Lateinamerika

45 Jahre Gedenken an den 11. September 1973 - Teil 2: Der Putsch

Seit dem Jahr 2001 verbinden die Menschen mit dem "11. September" die Terroranschläge in den USA. Es gibt aber auch noch einen "anderen 11. September": Vor 45 Jahren putschten die USA in Chile den linken Präsidenten Salvador Allende aus dem Amt.
45 Jahre Gedenken an den 11. September 1973 - Teil 2: Der PutschQuelle: Reuters © Reuters

von Felix Duček

(Teil I von II finden Sie hier.)

Am 11. September 1973 um 8 Uhr geben die Putschisten ihre Tarnung auf und verkünden über rechtsgerichtete Rundfunksender ihre "Proklamation der Militärregierung":

Wir verlesen die Erklärung der Militär-Junta: 1. Dass der Herr Präsident der Republik sofort seinen hohen Posten an die Streitkräfte und Carabineros abgeben muss. 2. Dass die Streitkräfte und das Corps von Carabineros von Chile sich darin einig sind, die historische und verantwortungsvolle Aufgabe zu beginnen, für die Befreiung des Vaterlandes vom marxistischen Joch und die Wiederherstellung der Ordnung und der Verfassungsrechtlichkeit zu kämpfen. Unterzeichnet: Augusto Pinochet Ugarte, Armeegeneral, Oberkommandierender des Heeres, Dorivio Merino Castro, Admiral, Oberkommandierender der Marine, Gustavo Di Guzman, General der Luftwaffe, Oberkommandierender der Luftstreitkräfte von Chile, und Cesar Mendoza Gran, General, Generaldirektor der Carabineros von Chile.

Der Admiral Dorivio Merino sowie der General Cesar Mendoza haben sich beide in dieser Stunde erst selbst in ihren Rang erhoben, als neuer Oberkommandierender der Marine bzw. als Generaldirektor der Carabineros von Chile.

Die Putschisten flogen seit den Morgenstunden zunächst in der Operation "Silencio" eine "Hilfe für die Landstreitkräfte" mit der Zielstellung, möglichst schnell die zahlreichen loyalen Rundfunksender zum Schweigen zu bringen. Comandante Enrico Fernandez, Staffelkommandeur der Luftwaffe Chiles, zeigt später stolz den verdeckt arbeitenden Journalisten vom Studio H&S in seinem Dienstzimmer eine Luftaufnahme von Santiago, die am Abend vor dem Putsch eine wichtige Rolle spielte und beweist, wie alles von langer Hand vorbereitet war:

… Die diente zur Einweisung unserer Piloten. Hier bekamen sie ihre Ziele, die sie am nächsten Tag gleich bei Tagesanbruch bekämpfen mussten. Es gab diese anzufliegenden Ziele sowohl im Süden von Santiago, dort befanden sich nämlich die Sendeanlagen einiger Sender, die in dem Augenblick regierungstreu waren, als auch hier im Norden von Santiago… speziell in dieser Gegend… wo nicht viele Leute wohnen, wo es aber ebenfalls verschiedene Sendeanlagen gab… Gegen die Rundfunksender kamen zum Einsatz Raketen und selbstverständlich die normale Munition aus den Bordkanonen.

Commandante Mario Lopez Tompar, Kommandeur der Luftwaffengruppe Nr. 7 der Luftstreitkräfte Chiles: "Nun, unsere Aktionen begannen an diesem 11. gleich früh am Morgen, bei Tagesanbruch, und zwar von einem Flugplatz aus im Süden von Santiago. Die Aktion lief dergestalt an, das wir schnell einige örtliche regierungstreue Rundfunkstationen zum Schweigen gebracht haben."

Um diese Stunde sind neben Zivilisten an der Seite des Präsidenten auch Uniformierte, Angehörige der Carabineros. Die für die Bewachung des Regierungspalastes zuständigen Carabineros treffen Verteidigungsvorbereitungen und bringen Munition in die Moneda. An ihrer Spitze auch der "wahre" Generaldirektor dieser Carabineros, von dem Allende in seiner ersten Rundfunkansprache dieses Tages sagte:

In diesem Augenblick betone ich die würdige Haltung des Mannes hier neben mir: des Generaldirektors der Carabineros, General José Maria Sepulveda, (…) nicht so der Herr Mendoza, dieser niederträchtige General, der noch gestern der Regierung seine Ergebenheit bekundete und sich heute zum Generaldirektor der Carabineros ernannt hat. Über der Moneda sind Flugzeuge. Sicher wird man uns beschießen. Wir sind gelassen und ruhig.

