Nahost

Tickende Zeitbombe wird zum politischen Spielball – Streit um Tanker statt Frieden im Jemen

Während die Welt geschockt bleibt von den Eindrücken aus Beirut und Mauritius, warnen immer mehr Stimmen vor einer Katastrophe durch den Öltanker Safer vor der Küste des Jemen. Allerdings verschieben sich die Forderungen, das potenzielle Desaster wird längst politisiert.
Tickende Zeitbombe wird zum politischen Spielball – Streit um Tanker statt Frieden im JemenQuelle: AFP © Satellitenbild 2020 Maxar Technologies

Während die laut UN größte humanitäre Katastrophe der Welt zur medialen Randnotiz geworden zu sein scheint, obwohl zuletzt allein die heftigen Regenfälle knapp so viele Tote gefordert hatten wie die verheerende Explosion in Beirut, steht seit einigen Wochen die Frage um die sichere Entsorgung des Öltankers Safer im Vordergrund.

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Auch das Augenmerk der momentan stattfindenden Friedensverhandlungen liegt auf dem Safer-Tanker, der seit Jahren vor der Küste der westjemenitischen Provinz al-Hudaida vor Anker liegt und aufgrund mangelnder Instandhaltung immenses Katastrophenpotenzial berge – ein Problem, das laut UN keinesfalls politisiert werden dürfe. Doch das ist längst der Fall.

Im Juni forderte der UN-Sicherheitsrat die Huthis auf, "den technischen Experten der Vereinten Nationen unverzüglich bedingungslosen Zugang zu gewähren, damit sie den Zustand des Tankers beurteilen, alle möglichen dringenden Reparaturen durchführen und Empfehlungen für die sichere Förderung des Öls abgeben können".

Das Büro des UN-Sondergesandten für den Jemen veröffentlichte Mitte August mit Hinweis auf die tragische Explosion in Beirut und die alarmierende Ölkatastrophe auf Mauritius eine Warnung, dass dringende Maßnahmen nötig seien, um den vermeidbaren Verlust von Menschenleben und Lebensgrundlagen nach Möglichkeit zu verhindern. Auch in dieser Woche war der Tanker Thema auf höchster internationaler Ebene mit Fokus auf den Jemen.

In der Tat stehen auch die Ökosysteme des Roten Meeres auf dem Spiel, von denen fast Millionen Menschen sowohl im Jemen als auch in umliegenden Ländern abhängig sind. Wichtige Häfen des auf Importe angewiesenen Landes und die Schifffahrt in einer der weltweit wichtigsten Handelsrouten wären von den Folgen betroffen.

Immer dringender klingen die Aufrufe auch der am Krieg auf Seiten der Saudi-Koalition beteiligten Golfstaaten oder ihrer Medien.

"Bei einem Treffen mit dem UN-Sondergesandten im Jemen, Martin Griffiths, betonte der saudische Botschafter im Jemen, Mohammed Al Jaber, die dringende Notwendigkeit, dass Experten Zugang zu dem Tanker erhalten", berichtete beispielsweise die saudische Presseagentur (SPA).

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Auch der berüchtigte US-Thinktank Atlantic Council hat im vergangenen Jahr seine Warnungen vermeldet und den Tanker als "schwimmende Bombe" bezeichnet. Und auch Oberst Turki al-Maliki, Sprecher der Arabischen Koalition gegen die Huthis, warnte, der Safer-Tanker sei eine ernsthafte Gefahr für das Rote Meer.

Doch die Huthis selbst, die mittlerweile große Teile des Landes sowie die Region um den Tanker kontrollieren, haben lange vor dieser Katastrophe gewarnt und um Hilfe gebeten, die aber letztendlich an den "saudischen Aggressoren" scheiterte.

So wurde UN-Ingenieuren der Zugang seitens der Huthis gewährt. Doch, so erklärte Ahmed Abdullah Dares, Energieminister der Huthis, bereits im ARD-Interview, dass " jedes Mal, wenn ein Team von uns den Tanker erreichen will, saudische Kampfjets auftauchen und uns angreifen. Das ist ein großes Problem".

Am 22. April warnte Mohammed al-Houthi, der Vorsitzende des Obersten Revolutionskomitees der Huthis, auf Twitter vor den Gefahren für die Umwelt und den Seeverkehr, die von der Safer ausgehen.

Am 30. April schrieb er laut der emiratischen Nachrichtenseite The National: "Wir fordern die UNO und den Sicherheitsrat auf, einen Mechanismus einzurichten, um jemenitisches Rohöl, einschließlich des Öls in der Safer, zu verkaufen."

Demnach sei der Verkauf von Öl für die Huthis geplant, um von den Einnahmen Brennstoffimporte sowie öffentliche Gehälter zu zahlen.

In dieser Woche teilte die jemenitische Erdölgesellschaft (Yemen Petroleum Company, YPC) mit, dass die saudisch geführte Koalition 19 Schiffe mit Ölderivaten in ihrer Gewalt hat, darunter 15 Schiffe mit mehr als 371.000 Tonnen Benzin und Diesel, von denen einige seit nicht weniger als 142 Tagen illegal festgehalten werden. Das Unternehmen informierte in einer am Dienstag veröffentlichten Erklärung, dass die freigesetzten Mengen 15 Prozent des gesamten Dieselbedarfs und 25 Prozent des Benzinbedarfs des Jemen ausmachen.

