Nahost

Diab geht, Adib kommt: Botschafter in Deutschland wird nächster Premier Libanons

Zuerst pickte sich die einflussreiche Gruppe der früheren libanesischen Premierminister ihn heraus, dann einigten sich die führenden politischen Gruppen auf ihn, nun wählte ihn auch das libanesische Parlament: Der Akademiker und Diplomat Mustapha Adib wird der nächste Premierminister des krisengeschüttelten Landes.
Diab geht, Adib kommt: Botschafter in Deutschland wird nächster Premier LibanonsQuelle: www.globallookpress.com © Global Look Press

Mustapha Adib, seit 2013 Botschafter des Libanon in Deutschland, wurde mit einer überwältigenden Mehrheit von 90 der möglichen 120 Stimmen im libanesischen Parlament zum Ministerpräsidenten gewählt, darunter auch mit den Stimmen der Hisbollah, deren Verbündeten der Freien Patriotischen Bewegung und der Amal-Bewegung, Hariris "Zukunftsbewegung" und einiger kleinerer Blöcke.

Staatspräsident Michel Aoun hatte am Montagmorgen verbindliche Gespräche mit den parlamentarischen Blöcken geführt, um die Wahl Adibs zu sichern. Anders als der bisherige Amtsinhaber Hassan Diab hat Adib zumindest somit eine viel breitere parlamentarische Unterstützung. 

Nach seiner Wahl erklärte Adib:

Mit der Gnade Gottes, des Allmächtigen, hoffen wir, dass wir mit Erfolg Professionelle mit ausgewiesener Expertise und Leistungsfähigkeit auswählen, um die notwendigen Reformen durchzuführen.

Hoffnungen auf eine neue Ära im Libanon sind jedoch stark gedämpft. Tatsächlich wurde Adib ausgerechnet von den Ex-Regierenden vorgeschlagen, die während ihrer Amtszeit im Libanon durch die Bank gescheitert sind: Nadschib Miqati, Fuad Siniora, Saad al-Hariri und nicht zuletzt sein Vorgänger Hassan Diab. Miqati und al-Hariri sind Milliardäre mit Beziehungen zu Saudi-Arabien. Adib war sogar von 2000 bis 2013 Miqatis Berater, Siniora ist ein enger Vertrauter al-Hariris – und alle, das schreibt die libanesische Verfassung so vor, sind sunnitische Muslime. Denn der Ministerpräsident hat Sunnit zu sein, während der Staatspräsident ein Christ und der Parlamentspräsident ein schiitischer Muslim sein muss. So ist auch der 48-jährige Adib ein Sunnit und gehört der sunnitischen "Zukunftsbewegung" al-Hariris an. 

Das ist ein anderer Versuch, das System mit einem neuen Gesicht, das sehr wenige Leute kennen, zu verschönern und ein Image zu projizieren, das sich etwas verändern würde", sagte Sam Atallah, Direktor des Libanesischen Zentrums für Politische Studien, dem Sender Al Jazeera.

Genauso wie sein Vorgänger Hassan Diab ist Mustapha Adib in der libanesischen Öffentlichkeit kaum bis gar nicht bekannt. 

Diab war nach den massiven Protesten gegen die wirtschaftlichen und politischen Bedingungen im letzten Jahr nach der Abdankung Saad al-Hariris ins Amt gekommen. Aber Fortschritte bei der Bekämpfung der Korruption oder bei der Einleitung politischer und wirtschaftlicher Reformen waren auch bei Diab nicht erkennbar. Er hatte nach sechs Monaten Regierungszeit nach der verheerenden Explosion am Hafen von Beirut am 4. August seinen Amtssitz geräumt.

Die Rede von Staatspräsident Michel Aoun am Vortag – ein Zufall?

In seiner Rede anlässlich des hundertjährigen Jubiläums der Staatsgründung des Libanon – 1920 sind die heutigen Staatsgrenzen des Landes unter einem französischen Völkerbundsmandat gezogen worden – betonte Präsident Aoun, dass der Libanon ein neues Konzept für das Ablaufen der staatlichen Funktionen brauche, das auf dem Begriff des Zivilstaates ("civic state") beruht. Er appellierte an spirituelle wie politische Führer des Libanon, die Diversität des Landes in eine "wirkliche Einheit" zu überführen und es in eine "konstitutionelle Veränderung zu übersetzen". Die Grundlage des politischen Systems im Libanon ist das Abkommen von Taif von 1990, das nach dem 15-jährigen Bürgerkrieg die Teilung der Macht immer noch unter den Konfessionen als Basis hat – wie schon 1920. 

Die Rede lässt sich fast wie eine Aufforderung an den neugewählten Ministerpräsidenten lesen, auf den nicht nur die Herausforderung der politischen Reformen warten. Der Libanon befindet sich in einer tiefen finanziellen Krise: Das libanesische Pfund hat seit Oktober 2019 um 80 Prozent an Wert verloren, das Bankensystem ist lahmgelegt, Armut und Arbeitslosigkeit haben einen Höchststand erreicht. Die Einschränkungen wegen der Corona-Pandemie verstärken die Krise zusätzlich. Offiziellen Angaben zufolge leben inzwischen 45 Prozent der Libanesen unter der Armutsgrenze.

Die Wahl Adibs wurde auch als ein Geschenk für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron am Vorabend seiner zweiten Reise nach der Explosion bezeichnet. Macron hatte finanzielle Hilfen von politischen und wirtschaftlichen Reformen abhängig gemacht und gewarnt, dass Unterlassungen in diesem Punkt zu Unruhen führen würden. 

Was kommt auf den neuen libanesischen Ministerpräsidenten Mustapha Adib zu?

Zudem sind die Milliardenschäden in Beirut nach der Hafenexplosion zu beseitigen. Seit der Explosion, bei der 190 Menschen gestorben und mehr als 6.000 verletzt wurden, sind mehr als 300.00 Menschen obdachlos. Heute Morgen schätzte die Weltbank den physischen Schaden hauptsächlich im Transportsektor, in Wohn- und Kulturanlagen zwischen 3,2 bis 4,6 Milliarden Dollar, was einen Ausfall von 2,9 bis 3,2 Milliarden in der ökonomischen Leistung bedeuten würde. Bis Ende 2020 würde der Libanon, so die Weltbank, 605 bis 760 Millionen Dollar Soforthilfe benötigen. Eine wichtige Bedingung der Geldgeber sind Reformen im finanziellen und im Elektrizitätssektor. 

Mehr zum ThemaKarin Leukefeld über das Pulverfass im Libanon

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.