Nahost

RT-Analyse zum Strategie-Wandel des IS angesichts militärischer Niederlagen in Nahost

Der "Islamische Staat" wird in Syrien und Irak in die Enge getrieben. Die Europa-Strategie der Extremistenmiliz, die darauf zielt, die Mehrheitsgesellschaft gegen die muslimische Minderheit aufzuhetzen und diese so zu radikalisieren, spielt indes dem dahin immer stärker abbröckelnden Stand des IS in Nahost und pikanterweise auch westlichen Nationalisten in die Hände.
RT-Analyse zum Strategie-Wandel des IS angesichts militärischer Niederlagen in Nahost

Der selbsternannte „Islamische Staat“ ist von seiner Expansionsphase nunmehr in eine Phase der Regression hineingerutscht, was die Milizen offensichtlich in eine Defensivstellung getrieben hat. Entgegen ihrer bisherigen militärischen Strategie gibt es für die Organisation im Nahen Osten mittlerweile kaum noch Ausweichmöglichkeiten, die es ihr ermöglichen würden, binnen kürzester Zeit in politische Vakua hineinzustoßen.

Vielmehr verzeichnete der IS in den vergangenen Wochen bemerkenswerte Territorialverluste. Der Mangel an Humankapital trotz einer gewissen militärischen Konsolidierung in vornehmlich sunnitischen Regionen Syriens und des Irak, die offenbar bereit sind, sich lieber vom sunnitischen IS als von alawitisch oder schiitischen Akteuren dominieren zu lassen, zeigte der Organisation an allen Frontabschnitten die Grenzen des Möglichen auf.

Im Oktober verkündete die Zentralregierung in Bagdad, dass es ihr mittels pro-iranischer schiitischer Milizen gelungen sei, die strategisch wichtige Stadt Baidschi im Norden der Hauptstadt, welche die größte Ölraffinerie des Landes beherbergt, vom IS zurückzuerobern. Andernorts im Norden des Landes nahmen am 13. November Kurdenmilizen unter Führung der Peshmerga die Jesiden-Stadt Sindschar im Handstreich ein. Analysten zufolge wurde die Stadt von nur noch 600 bis 800 IS-Kämpfern gehalten. 

Im Vorfeld fiel der irakischen Armee und den al-Haschd al-Schabi-Milizen am 30. März 2015 Tikrit, die Heimatstadt des ehemaligen sunnitischen Machthabers Saddam Hussein, in die Hände. In Ramadi bereiten die USA unter anderem mithilfe sunnitischer Milizen - im Wissen, dass sunnitische Kerngebiete nur schwerlich mit Schiiten-Kämpfern, die interreligiöse Spannungen nur vertiefen dürften, zu befreien sind - gegenwärtig eine weitere Offensive vor. Ein Vorgehen gegen den IS in der zweitgrößten Stadt im Land, Mosul, dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein.

In Syrien brachen Regierungstruppen des Präsidenten Baschar al-Assad am 10. November die Belagerung des Luftwaffenstützpunktes Kuweiris auf, der südöstlich von Aleppo liegt. Analysten zufolge dürften die Assad-treuen Einheiten nun von Kuweiris aus versuchen, den IS im Osten von Aleppo durch einen Vorstoß gen Nordwesten einzukesseln.

Unterdessen haben die von den USA militärisch und logistisch umfassend unterstützten kurdischen YPG-Milizen, welche enge Beziehungen zur umstrittenen PKK-Organisation pflegen, mit der Eroberung von al-Hawl eine Großoffensive auf die inoffizielle IS-Hauptstadt Rakka eingeleitet.

Der türkische Außenminister erklärte am Mittwoch, dass die Türkei in Kürze zusammen mit den USA eigene Operationen gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ in Nordaleppo entlang der syrisch-türkischen Grenze starten werde.