Mit José Maria Sepulveda, dem verfassungstreuen Generaldirektor der Carabineros, durften die Putschisten also nicht rechnen. Aber außerhalb der Moneda folgen die Carabineros bereits den Befehlen des Verräters Mendoza.

Allende spricht um 8:55 Uhr über den regierungstreuen Rundfunksender „Portales, der erste Sender Chiles“: "… Die Werktätigen sollen ihre Würde verteidigen, aber sich nicht opfern. Einmal mehr will die Reaktion als Lakai der Imperialismus die Sehnsucht eines Volkes ersticken, auf legalem Wege zu einem besseren Leben zu gelangen."

Ungefähr um 9:10 Uhr vormittags im Arbeitszimmer, im Kreise seiner Mitarbeiter, geht Präsident Allende noch einmal sehr entschlossen zu seinem Schreibtisch hinüber, immer den Helm auf dem Kopf, legt seine Maschinenpistole auf dem Schreibtisch ab, greift dort nach dem Hörer eines der schwarzen Feldtelefone, das mit der Direktverbindung zum Rundfunk. Und dann sprach er hinein: "Hallo, hallo, hallo, hier spricht der Präsident. Ich will ans Land eine Botschaft richten." 

Aber man schien am anderen Ende der Verbindung, in den letzten verbliebenen regierungstreuen Funkstudios von Radio Magallanes, gewisse Schwierigkeiten zu haben beim Freimachen der Leitung. Nach einer Weile aber konnte er sprechen, natürlich improvisiert, und er spricht gefasst und sehr ruhig, mit Worten, die alle Zuhörer stark beeindruckt haben. Es waren Worte, wie man sie zum Abschied sagt, und es waren – wie wir heute wissen – wirklich die letzten Worte von Allende über den Sender von Radio Magallanes, der ebenfalls wenig später von der Luftwaffe der Putschisten zerstört ist:

Mitbürger! Dies wird wahrscheinlich die letzte Gelegenheit sein, dass ich mich an Sie wenden kann. Die Luftwaffe hat die Sendetürme von Radio Portales und Radio Corporación bombardiert. Gewiss wird auch Radio Magallanes zum Schweigen gebracht, und der ruhige Klang meiner Stimme wird nicht zu Ihnen gelangen. Das macht nichts. Ich werde immer unter Ihnen sein, zumindest die Erinnerung an mich als einen würdigen Menschen, der die Treue der Werktätigen mit Treue beantwortete. In eine Periode historischen Übergangs gestellt, werde ich die Treue des Volkes mit meinem Leben entgelten.

Und ich sage Ihnen: ich habe die Gewissheit, dass die Saat, die wir in das würdige Bewusstsein Tausender und Abertausender Chilenen gepflanzt haben, nicht herausgerissen werden kann. Sie haben die Gewalt, sie können uns unterjochen. Aber die sozialen Prozesse kann man weder durch Verbrechen noch durch Gewalt aufhalten. Die Geschichte ist unser, sie wird von den Völkern geschrieben. Werktätige meines Vaterlandes!

Das Auslandskapital, der Imperialismus, vereint mit der Reaktion, schufen das Klima, damit die Streitkräfte mit ihrer Tradition brachen, die sie General Schneider lehrte und die Comandante Araya bekräftigte. Sie wurden Opfer des gleichen sozialen Sektors, der heute darauf lauert, mit fremder Hilfe die Macht zurückzuerobern, um seinen Besitz zu verteidigen und seine Privilegien. Ich wende mich vor allem an die einfache Frau unseres Landes, an die Bäuerin, die an uns glaubte, an die Arbeiterin, die noch mehr schuf, an die Mutter, die um unsere Sorge um die Kinder wusste. Ich wende mich an die Vertreter der Intelligenz unseres Landes, an all die Patrioten unter ihnen, die seit Tagen gegen die Verschwörung der Berufsverbände arbeiten, jener Klassenverbände, die nur die Vorteile verteidigen, die die kapitalistische Gesellschaft einigen wenigen einräumt. Ich wende mich an die Jugend, an die, die sangen, die sich mit Fröhlichkeit und Kampfgeist einsetzten.

