Nahost

Syrien: Washington empört über Parlamentswahlen – Assads Partei gewinnt bei geringer Beteiligung

Unter schwierigen Bedingungen gingen am Sonntag die Parlamentswahlen in Syrien zu Ende. Bei niedriger Wahlbeteiligung setzte sich erwartungsgemäß die Baath-Partei von Präsident Assad durch. Das US-Außenministeriums ist sich derweil sicher: Es gab keine fairen Wahlen.
Syrien: Washington empört über Parlamentswahlen – Assads Partei gewinnt bei geringer BeteiligungQuelle: Reuters © IMAGE WAS PROVIDED BY A THIRD PARTY

von Karin Leukefeld

Am späten Sonntagabend gingen die Wahlen für das syrische Parlament zu Ende. Die Öffnungszeiten der Wahlzentren waren bis 23:00 Uhr verlängert worden. Schwierige Lebensverhältnisse in Syrien überschatteten den Urnengang.

Baath-Partei und verbündete Parteien setzen sich durch – Niedrige Wahlbeteiligung

Erwartungsgemäß setzte sich die Baath-Partei und ihr Block der Nationalen Einheit durch. Ihre Kandidaten errangen 183 der 250 Parlamentssitze, die übrigen Sitze teilen sich auf zumeist bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens auf.

Eigentlich waren die syrischen Parlamentswahlen für April 2020 vorgesehen. Wegen der drohenden Gefahr einer Coronavirus-Pandemie waren sie zunächst auf Ende Mai und schließlich auf den 19. Juli 2020 verschoben worden. 1.658 Kandidatinnen und Kandidaten aus den 16 syrischen Provinzen waren angetreten, um einen der 250 Sitze im Parlament in Damaskus zu gewinnen. Landesweit waren nach Angaben der Wahlkommission mehr als 7.400 Wahlzentren geöffnet, darunter 1.400 Wahlzentren für Angehörige der syrischen Streitkräfte, die landesweit noch im Einsatz sind. Inlandsvertriebene und ursprüngliche Bewohner der Provinzen Rakka und Idlib konnten dort wählen oder kandidieren, wo sie aktuell leben.

Nach Angaben von Justizminister Hisham al-Sha'ar beteiligten sich von etwa 19 Millionen Wahlberechtigen nur 6,2 Millionen Menschen an den Wahlen, rund 33 Prozent. Al-Sha'ar führte die geringe Wahlbeteiligung auf die Gefahren einer Infektion durch das Coronavirus zurück. Zudem hätten Syrer im Ausland sich nicht an den Wahlen beteiligen können. Weil Flughäfen und Grenzen Corona-bedingt geschlossen seien, hätten Syrer auch nicht nach Syrien zurückkehren können.

Die Bekanntgabe der Wahlergebnisse hatte sich verzögert, weil in fünf Wahlzentren in Aleppo und Deir ez-Zor neu ausgezählt werden musste, erklärte der Vorsitzende der Wahlkommission Samer Zamrek am Dienstagabend vor Journalisten in Damaskus. Die Wahlbeteiligung gab Zamrek mit 33,17 Prozent an. Bei den Wahlen 2016 lag die Wahlbeteiligung bei 57,56 Prozent.

In Aleppo gab es Beschwerden von Kandidaten und Kandidatinnen, deren Namen wie von Geisterhand von Unabhängigen Wahllisten verschwunden waren. Sie sei enttäuscht, sagte Sundus Mawordi, Kandidatin der unabhängigen "Aleppo Al-Asala"–Liste. Am Wahlmorgen musste sie feststellen, dass ihr Name von der Wahlliste entfernt worden war. Keiner der ursprünglichen Namen sei mehr auf ihrer "Liste der Authentizität" zu finden, so Mawordi. Auch der prominente Geschäftsmann und Vorsitzende der Industrie- und Handelskammer von Aleppo, Fares Shehabi, konnte nicht wieder ins Parlament einziehen. Bis Freitag kann Widerspruch gegen das Wahlergebnis eingelegt werden.

