Lateinamerika

Venezuela – Ein Blick hinter die Lügen und Mythen über das Land

Die spanische Politikwissenschaftlerin und Autorin eines aktuellen Buches über Venezuela, Arantxa Tirado, spricht im RT-Interview über ihre Verbindungen zu diesem Land und die falschen Informationen, die in den gängigen Medien über die dortige Situation herrschen.
Venezuela – Ein Blick hinter die Lügen und Mythen über das LandQuelle: RT © Nathali Gómez

Die spanische Politologin Arantxa Tirado ist seit fast 20 Jahren mit Venezuela verbunden. Mit ihrem Buch "Venezuela. Jenseits von Lügen und Mythen" möchte sie durch Daten und Fakten die vielen Unwahrheiten widerlegen, die über dieses Land verbreitet werden. "Das ist das Mindeste, was wir für das venezolanische Volk und für uns alle tun können", sagt Tirado.

Ihr Buch wurde von der venezolanischen Regierung bezahlt?

Das ist einer der Hauptmythen der venezolanischen Opposition: zu argumentieren, dass Ausländer, die die Bolivarische Revolution unterstützen oder sich nicht an ihrer Kampagne der Diffamierung und Manipulation der venezolanischen Realität beteiligen, von der "Narkodiktatur" von Nicolás Maduro bezahlt werden.

Das bedeutet, nicht das Wesen der Menschen zu verstehen, die die Bolivarische Revolution unterstützen, die in der Regel Kämpfer sind, Menschen der politischen Linken und aus den kämpferischsten Sektoren. Nur wenige Menschen außerhalb des Landes stehen für Venezuela ein, das muss gesagt werden. Im spanischen Staat bringt die Verteidigung Venezuelas keinerlei wirtschaftliche, soziale oder arbeitsrechtliche Vorteile mit sich. Mir wird in den sozialen Medien zu verstehen gegeben, dass man dafür sorgen wird, dass ich wegen meiner Vorstellungen über die Unterstützung für die "venezolanische Diktatur" nie wieder eine Arbeit finde.

Ich lebe von meiner Arbeit, und selbst wenn sie mich in Venezuela bezahlen wollten, würde ich dieses Geld nie annehmen, weil ich seit 20 Jahren die Bolivarische Revolution verteidige. Seit ich vom Sieg von Hugo Chávez erfuhr, habe ich mich für die Verteidigung Venezuelas interessiert. Ich würde nie etwas für Geld, Ego oder Prestige tun.

Wie war die Arbeit an diesem Buch?

Sie ist das Ergebnis langjähriger Arbeit, der Verteidigung der Revolution hier in Spanien und der Untersuchung des Prozesses. In meiner Doktorarbeit über Internationale Beziehungen habe ich über die Außenpolitik von Chávez promoviert und Fragmente dieser Arbeit für einige Teile des Buches verwendet.

Ich habe im März 2019 mit dem Schreiben des Buches begonnen, und in wenigen Monaten musste es fertig werden. Wenn man so wie ich anfängt zu schreiben, stellt man fest, dass die ganze Vorarbeit da ist, dass man, obwohl man sich auf ein paar Monate konzentriert hat, schon seit Jahren über Venezuela schreibt.

Wer wird das Buch lesen?

Die Logik dieses Buches besteht darin, an Menschen zu appellieren, die sich fragen, was in Venezuela vor sich geht, und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich einer Vision von Venezuela anzunähern, die sich völlig von der unterscheidet, die ihnen die Medien jeden Tag präsentieren.

Sie sprechen in dem Buch über Mythen. Und ein Mythos darunter lautet, dass der Chavismus tot ist und es nun einen "Madurismus" gibt.

Es gibt Chavistas, die behaupten: "Ich bin ein Chavista, aber Maduro ist nicht dasselbe, da ist die Korruption (...)" Und die Antwort darauf ist, dass es diese Probleme auch in der Präsidentschaft von Hugo Chávez gab, dass seine charismatische, emblematische und überwältigende Führung zweifellos unersetzlich ist. Aber ich denke, es ist sehr unfair für die Figur, das Bild von Maduro, solche Vergleiche anzustellen, die nicht notwendig sind. Außer für Leute, die die Absicht haben, auf diese Kluft zu hinzuweisen, um so die Idee zu vermitteln, dass es keine historische Kontinuität gibt. Es ist wichtig zu sagen, dass es sie gibt, es ist das gleiche Projekt, mit seinen Varianten.

Es gibt einen Chavismus ohne Chávez?

Sicher. Diese Art von Ideen, die sich naiv übernehmen lassen, sind nicht zufällig, sie kommen aus psychologischen Labors, die Trends setzen und bestimmte Denk- und Erzählmuster etablieren, durch ihre Intellektuellen, ihre Ideologen, ihre Medien.

Die Führung der Opposition sagt, dass diese 20 Jahre Chavismus das Land zerstört hätten, und behauptet andererseits, dass während der Regierung von Chávez alles gut funktioniert habe und dass sich die Dinge mit Maduro verschlechtert hätten.