Ich wende mich an die Männer Chiles, an den Arbeiter, den Bauern, den Intellektuellen, an diejenigen, die verfolgt sein werden, denn in unserem Land wütet der Faschismus schon viele Stunden mit Terroranschlägen, sprengt Brücken, blockiert Eisenbahnlinien und zerstört Öl- und Gasleitungen unter dem Schweigen derer, die die Verpflichtung gehabt hätten, dagegen vorzugehen. Die Geschichte wird sie richten. Werktätige meines Vaterlandes!

Ich glaube an Chile und seine Zukunft. Andere nach mir werden auch diese bitteren und dunklen Augenblicke überwinden, in denen der Verrat versucht, sich durchzusetzen. Sie sollen wissen, dass eher früher als später sich die neuen Alleen öffnen werden, auf denen der freie Mensch schreitet, um eine bessere Gesellschaft aufzubauen. Es lebe Chile! Es lebe das Volk! Es leben die Werktätigen!

Kurz nach 10 Uhr verstummen die letzten regierungstreuen Sender in Chile und damit endet auch die Möglichkeit Allendes, sich an die Öffentlichkeit zu wenden.

Gegen 10:30 Uhr lehnt Präsident Allende dagegen telefonisch zum wiederholten und letzten Mal das angebliche Angebot der Putschisten zur Kapitulation und freien Ausreise ins Ausland ab. Der Putschisten-General Pinochet beteuert später immer wieder, mindestens vier Mal über seinen Handlanger, den damaligen Vizeadmiral Patricio Carvajal Prado, der als Chef des Vereinigten Generalstabes der Verbindungsmann zur gesamten Gruppe reaktionärer Offiziere war, Präsident Allende zum Rücktritt aufgefordert zu haben und ihm samt seiner Familie dabei körperliche Unversehrtheit und ein Flugzeug in ein Land seiner Wahl angeboten zu haben. Viele Jahre später aufgetauchte Tonbandmitschnitte der Kommunikation der Putschisten an diesem Tage belegen, wie es sich tatsächlich damit verhielt:

Stützpunkt 1 (Pinochet): "Bedingungslose Kapitulation. Keine Verhandlungen. Bedingungslose Kapitulation…" Stützpunkt 5 (Carvajal): "Verstanden. Wir bieten ihm weiterhin an, ihn aus dem Land zu bringen." Stützpunkt 1 (Pinochet): "Das Angebot bleibt bestehen, und der Flieger stürzt ab, wenn er in der Luft ist."

Als Generalstabschef koordinierte Patricio Carvajal – neben der Kommunikation zum Präsidenten – sämtliche militärischen Aktivitäten der drei Teilstreitkräfte während des Putsches. Einen Tag nach dem Putsch, am 12. September 1973, wurde er von der regierenden Militärjunta zum Verteidigungsminister, also zum Nachfolger des loyalen Letelier ernannt, später Außenminister und 1978 Botschafter in der Schweiz, dann 1982 nochmals Verteidigungsminister bis zum Ende der Militärdiktatur am 11. März 1990. Eine telefonische Aufforderung Pinochets durch den Putschisten-Admiral, sich mit einem bereitgestellten Wagen zu Verhandlungen in das Hauptquartier des Anführers der Putschisten, Pinochet, bringen zu lassen, quittiert Allende mit den Worten:

Antworten Sie, dass ein Präsident mit Würde im Präsidentenpalais empfängt, und wenn er mit mir verhandeln will, dann muss er sich schon hierher zu mir bemühen.

Nach den vier vergeblichen Versuchen, Allende mit den Ultimaten zum Rücktritt zu zwingen, beginnt die Luftwaffe bald nach 11 Uhr wie angedroht nun auch die Bombardierung der La Moneda. Und zeitgleich auch das Bombardement auf das Haus "Tomás Moro". Das ist ein Gebäude an der Avenida Tomás Moro Nr. 200 in der Gemeinde Las Condes im Ostteil von Santiago de Chile, die offizielle Residenz von Präsident Salvador Allende. Da sich Allende beim Probeputsch am 29. Juni bis 11:30 Uhr in seiner Wohnung aufgehalten hatte, planten die Putschisten für den 11. September zeitgleich die Bombardierung sowohl dieser Residenz als auch des Präsidentenpalastes La Moneda. Obwohl General Pinochet am 11. September genau wusste, dass Allende schon früh in die Moneda gekommen war, wurde auch dieser Plan exakt ausgeführt und die Residenz zeitgleich zum Bombardement auf La Moneda bombardiert, anschließend geplündert und verwüstet.