Gesprächspartner in Syrien hatten gegenüber der Autorin bereits vor den Wahlen die  Dominanz der Baath-Partei als Hindernis für einen wirklichen Wettstreit von Parteien bezeichnet. Ursprüngliche Oppositionsparteien wie die Kommunisten, die Syrische Nationale Sozialistische Partei (SSNP) und Pan-Arabische Parteien hätten sich schon vor Jahren über das Verhältnis zur Baath-Partei zerstritten und gespalten. Heute sei jeweils eine Fraktion dieser Parteien als Mitglied der Nationalen Progressiven Front, dem heutigen Block der nationalen Einheit mit der Baath-Partei, im Parlament vertreten. Die anderen Fraktionen gehörten zur inner-syrischen außerparlamentarischen Opposition.

Die Durchführung der Parlamentswahlen sei grundsätzlich richtig und verfassungsgemäß, sagte ein Gesprächspartner der Autorin. Debatten im Parlament hätten auch in der Vergangenheit immer wieder die öffentliche Meinung aktiviert. Er selber habe aber keinen Kandidaten oder keine Kandidatin gefunden, der oder die ihn überzeugt habe, darum habe er nicht gewählt. Die wenigen unabhängigen Kandidaten hätten kein Programm vorgelegt, andere hätten nur vage Versprechungen gemacht. Gut sei "die große Anzahl junger Kandidaten und Kandidatinnen" und auch die Teilnahme von Geschäftsleuten sei wichtig, "weil sie wirtschaftlich eine Rolle spielen können".

Auslandsopposition, SDF und Dschihadisten gegen die Wahlen

Nicht gewählt wurde in den syrischen Provinzen Rakka und Idlib. In den nördlichen Gebieten der Provinz Idlib haben Dschihadisten um die terroristische Hayat Tahrir al Sham das Sagen, die von Tausenden türkischen Besatzungstruppen unterstützt werden. Im Norden der Provinz Aleppo und im Nordosten Syriens stärkt die türkische Armee verbündeten Kämpfern den Rücken.

Rakka und Teile der Provinz Hasakeh werden wiederum von den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) kontrolliert, die von US-Besatzungstruppen unterstützt werden. Lokman Ahmi, Sprecher der kurdisch dominierten "Autonomen Verwaltung von Nord- und Ostsyrien" erklärte vor Journalisten in Qamishly im Norden Syriens, die Parlamentswahlen hätten "keine Bedeutung für die Autonome Verwaltung", es werde "keine Wahlurnen geben".

Kritik an den Wahlen

Westliche Kommentatoren und syrische Oppositionelle hatten schon vor der  Wahl von einer Farce gesprochen. Der in Deutschland lebende Anwalt und Menschenrechtler Anwar al-Bunni erklärte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa), Syrien werde nicht von der Regierung und Präsident Bashar al-Assad regiert, sondern "von lokalen Milzen, Warlords und reichen Geschäftsleuten". Die Wahlen sollten "Assads autoritäre Herrschaft verbergen", die Wahl sei "ein Witz".

Nach den Wahlen erklärte Morgan Ortagus, Sprecherin des US-Außenministeriums in Washington, in Syrien habe es "keine freien und fairen Wahlen" gegeben, seit Assads Baath-Partei an die Macht kam. Das Jahr 2020 sei "keine Ausnahme".

Yahia al-Aridi, Mitglied des "Hohen Verhandlungskomitees" bei den Gesprächen am Sitz der UNO in Genf, sprach gegenüber der dpa von einem "Theaterspiel des Regimes". Es habe sich um "unrechtmäßige Wahlen" gehandelt, die Menschen in Syrien hätten kein freies Wahlrecht. 

Die Nationale Koalition der revolutionären und oppositionellen Kräfte Syriens (Etilaf) mit Sitz in Istanbul – auch Syrische Oppositionskoalition (SOC) genannt – äußerte sich offiziell nicht zu den Wahlen. Deren amtierender Präsident Nasser al-Hariri nahm am Dienstag demonstrativ als Gast an einem virtuellen "Weltgipfel zur Befreiung Irans 2020" teil, der von den Volksmujaheddin, dem Nationalen Widerstandsrat des Iran (NCRI), veranstaltet wurde. Syrer und Iraner seien im Kampf um einen "demokratischen, pluralistischen Staat, der auf Rechtsstaatlichkeit basiert", vereint, so al-Hariri.

Ihr und wir kämpfen den gleichen Kampf gegen Terror und kriminelle Banden.

