Lateinamerika

Regenwaldabholzung: EU-Abgeordnete wenden sich gegen Freihandelsabkommen mit Mercosur

EU-Abgeordnete warnen vor dem Freihandelsvertrag zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Mercosur-Bündnis. Sie fordern insbesondere von Brasilien Garantien für den Schutz des Regenwaldes und der indigenen Völker.
Regenwaldabholzung: EU-Abgeordnete wenden sich gegen Freihandelsabkommen mit Mercosur  Quelle: Reuters

von Maria Müller

Am 22. März überreichten 36 EU-Abgeordnete der Kommissarin der europäischen Handelskommission, Anna Cecilia Malmström, einen offenen Brief. Darin wenden sie sich entschieden gegen eine Unterzeichnung des umstrittenen Freihandelsabkommens zwischen den Wirtschaftsblöcken der Europäischen Union und dem südamerikanischen Mercosur (Abkürzung für „Gemeinsamer Markt Südamerikas“). Denn die seit mehreren Monaten ruhenden Verhandlungen sollen Anfang April wiederaufgenommen werden. Grund der Ablehnung sind diesmal nicht die drohende Agrarkonkurrenz aus Südamerika oder die Überlegenheit europäischer Dienstleister bei öffentlichen Ausschreibungen in MERCOSUR-Staaten. Auch nicht die Sorge der Südamerikaner, ihre Staatsbetriebe an ausländische Konzerne zu verlieren. 

Nein, diesmal geht es um die grüne Lunge der Erde und um die dort lebenden indigenen Völker Brasiliens. Lässt man der Regierung unter Präsident Jair Bolsonaro freien Lauf, so die Abgeordneten, sind der Regenwald des Amazonas-Gebietes und die indigenen Ureinwohner vom Untergang bedroht. Gerade der besagte Handelsvertrag beschleunige diesen Prozess.

Mit dieser Initiative schlossen sich die EU-Vertreter einem ersten offenen Brief ähnlichen Inhalts vom 23. Januar an, der an die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, an Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und an die Handelskommissarin Cecilia Malmström adressiert war. Er wurde von europäischen Grünen unterzeichnet. 

Landwirtschaftliche Produkte stehen beim brasilianischen Export nach Europa mit 34,7 Prozent des Gesamtvolumens an erster Stelle. Das neue Abkommen, das die Exportchancen des Agrarsektors der MERCOSUR-Staaten steigern soll, führt mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu, dass sich die brasilianischen Agrarflächen in die Regenwaldgebiete ausdehnen. 

Wir können nicht akzeptieren, dass das Vieh, das in den früheren Regenwaldgebieten aufgezogen wird, zu den Verbrauchern in der EU gelangt", so die EU-Abgeordneten.

Auch die Holzwirtschaft und damit die Entwaldung wird durch den Vertrag im großen Stil angetrieben. Die begehrten Bodenschätze im Amazonasbecken sind unter Missachtung der Rechte der indigenen Völker, die heute diese Gebiete bewohnen und besitzen, für die großflächige Förderung freigegeben.

Die unterzeichnenden Abgeordneten gehören dem Lager der linken Europa-Koalitionen (GUE) an, den Grünen (EFA) sowie der Sozialdemokratie. Unter den Unterzeichnern befindet sich auch Bernd Lange, Präsident der Kommission für internationalen Handel des Europäischen Parlaments.

Die Abgeordneten trauen der Rechtsaußen-Regierung unter Bolsonaro nicht über den Weg und fordern glaubwürdige Garantien dafür, dass die von seinen Vorgängern unterzeichneten internationalen Verpflichtungen auch eingehalten werden. Insbesondere diejenigen aus der Pariser Klimaschutzkonferenz und aus den UN-Institutionen zum Schutz der Rechte indigener Völker.

Abholzung des Regenwalds auf höchstem Niveau

Die Daten aus Brasilien lassen die Alarmglocken klingen: Die Gefahr der großflächigen Abholzung der "grünen Lunge" ist keine Zukunftsfrage, sondern eine der Gegenwart. Bereits unter Bolsonaros Amtsvorgänger Michel Temer und dann im Verlauf von Bolsonaros Wahlkampf wurden innerhalb von knapp einem Jahr mehr Hektar Wald gerodet als in irgendeinem anderen Jahr in der Geschichte Brasiliens. Mit seinen aggressiven Parolen zugunsten einer radikalen Ausbeutung des Amazonasgebietes hat der Präsident Plünderer ermutigt, sich dort rücksichtslos zu bereichern.

Zwischen August 2017 und Juli 2018 wurden 7.900 Quadratkilometer des Amazonas-Gebietes abgeholzt, eine Steigerung von 13,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das ist die größte Waldfläche, die seit 2008 weltweit gerodet wurde. In einigen Gebieten hat sich der Wald in Savannen verwandelt. Solche Entwicklungen sind mit den Maßnahmen der EU-Kommission gegen die Entwaldung und Zerstörung noch bestehender Waldgebiete unvereinbar, die im Dezember 2018 gestartet wurden.

Gleichzeitig richtete Bolsonaro seine Hasstiraden auf die indigene Bevölkerung und stellte schlichtweg ihr Existenzrecht in Frage – weil sie dem Raubzug in ihren eigenen bisherigen Lebensgebieten im Wege steht. Es gibt in Brasilien nur noch knapp 900.000 Mitglieder indigener Völker.

"Wer Indianer sehen will, der soll nach Peru gehen". Solche und ähnlich Sätze, begleitet von einer unmissverständlichen Pistolengeste, waren und sind bei Bolsonaro an der Tagesordnung.