Während es Allende gelingt, neben seinen Töchtern und den nunmehr unbefehligten Carabineros der Palastbewachung die meisten seiner Mitarbeiter – bis auf drei Dutzend seiner engsten Getreuen – erfolgreich zum Verlassen der Moneda zu bewegen, bleibt er selbst, mit seiner Maschinenpistole kämpfend, im Präsidentenpalast. Gegen 14 Uhr wird die Moneda von den Putschisten eingenommen, trotz des Widerstands noch einiger Überlebender in der Moneda und auch der erbitterten Schusswechsel mit Anhängern der Regierung auch von den umliegenden Verwaltungsgebäuden.

Der  Generalmajor Javier Palacios der Putschisten, der 1972 Direktor des Geheimdienstes des Heeres geworden war und auch knapp zwei Jahre stolz als Militärattaché in der chilenischen Botschaft in der Bundesrepublik Deutschland in Bonn agierte, hat an diesem Tag des Putsches den Befehl über das 2. Panzerregiment gegen die Moneda übernommen. Er findet nach 14 Uhr im Saal der Unabhängigkeit, im zweiten Stock von La Moneda, den Leichnam Salvador Allendes und meldet Pinochet schließlich (auf Englisch), was dort kurz zuvor bereits der Heeresoffizier Rafael González entdeckt hatte: "Sie (das Militär der Infanterieschule) sagten, Allende habe Selbstmord begangen und sei jetzt tot."

Rafael González hatte zwar den Leichnam als Erster entdeckt, widmete dem aber bezeichnenderweise keine Aufmerksamkeit, da er einen anderen, wichtigeren Auftrag hatte, nämlich primär die Sicherstellung von Karteien und Dokumenten aus den Arbeitsräumen des Präsidenten, die er umgehend den Putschisten ins Verteidigungsministerium bringen sollte. Der Zweck dieser Eile ist hinlänglich bekannt:  Verfolgungen, Folter und Massenmorde setzten spätestens nach dem Gelingen des Putsches landesweit nun gänzlich ungezügelt ein. Tausende werden am 11. September und in den Tagen danach verhaftet, in Konzentrationslager gesperrt und dort oder anderswo oft bestialisch gefoltert.

Das wohl berüchtigtste, zumindest aber das bekannteste KZ war das Nationalstadion in Santiago, in dem auch der bekannte Liedermacher und Sänger der Volksfront, Víctor Jara ermordet wurde, nachdem man ihm seine Hände zertrümmert hatte. Die genauen Zahlen der Todesopfer sind – auch wegen der vielen "Verschwundenen" – bis heute unbekannt. Aber selbst die US-amerikanische Botschaft in Santiago schätzte sie auf mindestens 5.000, was daher wohl gewiss keine Übertreibung ist, und Amnesty International schätzte, dass es bis zu 30.000 gewesen sein könnten.

Sehr verschieden sind bezeichnenderweise die Reaktionen weltweit auf den Putsch. Trotz internationaler Empörung über die Grausamkeiten des Pinochet-Regimes unterstützten die USA selbstverständlich diese Diktatur weiterhin, auch mit großzügigen finanziellen Mitteln. Eine internationale Solidaritätsbewegung setzte sich dagegen hartnäckig für die Freilassung politischer Gefangener, für die Aufklärung des Verbleibs der "Verschwundenen" und die Bestrafung der Verbrecher ein.

Deutsche Medien unterstützen Putschisten

Der Bundesnachrichtendienst in Deutschland wurde zwar nachweislich bereits einige Tage vor dem geplanten Putsch durch die CIA darüber unterrichtet, hatte es jedoch – sicher aus „guten“ Gründen – unterlassen, den damaligen Bundeskanzler Willy Brandt über den geplanten Umsturz zu unterrichten.

Bemerkenswert sind jedenfalls die Würdigungen der westdeutschen Presselandschaft und einiger Konzerne nach dem Putsch, hier nur einige wenige: CSU-Kanzlerkandidat Franz-Josef Strauß im Bayernkurier vom 22.9.1973: "Angesichts des Chaos, das in Chile geherrscht hat, erhält das Wort Ordnung für die Chilenen plötzlich wieder einen süßen Klang." CDU-Generalsekretär Bruno Heck in der Süddeutschen vom 28.10.1973: "Soweit wir Einblick bekommen haben, bemüht sich die Militärregierung in optimalem Umfang um die Gefangenen." 