Die Suche nach einer Logik in den Reden der Opposition ist ein Fehler. Es sind eminent emotionale Reden, die der Wut, der Frustration über den Verlust der politischen Macht, über schwierige persönliche Situationen, über Familientrennungen, über Ohnmacht durch Kaufkraftverlust entspringen. Eine Reihe von Faktoren, die Menschen dazu bringen, nicht rational zu denken. Überraschend ist weniger, dass diese Leute diesen Diskurs führen, sondern dass es in den Medien, in Europa, angeblich ernsthafte oder gebildete Menschen gibt, die sie unterstützen.

Wenn es "uns vorher gut ging und mit Maduro alles zerstört wurde", wie erklären sie sich dann, dass es gleichzeitig "20 Jahre wirtschaftliche Katastrophe" gibt? Und wie erklären sie die Indikatoren, die die UNO in den ersten zehn Jahren bestätigt und veröffentlicht hat? Es gibt viele Artikel von Wirtschaftswissenschaftlern, die die wirtschaftlichen und sozialen Errungenschaften des Chavismus für das venezolanische Volk hervorheben.

Warum hat es diesen Wirtschaftskrieg gegeben? Weil dieses gute Beispiel abgeschafft werden musste. Obwohl sie sagen, dass nichts gegen die Armut in Venezuela unternommen wurde, müssen wir uns daran erinnern, dass die Armut jetzt wieder zugenommen hat. Aber in den ersten Jahren ist sie auf beeindruckende Weise zurückgegangen, was in historischer Hinsicht unglaublich ist. Die Frage ist also: Wenn es so einfach war, die Armut zu beenden, und Chávez es nicht getan hat, warum haben es denn dann die vorherigen Regierungen nicht getan, die das Land in schändlicher Armut hinterlassen haben? Warum ist Venezuela mit einem Caracazo explodiert? Wenn alles so wunderbar war, wie erklären sie sich dann die Entstehung von Hugo Chávez?

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Wie erklären Sie die Behauptung, dass es in Venezuela einen Mangel an Demokratie gibt oder dass die Wahlen gefälscht und wenig transparent sind?

Seit Jahren wird das wiederholt, ohne jede Grundlage. Denn wie ich in dem Buch erkläre, gab es hier Wahlbeobachter. Sie haben die Ergebnisse gebilligt. Die Wahlmaschinen und das Wahlsystem gehören zu den weltweit fortschrittlichsten.

Ich frage mich, wie man Betrug begehen kann, wenn man derart im Rampenlicht steht wie in Venezuela, mit Wahlbegleitern, eingeladen von der rechten Opposition, die auch im Nationalen Wahlrat (Consejo Nacional Electoral, CNE) präsent ist, der auch die Vorwahlen oder internen Wahlen der Opposition überwacht. Warum gilt der CNE in einigen Fällen und in anderen Fällen nicht? Warum gibt es keine Beschwerden, wenn die Opposition gewinnt?

Auch hier. Das sind unlogische Argumente von verzweifelten Menschen, die Interessen außerhalb des Landes dienen, weil es ein solches Maß an Fehlinformationen zu Venezuela gibt. Sie verbreiten dosiert Botschaften von "Betrug", "es gibt keine Demokratie", "Diktatur", aber die Menschen sehen nicht genauer hin. Wenn man es analysiert, findet man keine Grundlage dafür. Wenn es Beweise für Betrug gäbe, wäre es bereits überall auf der Welt veröffentlicht.

Ist es ein weiterer Mythos, dass die US-Strafmaßnahmen gegen Venezuela Teil des Kampfes gegen die Korruption sind?

Das ist lächerlich, bei all den korrupten US-Amerikanern und Spaniern. Erinnern wir uns daran, dass Pedro Sánchez spanischer Ministerpräsident wurde, weil die Partei seines Amtsvorgängers Mariano Rajoy, die Volkspartei (Partido Popular, PP), in einen solchen Korruptionsskandal verwickelt war, dass sie einen Misstrauensantrag im Parlament verlor. Wer sind wir Europäer und US-Amerikaner, um Lektionen in Sachen Korruptionsbekämpfung zu erteilen?

Es ist sehr beunruhigend, dass die Korruption, die ich nicht leugnen möchte, in Venezuela wie in allen Ländern, dazu benutzt wird, die Regierungen der Linken zu diskreditieren. Aber immer wird dabei vertuscht, dass es andere Regierungen der Rechten gibt, die ebenso oder viel korrupter sind.

Korruption ist auch eine der zentralen Säulen dieser "Lawfare"-Strategien, die in der Region in jüngster Zeit angewandt werden und die am Werk waren, um Luiz Inácio Lula da Silva und Dilma Rousseff in Brasilien loszuwerden. Wir müssen also vorsichtig sein mit diesen "Anti-Korruptions"-Reden, denen sich die Linke mit guten Absichten anschließen kann. Die sie sich aber nicht von denjenigen andrehen lassen darf, die wirklich korrupt sind und die einem sagen wollen, wer korrupt ist und wer nicht, und zwar auf eine ziemlich heuchlerische Weise.