Die europäischen Abgeordneten äußerten sich in ihrem Schreiben an die Handelskommissarin besorgt über die politische Situation in Brasilien. Sie fordern, "dass die Handelspolitik der EU mit diesem Land und der größten Volkswirtschaft des Mercosur-Handelsblocks die höchsten Standards für Menschenrechte und Umweltschutz einhält".

Seit der Amtseinführung von Präsident Jair Bolsonaro am 1. Januar 2019 habe die brasilianische Regierung eine Reihe von negativen Maßnahmen ergriffen, die die strategischen Grundsätze der Europäischen Union eines "Handels für Alle" direkt untergrüben. Sie führten unweigerlich zur Verletzung der Menschenrechte und zur Verschlechterung der Umweltbedingungen, argumentieren die Europaparlamentarier.

Dazu gehört, dass Bolsonaro sofort nach seinem Amtsantritt die "Nationale Stiftung für Indigene" (FUNAI) einem neu geschaffenen Familien- und Menschenrechtsministerium zuordnete, während ihre bisherigen zentralen Aufgaben dem Landwirtschaftsministerium unterstellt wurden. Diese Institution arbeitete unter den früheren Regierungen von Lula da Silva und Dilma Rousseff für die Legalisierung der angestammten Besitzrechte der indigenen Völker Brasiliens. So wurden die Landgebiete ihrer Vorfahren mit modernen Besitztiteln ausgestattet. 

Doch diese Aktion ist nicht abgeschlossen. Von rund 1.200 Stämmen warten immer noch zwei Drittel auf die Rechtsdokumente. Von jetzt ab obliegt es dem Landwirtschaftsministerium mit seiner Nähe zur Agro-Industrie, neue Schutzgebiete für indigene Völker zu identifizieren, zu vermessen und zu legalisieren. Seit der Amtszeit von Michel Temer liegen 70 neue Anträge unbearbeitet in den Schubladen. Die Indianerreservate machen heute 12,2 Prozent des brasilianischen Staatsgebietes aus, überwiegend im Amazonasbereich. 

Regierung macht Stimmung gegen Indigene

"Fehlt nur noch, dass sie demnächst die Unabhängigkeit ausrufen...", kommentierte Bolsonaro diesen Legalisierungsprozess. Er will die Indianergebiete der bisher verbotenen kommerziellen Nutzung ausliefern, die Besitztitel wieder rückgängig machen und die Ureinwohner am liebsten aus der Welt schaffen – Bolsonaro ruft fast unverblümt zum Genozid auf: 

Es ist eine Schande, dass die brasilianische Kavallerie nicht so effizient war wie die nordamerikanische, die ihre Indianer alle ausgerottet hat.

Attacken gegen die schutzlosen Bewohner des Waldes sind an der Tagesordnung. Illegale Goldsucher und mächtige Rodungsmafias haben in den letzten Jahren Hunderte von Indianern ermordet. Für diese Verbrechen wurde Brasilien nie wegen seiner Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen an den internationalen Pranger gestellt, so wie im Fall von Venezuela. Angesichts fehlender Zukunftsperspektiven haben sich viele junge Angehörige des Guarani-Stammes im Bundesstaat Mato Grosso selbst das Leben genommen. Die Selbstmordrate gehört zu den höchsten der Welt. 

Die EU-Abgeordneten wiesen Malmström darauf hin, dass sowohl Brasilien als auch mehrere EU-Mitgliedsstaaten die IAO-Konvention 169 über eingeborene und in Stämmen lebende Völker unterzeichnet haben. Die Bestimmungen des Abkommens müssen hinsichtlich des Schutzes der territorialen Integrität und des grundlegenden Schutzes der indigenen Völker beachtet werden. 

Noch im Wahlkampf hatte Bolsonaro den Austritt seines Landes aus dem Pariser Vertrag angekündigt, aufgrund des internationalen Protestes schwächte er diese Drohung inzwischen wieder ab. Doch die beschleunigte Zerstörung im Amazonasgebiet deutet in die gleiche Richtung. 

Die brasilianischen Unternehmer sind in dieser Frage gespalten: Viele mittelgroße Landwirte und Produzenten unterstützen die Politik der Regierung, doch die große Agrarindustrie ist besorgt über mögliche internationale Konsequenzen. Immerhin ist Brasilien der größte Fleischexporteur der Welt. Wenn der internationale Ruf davon geprägt wird, dass der Großteil dieses Fleisches von Rindern stammt, die in den zerstörten Wäldern des Amazonas grasen, könnte das den Verkauf beeinträchtigen.  

Es gibt auf jeden Fall noch andere wichtige Gründe, warum Bolsonaro den Urwald seines Landes schützen sollte. Wenn er verschwindet, wären die Folgen für den wohlhabenden und dicht besiedelten Südosten Brasiliens dramatisch. Der Zyklus von Regen- und Trockenzeit wird vom Amazonas bestimmt: Die Feuchtigkeit, die aus den Waldmassen aufsteigt, wird vom Wind nach Süden getragen und verwandelt sich in Niederschläge. Meteorologen bezeichnen dieses Phänomen als "fliegende Flüsse". 

Doch der Klimamechanismus unterliegt bereits Veränderungen, wie die Dürre zwischen 2014 und 2017 in der Region zeigte. In den Jahren 2005 und 2010 erlitt auch der Amazonas zwei historische Dürreperioden. Der Wasserpegel der unzähligen Flüsse in der Region fiel so stark, dass viele nicht mehr schiffbar waren. 

Der nordamerikanische Biologe Thomas Lovejoy und der brasilianische Klimatologe Carlos Nobre glauben, dass der Amazonas sich irreversibel in eine Savanne verwandeln wird, wenn zwischen 20 und 25 Prozent seiner bewaldeten Oberfläche zerstört ist. Diese Obergrenze kann mit der aktuellen Abholzung in wenigen Jahren erreicht werden.

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