Die Welt vom 29.9.1973: "Jetzt geht es wieder aufwärts." Die Neue Westfälische Zeitung frohlockte: "Putsch in Chile ist für Banken positiv – in Südamerika kann wieder investiert werden." Die FAZ veröffentlicht am 29.9.1973 großformatig eine Annonce: "Chile – jetzt investieren."

Was viele Jahre verschwiegen und bis heute nicht umfassend aufgeklärt wurde, sind die Verwicklungen der Bundesrepublik Deutschland - auch von offizieller, staatlicher Seite - in die obskuren Verbrechen und Folter-Dienstleistungen in der berüchtigten deutschen "Colonia Dignidad" in Chile nach dem Putsch, trotz mehrfacher Besuche von Offiziellen aus der BRD und auch wirtschaftlichen Verquickungen, selbst in Waffengeschäften.

Hochkonjunktur hatten und haben bis heute die Verleumdungen über die vielfältigen Formen der Solidarität aus der DDR, sowohl von Seiten der Regierung als auch von ungezählten einfachen Bürgern der DDR. Zwar wurden die diplomatischen Beziehungen abgebrochen und nur noch stellvertretend durch eine rumänische Repräsentanz wahrgenommen. Aber umso hartnäckiger und erfolgreicher wurde seitens der DDR darum gekämpft, mit legalen oder auch illegalen Mitteln, Verfolgte aus Chile in Sicherheit zu bringen. Bis heute werden – bewusst oder wegen unsauberer Recherchen – auch die Zahlen der so geretteten Exil-Chilenen in Deutschland gefälscht.

So beruft sich Wikipedia – statt auf nachprüfbare Dokumente – auf zweifelhafte "Forschungsergebnisse" in einem Aufsatz von Georg J. Dufner, Leiter des Auslandsbüros Bolivien und Regionalprogramm PPI der Konrad-Adenauer-Stiftung. Er behauptet, die DDR habe nur 2.000 Exil-Chilenen Asyl geboten, während die BRD über 4.000 Chilenen aufgenommen habe. Und die Zeitung Die Welt greift solche "Sensation" natürlich genüsslich auf.

Allerdings kommt Raimund Krämer mit seinen Recherchen für "Die ganz andere Beziehung: Chile und die DDR – Diese Solidarität musste niemand anordnen" in der Stiftung "Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv", Zentrales Parteiarchiv (SAPMO) zu gegenteiligen Erkenntnissen. Er schätzt die Zahl der chilenischen Emigranten in der DDR im Verlaufe der Diktatur auf etwa 5.000, während – ganz nebenbei – die Journalistin Gaby Weber bei ihrer Dokumenten-Aufarbeitung zu "Unser deutscher Diktator in Paraguay" – gemeint ist natürlich Alfredo Stroessner, Geistesbruder von Augusto Pinochet – zufällig das Dokument einer verschlüsselten Nachricht von Dr. von Lukowitz über die begrenzten Möglichkeiten der Aufnahme von politischen Flüchtlingen in der BRD 1976 entdeckt. Darin heißt es wörtlich für eine Beantwortung einer Anfrage zu den Kapazitäten der Bundesrepublik Deutschland für politische Flüchtlinge, auch aus Paraguay:

Infolge der Aufnahme von 120.0000 – 125.000 Aussiedlern aus Polen während der nächsten vier Jahre, von 1.000 südvietnamesischen Flüchtlingen sowie ca. 1.700 aus politischen Gründen verfolgten Chilenen und im Hinblick auf die Zahl der Asylverfahren (ca. 10.000 pro Jahr) ist die Aufnahmekapazität der Aufnahme- und Durchgangslager der Länder bereits überbeansprucht.

Die ersten politischen Emigranten aus Chile kommen nach dem Putsch am 11.9.1973 überhaupt erst im Dezember 1973 in die BRD, nachdem sie „vor Ort“ in der BRD-Botschaft in Santiago genauestens erkennungs- und geheimdienstlich von BRD-Beamten "durchleuchtet" worden sind, um keine unnötige Gefährdung der politischen Sicherheitslage zu Hause in Deutschland durch deren politische Haltung und Tätigkeit zu riskieren.

Die Aufarbeitung der Verbrechen der Militärdiktatur – und auch von Augusto Pinochets persönlicher Verantwortung – konnte lange Zeit (bis Ende der 1980er Jahre) nur vom Ausland aus betrieben werden.

Pinochet ist für kein einziges während seiner Diktatur begangenes Verbrechen wie Mord oder Folterung verurteilt worden, denn er starb am 10. Dezember 2006 – vor Abschluss des am weitesten fortgeschrittenen Prozesses – daheim in Santiago de Chile "im Bett", wie auch General Franco.