Die Wahlen als Recht und Übernahme von Verantwortung

Aufgrund der schwierigen ökonomischen Umstände im Land könnten die Wahlen durchaus als unzulänglich angesehen werden, sagt George Jabbour von der Syrischen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (im Gespräch mit der Autorin). Unter den gegebenen Umständen habe man aktuell nur zwei Möglichkeiten:

Entweder man führt die Wahlen durch oder man sagt sie ab. Ich finde es richtig, die Wahlen durchzuführen.

Die Umstände seien nicht nur wegen der Wirtschaftskrise schwierig, viele Syrer seien gar nicht im Land, andere lebten in Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle und könnten die Wahlzentren möglicherweise nicht erreichen. Dann gäbe es weiterhin die Gefahr des Coronavirus, weswegen die Grenzen noch immer geschlossen seien. Die Möglichkeiten in Syrien seien begrenzt,  doch  "diese Wahlen entsprechen der Situation, in der sich Syrien befindet. Es ist immer noch besser, die Wahlen stattfinden zu lassen als nicht".

Zudem seien sie legal, weil die reguläre Amtszeit des Parlaments abgelaufen sei, argumentierte der Historiker, der Syrien zwischen 2002 und 2009 im UN-Menschenrechtsrat in Genf vertrat. Die Erwartung der Bevölkerung, egal für wen sie stimmen würden, sei landesweit die gleiche:

Ob von den Kandidaten, den Parteien oder von der Regierung, alle erwarten, dass die Lage in Syrien sich verbessert. Wir hoffen alle auf Veränderung", so Jabbour.

Gleichwohl sei klar, dass eine Verbesserung der Situation in Syrien "nicht ausschließlich in der Hand der Regierung liegt". 

Auch die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Marija Sacharowa hatte die Bedeutung der syrischen Parlamentswahlen bekräftigt. In der schwierigen Situation, in der Syrien sich aktuell befinde, halte Moskau es für "wichtig, dass alle Institutionen von Legislative und Executive in Syrien weiter normal arbeiten", sagte sie am Donnerstag vor den Wahlen bei ihrer wöchentlichen Pressekonferenz. Damit könne die Stabilität des Landes erhalten werden. Die Lage in den Gebieten  von Idlib und in der Euphrat-Region, die nicht unter Regierungskontrolle stehen, bezeichnete sie als "angespannt".

Geringe Wahlbeteiligung

In Syrien sorgte die geringe Wahlbeteiligung für eine Überraschung. Die niedrige Wahlbeteiligung sehe nach einem Boykott aus, erklärte ein Gesprächspartner, der lediglich ein Kreuz bei einer Person gemacht habe, die er kenne und achte. Sein Freund habe einen leeren weißen Zettel abgegeben, als wolle er der Regierung und Parlament einen Denkzettel verpassen.

Die Wahlen sind richtig und wichtig", so der Gesprächspartner.

Aber weder die Abgeordneten noch die Regierung könnten oder wollten der Bevölkerung in dieser schweren Zeit wirklich beistehen, so die Person weiter.

Wir überleben nur aus eigener Kraft.

Elia Samman, langjähriger Berater von Ali Haidar, dem Vorsitzenden der Kommission für die Nationale Versöhnung, sagte im Gespräch mit der Autorin, die Wahl sei richtig und entspreche der Verfassung, weil die Amtszeit des Parlaments abgelaufen sei. Samman und Haidar gehören dem Flügel der SSNP an, der sich zur außerparlamentarischen Opposition zählt und bei den Wahlen 2016 und 2020 keine Kandidaten aufstellte. Samman hob die schwierige ökonomische Lage in Syrien hervor, die für alle Syrer im Vordergrund stehe. Die monatlichen Angestelltengehälter seien aufgrund der hohen Inflation und Wirtschaftskrise auf umgerechnet 25 bis 35 US-Dollar geschrumpft. Keine Familie könne damit einen Monat überleben.

Zum Glück würden weiterhin Grundnahrungsmittel und der Strom staatlich subventioniert, aber Land und Leute und auch die Nachbarstaaten bräuchten den Wiederaufbau. Die Sanktionen der USA und der EU erdrosselten die Region.

Syrien ist ein reiches Land, und wenn man uns in Ruhe ließe und die fremden Truppen abzögen, würde es uns bald viel besser gehen", zeigte Samman sich überzeugt.

Unser Öl und das Gas, die Baumwolle und der Weizen sind in den Händen der Kurden und der USA. Unsere Oliven werden von der Türkei gestohlen.

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