Die Ladung an Bord des Safer-Tankers hat einen Wert von rund 80 Millionen US-Dollar. Im Jemen kommt es immer wieder zu Stromunterbrechungen, die für Krankenhäuser fatal sein können, öffentliche Angestellte wurden seit Monaten nicht bezahlt.

Bevor das Thema in dieser Woche wieder auf der Tagesordnung des UN-Sicherheitsrates stand, bekräftigte der stellvertretende Außenminister der Huthis, Hussein al-Ezzi, dass seit Langem eine Reihe von Anstrengungen zur Sicherung des Tankers unternommen wurde, seit dem Jahr 2016, als das Schiff noch in gutem Zustand war und nur einige Ausrüstungsgegenstände zur Wartung benötigt worden wären, was von der saudisch geführten Koalition abgelehnt wurde.

Während einer Pressekonferenz erklärte al-Ezzi, dass die Vereinten Nationen erst nach drei Jahren des Zögerns zugestimmt hatten, das Wartungsteam zu entsenden, das dann im August 2019 eintreffen sollte.

"Die Vereinten Nationen hielten sich jedoch nicht an die Vereinbarung, obwohl dem Team ein Einreisevisum erteilt wurde. Sanaa war überrascht, dass die Vereinten Nationen die Aufgabe des Teams von der Wartung zur Entsorgung geändert hatten, was von Sanaa abgelehnt wurde. Nach den Bemühungen von Sanaa und der Kommunikation mit dem UNO-Offiziellen gab der UNO-Gesandte zu, dass es einen schwerwiegenden Bruch in der Mission des Teams gab."

Mohammed Abdulsalam, Sprecher der Ansarallah-Bewegung, wie die Huthis auch genannt werden, hatte im August beteuert, dass wiederholte Bitten, den Tanker zu warten und zu reparieren, kontinuierlich ignoriert worden seien, auch hatte der Öltanker seit Beginn der saudischen Aggression keinen Treibstoff für die Durchführung seiner Sicherheits- und Wartungsverfahren erhalten. Weiterhin seien die Vereinten Nationen wegen ihrer Untätigkeit gegen die jahrelangen saudischen Bombenangriffe und die Blockade des Jemen sowie der Streichung von Saudi-Arabien aus der Liste von Kindermördern nicht in der Position, sich über humanitäre Missstände zu äußern.

Dabei gäbe es auch laut mehreren humanitären Organisationen, die im Jemen tätig sind, vor allem auch die Zunahme an Bombardierungen durch die saudisch geführte Koalition zu vermelden, die weiterhin zivile Opfer fordern und alle bereits bestehenden Probleme – wie den Hunger, an dem in diesem Jahr beinahe zweieinhalb Millionen Kinder sterben könnten, die größtenteils unter anderen Umständen vermeidbaren Krankheiten, die Infrastrukturprobleme – noch verschärfen, offenbar auch vorsätzlich.

Beispielsweise klagte die Organisation Save the Children Luftangriffe im Juli an, bei denen wie so oft Kinder und Frauen getötet wurden, mindestens 17 allein in vier Tagen bei zwei Anschlägen. Dies spiegele die Eskalation der Gewalt mit zunehmenden zivilen Opfern, vor allem durch Angriffe der von Saudi-Arabien geführten Koalition. Allein zwischen Mai und Juni dieses Jahres hat sich die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung verdreifacht, in den ersten sechs Monaten des Jahres 2020 stieg die Bombardierungsrate der von Saudi-Arabien und den Emiraten geführten Koalition im Vergleich zum letzten Halbjahr 2019 um fast 140 Prozent an.

Xavier Joubert, Landesdirektor von Save the Children im Jemen, sagte nach den Luftangriffen im Juli: "Wir sind entsetzt über die Nachricht, dass die Mehrheit der in diesen Tagen getöteten Menschen Kinder waren. Jemenitische Kinder zahlen in einem Krieg, an dem sie gar nicht beteiligt sind, mit ihrem Leben und lassen Familien auseinandergerissen zurück, während die Luftangriffe weiterhin wahllos auf Zivilisten abzielen."

Ähnlich äußert sich Oxfam jüngst und betonte, dass durch Luftangriffe seit der Eskalation des Konflikts vor mehr als fünf Jahren fast 200 Mal medizinische und Wasserinfrastruktur getroffen wurde – das entspricht einem Luftangriff alle zehn Tage während des Konflikts, von dem Krankenhäuser, Kliniken, Krankenwagen, Wasseranlagen und andere zivile Einrichtungen betroffen waren.

Al-Ezzi betonte, es gehe derzeit nicht um Schuldzusprechungen, sondern darum, eine Katastrophe zu verhindern.

Eine Veröffentlichung der gestürzten jemenitischen Regierung auf Twitter am Dienstag nahm das nun auf höchste Ebene aktuelle Tanker-Thema zum Anlass, die Huthis zu verurteilen, und forderte die internationale Gemeinschaft auf, "die Entführung dieses Öltankers durch bewaffnete Milizen, die den Jemen, die Region und die Welt bedrohen, nicht zuzulassen".

Trotz der vermeintlich humanitären Motivation dieses Posts regte sich unter den Nutzern der Plattform unter anderem Widerstand sowie teils Spott. Ein jemenitischer Karikaturist postete kommentarlos ein Bild von bewaffneten Figuren, die einer Blutspur nachgehen, darunter die UN.

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