Überhaupt gelang eine Verfolgung erst 1998 dem spanische Untersuchungsrichter Baltasar Garzón mit seinen hartnäckigen jahrelangen Ermittlungen gegen Pinochet wegen Völkermord, Staatsterrorismus und Folter, da auch spanische Staatsbürger unter den Opfern der Militärdiktatur waren. Ende September 1998 reiste Pinochet als Senator und Mitglied des Verteidigungsausschusses nach Großbritannien und wollte seinen kranken Rücken medizinisch behandeln lassen.

Er traf sich mit der britischen Ex-Premierministerin Margaret Thatcher, die ihm unter anderen wegen seiner Unterstützung im Falkland-Krieg gegen Argentinien freundschaftlich verbunden war. Spanien stellte auf Betreiben des Untersuchungsrichters Garzón daher ein Auslieferungsbegehren. So wurde Pinochet am 16. Oktober von der britischen Polizei in London verhaftet. Das löste in Chile Unruhe aus, und Präsident Eduardo Frei Ruiz-Tagle forderte flugs die Auslieferung Pinochets, um ihn angeblich vor ein chilenisches Gericht zu bringen.

Seine "Haft" in Großbritannien verbrachte Pinochet unter Hausarrest. Er durfte unbegrenzt Besuch empfangen und Weihnachten mit einem chilenischen Priester feiern. Im November 1998 kam es zwar zu einem ersten Urteil, das Pinochet die Immunität gekostet hätte. Dieses Urteil wurde aber wegen möglicher Befangenheit eines Richters mit Verbindungen zu der Menschenrechtsorganisation Amnesty International aufgehoben. AI trat schließlich als Nebenklägerin gegen Pinochet auf. In einer Verhandlung im März 1999 entschied das Gericht, dass Pinochet keine diplomatische Immunität besitze, dürfte aber nicht für Taten vor 1988 belangt werden, da Großbritannien erst 1988 der UN-Antifolterkonvention beigetreten war.

Viele Anklagepunkte der spanischen Justiz wurden somit verworfen. Als im April 1999 der britische Innenminister Jack Straw mitteilte, dass Pinochet an Spanien ausgeliefert werden dürfe, bat die chilenische Regierung London daraufhin sofort, Pinochet doch bitteschön aus humanitären Gründen freizulassen und führte das hohe Alter und den schlechten Gesundheitszustand Pinochets in Feld, weil Pinochet Konzentrationsschwierigkeiten und Gedächtnisverlust attestiert worden waren. So kehrte er am 2. März 2000 nach Chile zurück und wurde dort von seinen Anhängern begeistert empfangen. Im Dezember 2000 konnte Guzmán dennoch ein Verfahren einleiten.

Die Militärs verlangen trotzdem die Einstellung nach dem Amnestiegesetz und seine Anwälte erklärten, Pinochet sei prozessunfähig wegen "subkortikaler, gefäßbedingter Demenz". Am 12. März 2001 kam Pinochet gegen eine Kaution von 2.000.000 Pesos (etwa 3.500 Euro) frei und wurde im selben Jahr für nicht verhandlungsfähig erklärt.

Zwar wurde nochmals am 15. September 2005 die Aufhebung seiner Immunität als Senator durch das Oberste Gericht bestätigt. Sein geistiger Zustand hinderte Pinochet aber offenbar immer noch nicht daran, Korruption und Steuerhinterziehung zu betreiben: 2005 wurde bekannt, dass der britische Luftfahrt- und Rüstungskonzern British Aerospace (BAe) insgesamt 1,1 Millionen Pfund (rund 1,5 Millionen Euro) im Zeitraum zwischen Dezember 2004 und Oktober 2005 an Pinochet gezahlt haben soll.

Im Gegenzug habe der angeblich demente Pinochet Waffengeschäfte vermittelt. Das Geld wurde mit vierzehn Überweisungen an Pinochet zugeordnete Firmen – Takser Investment, Cornwall Overseas Corporation und Eastview Finance – gezahlt. Auch wurde bekannt, dass Pinochet Millionen US-Dollar verdeckt im Ausland angelegt haben soll. Aber natürlich wurden auch Anstrengungen um Prozesse wegen Steuerhinterziehung und Untersuchungen zum Korruptionsverdacht mit seinem friedlichen Ableben eingestellt.

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