Lateinamerika

Chaos und Terror – Mexikos Krieg gegen die Drogenmafia

Seit Jahrzehnten beherrschen die Drogenkartelle Mexiko – finanziert und angetrieben von ihrem größten Absatzmarkt: den USA. Jede mexikanische Regierung muss einen Weg mit den "Familien" finden: sich schmieren lassen oder sie bekämpfen. Letzterem hat sich Mexikos amtierender Präsident López Obrador verpflichtet. Das Resultat: Eine neue Welle von Chaos und Terror.
Chaos und Terror – Mexikos Krieg gegen die DrogenmafiaQuelle: AFP © NICOLAS ASFOURI / AFP

Eine Analyse von Maria Müller

Am Wochenende erschütterten kriegsähnliche Zustände die mexikanische Stadt Culiacán im Bundesstaat Sinaloa. Militärisch bewaffnete Gefolgsleute einer der mächtigsten Banden der Drogenmafia, des "Kartells von Sinaloa", versuchten mit äußerster Gewalt, die Verhaftung von Ovidio Guzmán López rückgängig zu machen. Ovidio ist der Sohn vom berüchtigten Drogenboss Joaquín Guzmán Loera – "Chapo Guzmán" –, der in den USA eine lebenslange Haftstrafe verbüßt.

Der Drogenkrieg, der in Mexiko seit Jahrzehnten mit extremer Grausamkeit tobte, war während der Regierungszeit des Präsidenten Andrés Manuel López Obrador (AMLO genannt) weitgehend aus den Schlagzeilen verschwunden. AMLO versuchte, eine neue Methode gegen die Kriminalität anzuwenden, mit der zugleich die soziale Ungleichheit in der Gesellschaft als Ursprung der Probleme bekämpft werden sollte. Verbesserte Ausbildungs- und Arbeitsprogramme für Jugendliche sollten in den neuen Generationen bessere Lebensperspektiven schaffen. Doch AMLO hatte nur begrenzten Erfolg damit. Die sogenannten "Familien" regenerierten sich weiter, lieferten sich nach wie vor blutige Konkurrenzkämpfe und durchsetzten die Gesellschaft und Institutionen mit Drohungen und Bestechungen.

Vor drei Jahren gelang es unter López Obrador zum ersten Mal, Ovidio zu verhaften. Doch nach wenigen Stunden kam er wieder frei. Eine ungeheure Welle der Gewalt, die sich wahllos gegen die Zivilbevölkerung richtete und zahlreiche Todesopfer forderte, zwang damals den Präsidenten zu diesem Schritt, um das Leben unbeteiligter Bürger zu schonen.

Dieses Mal ging der Verhaftung eine sorgfältige Vorbereitung durch Polizei und Militär voraus. Ovidio wurde in den frühen Morgenstunden festgesetzt – doch nach kurzer Zeit waren wieder Omnibusse, Geschäfte und Straßenkreuzungen in Brand gesetzt. Die Truppen des "Sinaloa-Kartells" griffen sogar den Flughafen an, um den Abtransport von Ovidio zu verhindern.

Kriegsähnliche Auseinandersetzungen

Die mutmaßlichen Mitglieder des Drogenkartells beschossen Flugzeuge, darunter eine Boeing 737 der mexikanischen Luftwaffe, die gerade in der Hauptstadt gelandet war, um die Sicherheitsoperation zu unterstützen.

Außerdem traf eine Kugel ein Verkehrsflugzeug Aeroméxico Embraer 190 mit Touristen und beschädigte den Rumpf der Maschine. Die Fluggesellschaft stellte den Betrieb im Bundesstaat Sinaloa ein. Die Bevölkerung sollte die Häuser nicht verlassen, Staatsbedienstete blieben zuhause, der Schulunterricht fiel aus.

Nach Angaben der mexikanischen Regierung wurden am Donnerstag insgesamt 10 Soldaten getötet und 35 verwundet. Sowohl bei der Operation zur Festnahme von Guzmán López als auch bei den Auseinandersetzungen in den darauffolgenden Stunden kamen 19 mutmaßliche Kriminelle zu Tode. Zivilisten waren nicht unter den Opfern. Guzmán wurde mit einem Militärhubschrauber in das Hochsicherheitsgefängnis in El Altiplano in Mexiko-Stadt verbracht.

Die US-Zeitung Los Angeles Times berichtet, dass laut der offiziellen Version des Nationalen Verteidigungssekretariats (SEDENA) Mexikos unter General Luis Cresencio Sandoval die Aktion zur Festnahme von Ovidio Guzmán ausschließlich unter Beteiligung der mexikanischen Nationalgarde (GN), der Marine (SEMAR), der Zentrale für Öffentliche Sicherheit (SSPC), des Nationalen Geheimdienstes (CNI) und der Oberstaatsanwaltschaft (FGR) durchgeführt wurde.