Was halten Sie von der Behauptung, dass die Sanktionen nicht gegen Venezuela, sondern gegen Maduro gerichtet sind?

Man hat gesagt, dass dies erst in den letzten Jahren der Fall sei. Und dass die venezolanische Wirtschaft eine Katastrophe sei.

Kollegen aus der Wissenschaft wie beispielsweise vom Zentrum für wirtschaftliche und politische Forschung (CEPR) mit Sitz in Washington haben einige Arbeiten über die Art und Weise und die Auswirkungen der Blockade durchgeführt. Darüber, wie diese Sanktionen, auch wenn die Opposition behauptet, dass sie sich gegen einzelne Personen richten würden, sich auf die Finanzorganisationen und die staatlichen Verwaltungen auswirken. Auf die Investitionen des venezolanischen Staates, auf die Käufe, die er im Ausland tätigen kann, und auf die Sozialpolitik, die den Unterschied zwischen der Revolution und früheren Regierungen ausmacht.

Es scheint mir, dass man mit dem leichtfertigen Gerede, es richte sich nur gegen die Figuren der Revolution, den wahren Charakter der Sanktionen und der bestehenden Blockade verbergen will.

Was halten Sie von der Behauptung, die US-Hilfe sei "uneigennützig", um "Venezuela wieder zurück zur Demokratie zu bringen"?

Die Vereinigten Staaten wissen wie jede andere Macht und als hegemoniales Land, das viel Geld dafür aufwendet, über seinen Platz in der Welt nachzudenken, dass all diese Staatsstreiche, die im 20. Jahrhundert in Lateinamerika stattfanden, eine sehr schlechte Presse haben. Sie wissen, dass sie nach anderen Mechanismen suchen müssen, um in den Ländern, die sie als ihr Einflussgebiet betrachten, zu intervenieren, und die politischen und sozialen Ereignisse dort in die von ihnen gewünschte Richtung zu steuern.

Hier kommt die Frage der Entwicklungshilfe ins Spiel, die als etwas Gutes dargestellt wird. Hinter der aber in Wirklichkeit eine Agenda der Kartierung von Reichtum, Bevölkerung und Ressourcen steht. Auf der anderen Seite ist die Frage der "uneigennützigen Hilfe" ein weiterer Aspekt eines Krieges, der für das Auge unsichtbar ist, der aber existiert. Ein hybrider Krieg, der sich aus Elementen der Propaganda, des Journalismus, der Destabilisierung in den sozialen Netzen und des Angriffs auf die Energie- und Stromversorgung zusammensetzt, zum Beispiel.

Man muss nicht das Militär schicken oder Bomben abwerfen, um Krieg zu führen. Psychologische Kriegsführung gibt keine Schüsse ab, aber sie richtet sich gegen revolutionäre Prozesse. Diese Art von Krieg hat mehrere Akteure: Zivilgesellschaften, NGOs, sogar den Einsatz von Kriminalität, wie man beim kolumbianischen Paramilitär gesehen hat, das in venezolanische Viertel eingedrungen ist und sich der selektiven Ermordung sozialer und politischer Führer verschrieben hat.

Venezuela befindet sich im Krieg, nicht nur wirtschaftlich, sondern in einem breiten Spektrum. Und das sollte uns wachsamer machen. Denn wenn man vertrauensselig ist und den Feind nicht kommen sieht, dann schlägt er einen.

In einem Abschnitt Ihres Buches definiert Chávez Venezuela als "Motor". Aber wie erklärt es sich, dass es jetzt "der destabilisierende Faktor in der Region" ist?

Wegen all dieser medialen und politischen Konstruktionen einer "schwarzen Bestie" des Systems wollen viele Menschen nicht von diesem "schlechten Beispiel" kontaminiert werden und lassen sich auf dieses Gerede ein.

Es ist eine Möglichkeit, die Feigheit zu vertuschen, um eine Revolution, die in jeder Hinsicht belagert wird, nicht zu unterstützen. Es ist zudem schäbig, die Rolle nicht anzuerkennen, die Venezuela tatsächlich als Motor beim Aufbau einer alternativen Geopolitik und der lateinamerikanisch-karibischen Integration auf sehr großzügige Weise gespielt hat, nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht. Der Hauptgrund dafür war die tiefe Überzeugung von Chávez, dass das venezolanische Öl in den Dienst der Entwicklung Lateinamerikas und der Karibik, der dortigen Völker gestellt werden müsse. Und dass dies die Region insgesamt stärken würde, um den Attacken der Vereinigten Staaten besser standhalten zu können und sich geopolitisch als ein Akteur mit Gewicht im internationalen System zu positionieren.

Es scheint, dass Venezuela nur Schlechtes gebracht hat. Eine gewisse lateinamerikanische Linke müsste darüber nachdenken, warum sie an einem bestimmten Punkt aufgehört hat, Venezuela zu unterstützen oder nicht mehr damit in Verbindung gebracht werden will. Warum diese Feigheit, wenn Venezuela ihnen so viel gegeben hat?

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