Nahost

Schaukelkurs: Neue US-Strategie drängt Nahost-Staaten zu außenpolitischen Kurskorrekturen

Iran ist derzeit das einzige Land im Nahen Osten, das außenpolitisch souverän handelt. Die Außenpolitik der Golfstaaten, der Türkei und Israels hängt vor allem davon ab, wer in den USA das Präsidentenamt innehat. Vor diesem Hintergrund sollte auch die jüngste Reise von Erdoğan und Bennett in die Golfstaaten betrachtet werden.
Schaukelkurs: Neue US-Strategie drängt Nahost-Staaten zu außenpolitischen KurskorrekturenQuelle: AFP © Turkish Presidential

von Seyed Alireza Mousavi

Nach dem schrittweisen Abzug der USA aus dem Nahen Osten ist das Machtgefüge in der Region in Bewegung. Nachdem Washington die von den USA installierte Marionettenregierung in Kabul im Oktober 2021 im Stich gelassen hatte und damit faktisch den Weg für die Machtübernahme der Taliban geebnet hat, mehren sich die Anzeichen, dass die USA für ihre Verbündeten in der Region kein "verlässlicher" mehr Partner sind.

Angesichts der Verlagerung des Schwerpunkts der US-Außenpolitik von der sogenannten "Terrorismusbekämpfung" hin zu einer immer direkteren Konfrontation mit den Großmächten China und Russland zeigt Washington kaum Interesse, sich mit den Angelegenheiten und Sorgen seiner Verbündeten auf regionaler Ebene, unter anderem im Nahen Osten, auseinanderzusetzen. 

Iran ist praktisch das einzige Land im Nahen Osten, das in seiner Außenpolitik völlig souverän handelt und seine Strategie, nämlich die der "Achse des Widerstands", nicht je nach Situation revidiert. Die Außenpolitik der Golfstaaten, der Türkei und Israels hängt hingegen größtenteils davon ab, wer in den USA das Präsidentenamt innehat. Vor diesem Hintergrund sollten auch die jüngsten Reisen des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan und des israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett in die Golfstaaten betrachtet werden. 

Die USA haben mehrfach ihre Ablehnung gegenüber einem von Israel befürworteten Angriff auf iranische Atomanlagen angedeutet. Die neue US-Regierung neigt in der iranischen Atom-Frage dazu, den Atomdeal aus dem Jahr 2015 zu retten. Um eine Wiederbelebung des Atomabkommens zu erleichtern, ließen die USA zudem kürzlich einige von der Regierung Trump verhängten Sanktionen gegen Iran fallen. Die Reise von Israels Ministerpräsident Bennett nach Bahrain erfolgte überdies zu einem für den Nahen Osten entscheidenden Zeitpunkt, da die Atomgespräche mit Iran auf ihre Abschlussphase zusteuern. Bei seinem Besuch des Golfstaates Bahrain betonte Bennett in der Hauptstadt Manama das gemeinsame Interesse der beiden Länder am Kampf gegen Iran und seine Stellvertreter in der Region. Der israelische Ministerpräsident bezeichnete ein erneutes Atomabkommen mit Iran als "strategischen Fehler". 

Der israelische Verteidigungsminister Benny Gantz reiste Anfang Februar nach Manama, wo er mit staatlichen Vertretern Bahrains ein Sicherheitsabkommen unterzeichnete. Vor dem Hintergrund dieses Abkommens will Tel Aviv nun zum ersten Mal einen israelischen Marineoffizier in Bahrain stationieren. Infolge der Enttäuschung Israels über die Außenpolitik der neuen US-Regierung versucht das Land, seine Beziehungen zu den Golfstaaten zu intensivieren und mehr Präsenz am Persischen Golf, dem "Hinterhof" Irans, zu zeigen.

Ob dieser neue Kurs eine Aussicht auf Erfolg hinsichtlich einer "Eindämmung Irans" in der Region haben wird, kann bezweifelt werden. In Erwartung einer möglichen Aufhebung der Sanktionen durch USA ist vielmehr mit einer Stärkung der Position Irans in der Region zu rechnen.  

Am selben Tag, an dem Premierminister Bennett nach Bahrain flog, reiste der türkische Staatspräsident Erdoğan in die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Noch vor wenigen Monaten wäre ein solcher Besuch unvorstellbar gewesen. Seit 2013, als sich mit dem Putsch in Ägypten die Hoffnungen der Türkei zerschlugen, in der islamischen Welt eine führende Rolle übernehmen zu können, haben sich im Zuge des sogenannten Arabischen Frühlings die Beziehungen der Türkei zu konterrevolutionären Staaten wie Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten verschlechtert. Ankara hatte den VAE seinerzeit sogar vorgeworfen, die in der Türkei als Terrororganisation geführte Bewegung des Predigers Fetullah Gülen finanziert und damit den gescheiterten Putschversuch von 2016 mitgetragen zu haben.

Die Türkei verstärkt zudem ihre außenpolitischen Aktivitäten im Mittelmeer und unternimmt Alleingänge in Syrien und Libyen. Seit dem Amtsantritt Bidens in den USA korrigiert Erdoğan schrittweise seine Außenpolitik und nähert sich seinen arabischen Rivalen am Persischen Golf an, um sein Land aus der außenpolitischen Isolation zu befreien.

Der ehemalige US-Präsident Trump ließ seinerzeit die Kurden in Syrien rücksichtslos im Stich und gab damit der Türkei freie Hand für einen Einmarsch in Syrien. Die neue US-Regierung toleriert hingegen die Operationen der Türkei in den kurdischen Gebieten nicht länger und fördert die YPG-Miliz, die wiederum von Ankara als Terrorgruppe eingestuft wird. Washington hat zudem den Druck auf Erdoğan hinsichtlich seiner Nähe zu Russland erhöht. 

Auch in ihrer Libyen-Strategie scheint die Türkei einen Kurswechsel zu vollziehen. Die politischen und militärischen Konflikte in Libyen, in denen sich die Türkei und die VAE sowie Ägypten unversöhnlich gegenüberstanden, sind inzwischen weitgehend gelöst. Der türkische Botschafter in Libyen, Kenan Yılmaz, traf sich Mitte Januar mit dem libyschen Parlamentssprecher Saleh in Ostlibyen, obwohl sich Ankara bislang auf die Seite der von der UNO anerkannten Regierung in Tripolis gestellt und bislang noch keinen Dialog mit ostlibyschen Funktionären geführt hatte. 

Während Erdoğan sich in letzter Zeit gern als Fürsprecher palästinensischer Anliegen präsentierte, ist Ankara dabei, auch seine Beziehungen zu Israel wieder zu normalisieren. Grund dafür ist, dass Erdoğan die starke Präsenz Russlands im östlichen Mittelmeer angesichts der Ukraine-Krise als geopolitische Herausforderung für seine Ambitionen in der Region ansieht. 

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