereien an Mauern und Hauswänden verkünden den „Islamischen Staat“, den die Kämpfer dem größten Teil der Bevölkerung gegen deren Willen aufzwingen wollten. Weil sie nicht verhandeln und nicht abziehen wollten, brachte die syrische Armee schließlich Kampfjets, Artillerie, Spezialkommandos in Stellung. Die IS-Kämpfer wiederum schossen Raketen weit in das acht Kilometer entfernte Stadtzentrum hinein, um ihre Macht zu demonstrieren.

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IS-Kämpfer sind an unbekannten Ort abgezogen

Nun ist der „Gottesstaat von Hadschar al Aswad“ gefallen. Die letzten der 1.200 IS-Kämpfer, rund 400 Männer, sind östlichen von Damaskus in der Wüste verschwunden. Männer aus Hadschar al Aswad, aber auch Tschetschenen und Pakistaner seien unter den Kämpfern gewesen, erläutert ein Presseoffizier. Wohin sie unterwegs seien, wisse er nicht, das sei Aufgabe der Geheimdienste.

Vielleicht haben die Gotteskrieger die Schmuggelroute Richtung Jordanien und Saudi-Arabien genommen. Möglich ist aber auch, dass sie nach Al Tanf im syrisch-irakisch-jordanischen Dreiländereck abgezogen sind. Bei Al Tanf befindet sich eine Basis der US- und anderer Truppen der so genannten „Internationalen Anti-IS-Allianz“ auf syrischem Territorium. Die Basis ist völkerrechtlich illegal, die US-Truppen haben das Gebiet besetzt und hindern die syrische Armee und deren Verbündete durch einen 50 Kilometer breiten Sperrriegel daran, dorthin zu gelangen.

Dass die Kämpfer nach Al Tanf gefahren sind, ist nicht ausgeschlossen. Auf der Basis wird derzeit von den USA eine „Neue Syrische Armee“ ausgebildet, die für die Interessen der USA und der internationalen Allianz kämpfen soll. Die meisten Kämpfer in Syrien haben in den letzten sieben Jahren wiederholt ihre Fahnen gewechselt, um gegen die syrische Armee und deren Verbündete zu kämpfen. Vielleicht sehen die „Gotteskrieger vom Schwarzen Stein“ für sich in Al Tanf eine Zukunft.

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Ganze Straßenzüge liegen in Trümmern

Von der Trümmerlandschaft in Hadschar al Aswad geht eine ungeheure Hitze aus. Staub und ein Brandgeruch erfüllen die Luft. Unzählige Soldaten sitzen zwischen Rauchschwaden und Staubwolken in den Trümmern und beobachten schweigend die Journalisten, die mit Kameras und Mikrophonen bewaffnet nach „Der Story“ suchen.

Männer haben Bündel, Kartons, technische Geräte geschultert, hieven sie auf kleine Lastwagen oder auf den Gepäckträger ihres Motorrades oder Fahrrads. „Die syrische Armee plündert“, ist in sozialen Netzwerken der Opposition zu lesen. Doch vielleicht stammen die Dinge auch aus den zerstörten eigenen Häusern der Soldaten oder ihrer Familien? In den Trümmern befindet sich kaum noch etwas von Wert.

Erneut kommt der Mann auf seinem Fahrrad vorbei. Sein Haus habe er gefunden, sagt er, und die Tränen schießen ihm in die Augen. „Mein Haus, Hadschar al Aswad gibt es nicht mehr“, murmelt er. „Ich werde nie wieder hierher zurückkommen.“

Aus den Trümmern eines Hauses tritt ein schmaler Kämpfer in Uniform und einer Baseball-Kappe auf den struppigen Haaren. Erst als er auf eine Frage der Autorin antwortet, wird klar, dass es sich um eine Frau handelt. Um Jafar gehört zu den „Töchtern des syrischen Löwen“, ein Freiwilligen-Bataillon für Frauen. Sie kämpft seit fünf Jahren in den Reihen der syrischen Armee. Die Frau stammt aus Salamiye, wohnte aber in Tadmour (Palmyra), als der „Islamische Staat“ dort zum ersten Mal angriff.

Erst sei sie an der Front bei Salamiya gewesen, dann in der östlichen Ghuta und seit zwei Monaten habe sie in Hadschar al Aswad gekämpft, „um mein Land zu befreien“. Die fünfzigjährige Mutter von drei Kindern erzählt, dass ein Sohn mit ihr kämpfe, ein zweiter Sohn entführt worden sei und die Tochter mit ihrer Familie in Damaskus lebe. Ihr Ehemann sei vor dem Krieg gestorben.

Um Jafar zeigt hinter sich in eine schmale Straße, in der eine hohe Sandbarrikade aufgetürmt ist. Durch diese Straße seien sie und ihre Gruppe gegen die IS-Kämpfer vorgerückt, manchmal hätten sie sich direkt gegenüber gestanden. Ihre Kameraden riefen sie „Abu Jafar“, Vater von Jafar, um den IS nicht darauf aufmerksam zu machen, dass eine Frau an der Front gegen sie kämpfte. Die Kämpferin entschuldigt sich, sie habe mit anderen Soldaten ihrer Gruppe Aufgaben zu erledigen. Rasch werden einige Fotos von dem Straßenabschnitt gemacht, den sie mit ihrer Gruppe verteidigte, dann ist sie verschwunden.

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Ein Vater und sein Sohn gehen vorbei, sprechen wollen sie nicht und nein, auch keine Fotos. Der Vater hält zwei große Teller umschlungen, über dem Arm baumelt eine Plastiktüte. Der Sohn hält in einer Hand ein Bügeleisen, in der anderen Hand eine kleine Säge. Vermutlich alles, was sie in ihrem Haus an Wertgegenständen noch gefunden haben.

Ein alter Mann geht langsamen Schrittes in Richtung Kreisverkehr, er sucht nach einer Mitfahrmöglichkeit zurück in die Stadt. In beiden Händen hält er eine Plastiktüte, aus denen Spitzengardinen, ein Kissen und ein Kleiderbügel herausragen. „Walid Abdulrahman“ stellt er sich vor. „Ich stamme von hier, ich bin 60 Jahre alt. Hier war mein Zuhause“, fügt er hinzu. „Syrien war ein Land, ein Volk. Es war friedlich, freundlich, es war für uns alle ein gutes Zuhause. Es ging uns gut unter Bashar al-Assad und auch unter seinem Vater“, sagt er mit kraftvoller Stimme. „Die Kämpfer haben alles zerstört. Mein Zuhause, meine Heimat, das hier ist alles, was mir geblieben ist: eine Hose, eine Gardine und dieser Kleiderbügel.“

Ein Offizier kommt vorbei, winkt ihm zu. Walid Abdulrahman entschuldigt sich: „Da gibt es jemanden, der mich mit in die Stadt nehmen kann. Bitte entschuldigen Sie, ich muss gehen.“

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