Lateinamerika

Präsidentschaftswahlen in Venezuela: Wer tritt an?

Am 20. Mai wird der neue Präsident gewählt. Wer sind die Kandidaten? Ein Teil der rechten Opposition ruft mit wenig Erfolg zum Wahlboykott. Warum unterstützen die USA und Europa nicht den stärksten Oppositionskandidaten?
Präsidentschaftswahlen in Venezuela: Wer tritt an?Quelle: www.globallookpress.com © ZUMAPRESS.com/Juan Carlos Hernandez

von Maria Müller

Am kommenden Sonntag findet für die 20 Millionen Venezolaner ein neuer Urnengang statt. Das weitere Schicksal des Landes steht auf dem Spiel. Entweder Kontinuität unter Nicolás Maduro oder ein neoliberaler Umbruch unter Henri Falcón. Ein Teil der Opposition boykottiert die Wahlen. Doch wer sind die Kandidaten im Einzelnen - und warum unterstützt der Westen nicht den Oppositionskandidaten Henri Falcón?

Nicolás Maduro, der bisherige Präsident Venezuelas, ruft in seiner Kampagne zu mehr Vielfalt in der Wirtschaft des Landes auf. Man müsse an einen Horizont jenseits der Abhängigkeit vom Erdöl denken und eine "Revolution in der Revolution" beginnen. Er lobt die ressourcengestützte Krypto-Währung "Petro" als Weg, die Sanktionen zu umgehen. Maduro verweist auf bisherige Erfolge wie zwei Millionen Sozialwohnungen, kostenlose Ausbildung sowie generell auf die Sozialpolitik als unveräußerliches Recht der Bevölkerung. Der Kampf gegen die Korruption ist unter dem neuen Generalstaatsanwalt Tarek Saab erfolgreich. Zahlreiche Verantwortliche wurden hinter Gitter gebracht. Doch vor allem Maduros Appell, die Souveränität des Landes gegen die Gefahren von außen zu verteidigen, findet offenbar großen Widerhall in der Bevölkerung.

Der Oppositionskandidat Henri Falcón war Gouverneur des Bundesstaates Lara und Bürgermeister von Barquisimento, ist Rechtsanwalt und hat eine militärische Laufbahn absolviert. Er ist ein ehemaliger Chavist und heutiger Kritiker der Politik von Nicolás Maduro. Im Jahr 2012 gründete er die Partei Avanzada Progresista (Progressiver Fortschritt). Falcón plädiert für die nationale Versöhnung und will eine inklusive Regierung der "nationalen Einheit" schaffen, allerdings mit einem neoliberalen Konzept. Er befürwortet weitgehende Privatisierungen, eine Dollarisierung der Wirtschaft gegen die extreme Inflation und Währungsspekulation. Auch plant er Anleihen beim Internationalen Währungsfonds, dessen antisozialen Rezepte die bisherige Sozial- und Kulturpolitik vom Tisch fegen würden. Doch Falcón will eine der Grundlagen wirtschaftlicher Souveränität bewahren. Die staatliche Ölgesellschaft PDVSA soll nicht privatisiert werden, die riesigen Bodenschätze Venezuelas will er weiterhin von Staatsbetrieben gefördert sehen.

Der frühere evangelische Pastor und Unternehmer Javier Bertucci lehnt sich stark an die USA an. Er will internationale Kredite aufnehmen - deren Konsequenzen sehr hart für die Bevölkerung wären. Deshalb werde er die USA bitten, in diesem Fall die Nahrungsmittel- und Medikamentenversorgung der Venezolaner sicherzustellen. Er will eine Teilprivatisierung der Elektrizitätsversorgung, Reformen im Erziehungswesen, bessere Löhne für Lehrer und Dozenten. Die von ihm vorgesehenen massenhaften Entlassungen im öffentlichen Dienst will er jedoch erst vornehmen, wenn es alternative Arbeitsplätze gibt. Er kritisiert die Dollarisierung, will die Landwirtschaft technologisch reformieren und den Tourismus mehr fördern. Der Konflikt mit privaten Medien soll beendet werden, die Nutzer von Sozialwohnungen sollen Besitztitel erhalten. Bertucci lehnte es ab, seine potenziellen Wählerstimmen Henry Falcón zu überlassen.

Der Unternehmer Luis Alejandro Ratti war bis 2016 mit dem Chavismus verbunden, doch dann sagte er sich ohne jede Erklärung von ihm los. Er wird von der christlichen Bewegung in Venezuela unterstützt und erklärt sich zum entschiedenen Gegner der Korruption, "auf welcher Seite sie auch stattfindet". Er will Venezuela aus der Krise führen und die "chaotischen Verhältnisse" beenden. Angesichts seiner schwachen Umfragewerte hat er vor einer Woche auf die Kandidatur verzichtet und seine Anhänger dazu aufgerufen, Henri Falcón zu wählen.

In der Tat ist es unverständlich, warum die Allianz der rechten Oppositionsparteien (MUD - "Tisch der Demokratischen Einheit") die Wahlen boykottiert. Sie proklamierte auch kein eigenes Programm oder eine politische Zielvorstellung für den Zeitpunkt nach den Wahlen. Wenn dieser Teil der Opposition den neoliberalen Kandidaten Henri Falcón unterstützen würde, könnte er womöglich die Wahlen gewinnen.

Doch ihre Haltung ist eng an die Taktik der westlichen Staaten gebunden. Die noch 2016 proklamierte Losung der Europäischen Union eines friedlichen Übergangs durch Dialog und demokratische Wahlen wurde aktuell über Bord geworden, man drehte sich um 180 Grad.

Luis Almagro, Generalsekretär der OAS, hatte Falcón drohend aufgefordert, seine Kandidatur zurückzuziehen, denn er würde die Wahlen "legitimieren". Das frühere Mitglied des MUD sei schon seit langem einer der Kräfte, die man hätte "hinaussäubern" müssen.

Warum dieser Positionswechsel?

Nach den deutlichen Wahlniederlagen der MUD in den letzten Regional- und Kommunalwahlen im vergangenen Herbst sind diese Akteure zu schwach für einen Machtwechsel durch Wahlen, wie ihn sich die USA wünschten. Denn nur mit einer MUD-Regierung wäre die Übergabe der venezolanischen Bodenschätze an US-Unternehmen und ein endgültiger Souveränitätsverzicht möglich. Unabdingbare Voraussetzung dafür wäre die nachhaltige Verdrängung der chavistischen Kader von der Macht und das Zurückdrängen ihres Einflusses in der Bevölkerung.

Dafür gibt es Beispiele im Nachbarland Kolumbien. Die Ermordung von fast 4.000 Mitgliedern der linken Partei Unión Patriótica Ende der 80er-Jahre zeigt, dass das möglich ist.

Ein solches Venezuela wäre nur mit einer MUD-Regierung machbar. Ihre Anführer und Anhänger haben ihre extreme Gewaltbereitschaft auf den Straßen des Landes verdeutlicht.

Henri Falcón hingegen würde den USA im Falle eines Wahlsieges vieles geben - doch nicht alles. Er würde den Falken im Norden den Wind aus den Segeln nehmen. Die zweite Option der USA - die militärische Intervention - wäre unter einem Präsidenten Falcón weitaus schwerer zu rechtfertigen. Selbst in den Augen der Nachbarn wie Kolumbien und Brasilien, die bereits Armeeeinheiten an den Grenzen stationiert haben.

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