„Wenn diese Pläne fertig sind, werden unsere Operationen mit größerer Intensität fortschreiten. Man wird das in den nächsten Tagen sehen“, gab Sinirlioğlu an. Der Minister fügte hinzu:

„Wie der US-Außenminister John Kerry bereits sagte, ist der IS immer noch an bestimmten Sektionen der türkischen Grenze präsent. Wir werden nicht zulassen, dass er unsere Grenze hält. Wir setzen eine ganze Reihe von Maßnahmen gegen die IS-Gefahr um.“

Nationalistische und anti-muslimische Mobilisierung in Europa Teil des IS-Kalküls

Mit dem Ziel, ausbleibende Territorialerfolge in Syrien oder Irak bei immer knapper werdendem Humankapital zu kompensieren – allein die Türkei soll in den vergangenen Monaten mindestens 3000 potenzielle IS-Mitglieder, die nach Syrien ausreisen wollten, festgesetzt haben –, betrachtet der IS mehr denn je die Nutzung terroristischer Taktiken als willkommenes Mittel. Seit Beginn seiner Existenz unter dem schwarz-weißen Banner sind diese als Option vorgesehen.

Der IS ist, wie seine Verwurzelung insbesondere im Irak beweist, auf die Gunst der sunnitischen Muslime angewiesen, wenn er überleben möchte. Um seine Herrschaft über diese zu legitimieren, ist es unabdingbar, nicht nur die sunnitische Opposition - wie in Syrien durch konkurrierende Rebellenorganisationen präsent - auszuschalten, sondern sich der gesamten sunnitischen Welt, wenn es sein muss, auch mit Gewalt, als einzige Alternative anzubieten.

Den Radikalisierungsgrad, der eine Zielgruppe dazu bringt, dass sie eine Organisation wie den IS unterstützt, erreicht man lediglich durch massive Polarisierung, wie im Falle der jüngsten IS-Anschläge in Ankara, Beirut oder Paris, welchen keinerlei militärisch-strategische Bedeutung beizumessen ist. Vielmehr dienen diese dazu, Sollbruchstellen zu verfestigen und im besten Fall die eigene Zielgruppe im Rahmen politischer Reaktionen des Mainstream zu marginalisieren. Durch einen Radikalisierungsprozess erhofft sich der IS, vor allem die zunehmend unter Druck kommende muslimische Minderheit in Europa, welche als vergleichsweise wohlhabend gilt, für seine Sache zu gewinnen. In diesem Zusammenhang zählt die extremistische Terrormiliz unter anderem auch auf rechte Kräfte, die das öffentliche Meinungsbild anheizen und maßgeblich das vom IS gewünschte politische Klima schaffen.

Die Attentäter von Paris und deren Hintermänner werden keinesfalls beunruhigt sein, wenn Frankreich und andere europäische Staaten oder Russland und auch die USA nun abermals ihre Sicherheitsgesetze verschärfen und mit Bomben auf Syrien antworten, wie seit Sonntag bereits vonseiten Frankreichs in Syrien geschehen. Diese Reaktionen sind für die radikalisierten Islamisten kein Kollateralschaden, sie sind sogar das erklärte Ziel ihres terroristischen Handelns. 

Die eingesetzte Gewalt ist nicht als irrationaler Akt blutrünstiger Irrer zu verstehen, sondern viel mehr eine - aus Sicht der Terroristen - rational und wohl kalkulierte Schockbotschaft mit dem Ziel, den angegriffenen Feind zu einer von Emotionen geleiteten Überreaktion zu provozieren, die einerseits im Inneren der attackierten Gesellschaft Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit einer freien Gesellschaftsordnung offenbart und verstärkt und in ihrer Außenwirkung Sympathisanten für den terroristischen Kampf mobilisieren soll. Schon die RAF hatte es als ihr Ziel definiert, den Staat zu harten Reaktionen zu provozieren, die dann wiederum die Bürger dazu bewegen sollten, den immer repressiver werdenden Staatsapparat abzulehnen. Es gilt: Der Terrorismus spielt immer über Bande.

Von RT Deutsch-Redakteur: Ali Özkök

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