Die US-Behörden wurden nicht einbezogen

Die zwischenstaatliche Zusammenarbeit zur Drogenbekämpfung mit den USA war dabei ausgeschaltet – die US-Behörden wurden erst im Nachhinein von der Verhaftung Guzmáns informiert. Ovidio Guzmán stand auch auf der Fahndungsliste der USA, die eine Belohnung von fünf Millionen Dollars ausgesetzt hatten. Doch die US-amerikanischen Anti-Drogen-Agenturen sind sehr stark von dem schmutzigen Geschäft durchsetzt, wie sich im Prozess gegen den Vater des Verhafteten, "El Chapo Guzmán", in den USA zeigte. Dieser Sonderprozess schützte dabei die staatlichen Interessen der USA durch den Verschluss brisanter Informationen und durch vieles mehr.

Auch bei der Verhaftung des Narco-Chefs Rafael Caro Quintero am 15. Juli des vergangenen Jahres kamen die US-Behörden nicht zum Zuge – sie wurden nur vor die vollendeten Tatsachen gestellt. Laut der US-Zeitung Los Angeles Times deute das Vorgehen der Mexikaner darauf hin, dass sie den Erfolg nicht teilen wollten.

Was ändert die Festnahme der Mafiachefs?

Der Analytiker und Journalist Alejandro Hope schreibt in der Zeitung El Universal:

"Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die Festnahme einen signifikanten Einfluss auf die Aktivitäten des Kartells haben wird. Heutzutage müssen wir uns an eine unausweichliche Tatsache erinnern: Die Verhaftung eines Drogenbosses, so auffällig sie auch sein mag, verändert die Muster des Drogenhandels nicht grundlegend."

Und er fügt hinzu:

"Wenn die Gefangennahme und Auslieferung von El Chapo das Drogengeschäft nicht zerstört hat, ist es schwerlich anzunehmen, dass die Verhaftung eines seiner Söhne stärkere Auswirkungen haben wird. Es wird auch nicht angenommen, dass die Festnahme von Guzmán López die drogenbedingte Gewalt, die Mexiko heimsucht, verringern wird."

Die Droge Crystal-Methamphetamin für die USA und Kanada

Die US-Behörden geben an, dass Ovidio Guzmán López und dessen Bruder Joaquín derzeit für etwa elf Methamphetamin-Labore im Bundesstaat Sinaloa verantwortlich seien, die schätzungsweise pro Monat über zwei Tonnen dieser Droge für den Vertrieb in die Vereinigten Staaten und Kanada herstellen. Ihr "Kartell von Sinaloa" wird mit dem Schmuggel großer Mengen Ephedrin aus Argentinien nach Mexiko zur Herstellung von Methamphetamin in Verbindung gebracht.

Laut der Hazelden Betty Ford Foundation, einer US-amerikanischen Stiftung zur Suchtbehandlung, ist Methamphetamin zwar weniger tödlich als Fentanyl, jedoch extrem destruktiv. Derzeit produzieren die Kartelle Methamphetamin aus chemischen Produkten als Vorstufen, die es ihnen ermöglichen, die strengen Beschränkungen für Methamphetamin und die traditionellen Vorstufen für Fentanyl zu umgehen. Das Ergebnis, Phenylaceton (oder 1-Phenyl-2-propanon "P2P"), aus dem durch Kondensation Methamphetamin gewonnen werden kann, ist gefährlicher und Süchtige entwickeln dabei mit größerer Wahrscheinlichkeit schwere psychische Erkrankungen.

Der größte Drogenmarkt der Welt ohne Drogenkämpfe

Der enorme propagandistische, geheimdienstliche und militärische Aufwand, mit dem die USA offiziell einen angeblichen Krieg gegen die Drogen – vor allem in Ländern Lateinamerikas – führen, steht im großen Widerspruch zu ihren unerklärlich geringen Erfolgen im eigenen Land. Gibt es Schlagzeilen über einen Drogenkrieg auf dem Territorium der USA? Es müssten dort eigentlich die gleichen tödlichen Konkurrenzkämpfe beim Verteilen und dem Verkauf der Drogen stattfinden. Doch in den internationalen Medien liest man nichts über Maßnahmen der US-Regierung gegen mafiöse Drogenorganisationen innerhalb der USA selbst. Gleichzeitig sind die USA der größte Absatzmarkt für fast alle Drogen in der Welt. Wie passt das zusammen?

Nach einem UNO-Bericht vom 10. März 2022 stieg die Todesrate wegen einer Überdosis in den USA stark an. Die Studie führt aus, dass in den zwölf Monaten vor April 2021 mehr als 100.000 Menschen aus diesem Grund starben, was einen Anstieg von 28,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr ausmacht. Von diesen Todesfällen wurden 75.600 durch Opioide verursacht, das waren fast 20.000 Todesfälle mehr als im Vorjahr. Die USA leiden unter einer Epidemie des Konsums von Opiaten. Oft werden opiathaltige Medikamente als kontrolliertes Schmerzmittel für Patienten mit sehr starken Schmerzen verschrieben und rufen einen Einstieg in die Sucht hervor. Auch Kanada hat seinerseits seit Beginn der COVID-19-Pandemie eine Zunahme von Opioid-Überdosierungen und Todesfällen verzeichnet.

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